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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Alt-Jena,

lenkte, und bald darauf das Ziel unsrer Fahrt, das viel genannte Saalathcn,
im Glänze der Abendsonne uns begrüßend entgegentrat. Wie oft hatten an
den Gestaden des Neckars mir liebe Freunde von der behaglichen Musenstadt
an der Saale erzählt, uun stand sie in anmutender Wirklichkeit vor meinen
Augen. Vielfach hatten die Schilderungen der Schlacht von Jena mit ihren
verhängnisvollen Folgen mich beschäftigt, heute hatte mich der Weg dicht unter
dem Schauplatze derselben vorübergeführt. Ein wohlwollender Zufall hatte es
gefügt, daß mein nächster Wagennachbar mit seinen Erinnerungen in jene kri¬
tischen Tage zurückreichte und mir jetzt mit der Beredsamkeit des Alters eins
und das andre aus der Fülle derselben mitteilte. Es war der Obcrpedell
Dorschl, eine der studirenden Jugend jener Zeit wohlbekannte Persönlichkeit. Sein
Gedächtnis hatte, trotz der fortgeschrittenen Jahre, nicht gelitten, und es war ihm
eine offenbar verzeihliche Genugthuung, was er selbst erlebt und gewiß schon zu
hundert malen vorgetragen hatte, einem andächtigen Zuhörer aufs neue zu
wiederholen. Tiefen Eindruck hatten auf ihn, wie bekanntermaßen auf so viele
andre, die kühnen Anstrengungen gemacht, mit welchen die Franzosen aus der
Senkung des Thalweges herauf ihr schweres Geschütz auf die Höhe des Land¬
grafenberges zu befördern verstanden haben. Die Plünderung der zagenden Stadt,
die auf die Schlacht folgte und die ja schon mehrfach von Augenzeugen geschil¬
dert worden ist, schwebte noch deutlich vor seinen Augen, und er gab so manchen
bezeichnenden Zug zum besten. Alles dies jedoch ohne jedes bittere Gefühl:
die mildernde Zeit hatte diese Wunde geheilt, und man konnte auch in diesem
Falle die Beobachtung machen, daß naive Naturen nach der Art meines Be¬
richterstatters sich der zermalmenden Macht einer Erscheinung, wie der korsische
Eroberer war, wenn sie anch nicht die "Weltseele" Hegels in ihm erkannten,
wenigstens ohne jede Kritik unterwerfen.

Wir führen in die Stadt ein. Die Straßen wie der Marktplatz waren
auffallend still, obwohl die Ferien bereits ihr Ende erreicht hatten. Es war
der Eindruck einer friedlichen Landstadt, den man empfing. Überhaupt lebte
und wohnte man damals in Jena noch ungewöhnlich einfach und billig; ein
halbwegs verwöhnter Großstädter mochte sich freilich schwer in diese Verhält¬
nisse finden, die sich durch eine fast rührende Schlichtheit und Anspruchslosigkeit
auszeichneten. Dafür wehte hier in jedem Sinne eine frische, freie Luft, die
manchen andern vermißten Vorzug aufwog. Die alten guten Überlieferungen
hatten sich uoch erhalten, die anderswo häufig Schiffbruch gelitten hatten. Noch
am vorgerückten Abend desselben Tages durfte ich mich zu meiner hohen Ge¬
nugthuung davon überzeugen. Es war der Vorabend des 18. Oktobers, dessen
Feier fast in allen übrigen Staaten des seligen deutschen Bundes unterdrückt
worden oder doch stillschweigend außer Übung gekommen war. Hier in Jena,
wie sich nun gleich zeigte, war eine solche jämmerliche Engherzigkeit nicht durch¬
gerungen. Kaum daß die Nacht ihre ersten Schatten ausbreitete, wurde es


Erinnerungen aus Alt-Jena,

lenkte, und bald darauf das Ziel unsrer Fahrt, das viel genannte Saalathcn,
im Glänze der Abendsonne uns begrüßend entgegentrat. Wie oft hatten an
den Gestaden des Neckars mir liebe Freunde von der behaglichen Musenstadt
an der Saale erzählt, uun stand sie in anmutender Wirklichkeit vor meinen
Augen. Vielfach hatten die Schilderungen der Schlacht von Jena mit ihren
verhängnisvollen Folgen mich beschäftigt, heute hatte mich der Weg dicht unter
dem Schauplatze derselben vorübergeführt. Ein wohlwollender Zufall hatte es
gefügt, daß mein nächster Wagennachbar mit seinen Erinnerungen in jene kri¬
tischen Tage zurückreichte und mir jetzt mit der Beredsamkeit des Alters eins
und das andre aus der Fülle derselben mitteilte. Es war der Obcrpedell
Dorschl, eine der studirenden Jugend jener Zeit wohlbekannte Persönlichkeit. Sein
Gedächtnis hatte, trotz der fortgeschrittenen Jahre, nicht gelitten, und es war ihm
eine offenbar verzeihliche Genugthuung, was er selbst erlebt und gewiß schon zu
hundert malen vorgetragen hatte, einem andächtigen Zuhörer aufs neue zu
wiederholen. Tiefen Eindruck hatten auf ihn, wie bekanntermaßen auf so viele
andre, die kühnen Anstrengungen gemacht, mit welchen die Franzosen aus der
Senkung des Thalweges herauf ihr schweres Geschütz auf die Höhe des Land¬
grafenberges zu befördern verstanden haben. Die Plünderung der zagenden Stadt,
die auf die Schlacht folgte und die ja schon mehrfach von Augenzeugen geschil¬
dert worden ist, schwebte noch deutlich vor seinen Augen, und er gab so manchen
bezeichnenden Zug zum besten. Alles dies jedoch ohne jedes bittere Gefühl:
die mildernde Zeit hatte diese Wunde geheilt, und man konnte auch in diesem
Falle die Beobachtung machen, daß naive Naturen nach der Art meines Be¬
richterstatters sich der zermalmenden Macht einer Erscheinung, wie der korsische
Eroberer war, wenn sie anch nicht die „Weltseele" Hegels in ihm erkannten,
wenigstens ohne jede Kritik unterwerfen.

Wir führen in die Stadt ein. Die Straßen wie der Marktplatz waren
auffallend still, obwohl die Ferien bereits ihr Ende erreicht hatten. Es war
der Eindruck einer friedlichen Landstadt, den man empfing. Überhaupt lebte
und wohnte man damals in Jena noch ungewöhnlich einfach und billig; ein
halbwegs verwöhnter Großstädter mochte sich freilich schwer in diese Verhält¬
nisse finden, die sich durch eine fast rührende Schlichtheit und Anspruchslosigkeit
auszeichneten. Dafür wehte hier in jedem Sinne eine frische, freie Luft, die
manchen andern vermißten Vorzug aufwog. Die alten guten Überlieferungen
hatten sich uoch erhalten, die anderswo häufig Schiffbruch gelitten hatten. Noch
am vorgerückten Abend desselben Tages durfte ich mich zu meiner hohen Ge¬
nugthuung davon überzeugen. Es war der Vorabend des 18. Oktobers, dessen
Feier fast in allen übrigen Staaten des seligen deutschen Bundes unterdrückt
worden oder doch stillschweigend außer Übung gekommen war. Hier in Jena,
wie sich nun gleich zeigte, war eine solche jämmerliche Engherzigkeit nicht durch¬
gerungen. Kaum daß die Nacht ihre ersten Schatten ausbreitete, wurde es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/218>, abgerufen am 22.07.2024.