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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Lind die heutigen ArbeiterunterstützungsverbÄnde Versicherungsgesellschaften?

Ehe wir unsern Gegenstand verlassen, wollen wir noch eine Entstellung
der sozialdemokratisch-deutschfreisinnigen Kartellpresse als solche kennzeichnen.
Es ist geradezu als ein ungesetzlicher Übergriff der Behörden bezeichnet worden,
daß u. a. an den Buchdruckerverein als Vorbedingung für seine Zulassung in
Preußen die Anforderung gestellt worden ist, den Vercinsvorstand innerhalb
Preußens zu bestellen und die jedesmalige Neuwahl desselben dem Bestätigungs¬
oder Einspruchsrechte der Behörde zu unterwerfen. Mit Recht darf den Ver¬
tretern einer solchen Auffassung die Frage entgegengehalten werden, wie denn
die vorschriftsmäßige Aufsichtsführung überhaupt möglich sein soll, wenn gar kein
der Aufsichtsbehörde verantwortliches, d. h. innerhalb der Landesgrenzen se߬
haftes Organ vorhanden ist? Allerdings ließe sich dagegen einwenden, was
Preußen recht sei, sei den andern Bundesstaaten billig, sodaß ein über das
ganze Reichsgebiet verzweigter Verband in die Zwangslage kommen könnte, in
verschiednen Staaten zugleich seinen Sitz zu nehmen. Allein abgesehen davon,
daß nur die wenigsten Bundesgebiete eine besondre Versicherungsgesetzgebung
haben, würden sich etwaige Schwierigkeiten der Art -- nach dem Beispiele der
Buchdrucker -- durch Einrichtung besondrer Landesvereine und Eingehung
wechselseitiger Kartellverbindungen leicht beseitigen lassen. Wenn den beteiligten
Kreisen solche Kartellverhältnisse immerhin weniger erwünscht sein mögen als
straffe Einheitsverbände, so müssen derartige Mängel freilich mit in den Kauf
genommen werden, so lange die nach der Reichsverfassung (Art. 4) in Aussicht
genommene einheitliche Vereins- und Versicherungsgesetzgebung noch fehlt. Im
übrigen macht das preußische Versicherungsgesetz die Zulassung von Versiche¬
rungsgesellschaften ausdrücklich von der fortdauernden Unbescholtenheit und Zu¬
verlässigkeit der Unternehmer abhängig. Wie anders als auf die vorgedachte
Weise soll aber die Aufsichtsbehörde sich die pflichtmäßige Überzeugung davon
verschaffen, wenn, wie hier, die Leitung des Unternehmens alljährlich wechselt
und versicherungstechnische Bürgschaften selten oder gar nicht gegeben werden
können, sodaß die Zulassung im wesentlichen auf dem Vertrauen der Aufsichts¬
behörde zu dem jeweiligen Vereinsvorstande beruht? Es liegt auf der Hand,
daß es sich auch bei diesen Ausstellungen der staatsfeindlichen Presse um nichts
andres handelt, als um geflissentliche Verdächtigungen zur Förderung unlauterer
Parteizwecke.




Lind die heutigen ArbeiterunterstützungsverbÄnde Versicherungsgesellschaften?

Ehe wir unsern Gegenstand verlassen, wollen wir noch eine Entstellung
der sozialdemokratisch-deutschfreisinnigen Kartellpresse als solche kennzeichnen.
Es ist geradezu als ein ungesetzlicher Übergriff der Behörden bezeichnet worden,
daß u. a. an den Buchdruckerverein als Vorbedingung für seine Zulassung in
Preußen die Anforderung gestellt worden ist, den Vercinsvorstand innerhalb
Preußens zu bestellen und die jedesmalige Neuwahl desselben dem Bestätigungs¬
oder Einspruchsrechte der Behörde zu unterwerfen. Mit Recht darf den Ver¬
tretern einer solchen Auffassung die Frage entgegengehalten werden, wie denn
die vorschriftsmäßige Aufsichtsführung überhaupt möglich sein soll, wenn gar kein
der Aufsichtsbehörde verantwortliches, d. h. innerhalb der Landesgrenzen se߬
haftes Organ vorhanden ist? Allerdings ließe sich dagegen einwenden, was
Preußen recht sei, sei den andern Bundesstaaten billig, sodaß ein über das
ganze Reichsgebiet verzweigter Verband in die Zwangslage kommen könnte, in
verschiednen Staaten zugleich seinen Sitz zu nehmen. Allein abgesehen davon,
daß nur die wenigsten Bundesgebiete eine besondre Versicherungsgesetzgebung
haben, würden sich etwaige Schwierigkeiten der Art — nach dem Beispiele der
Buchdrucker — durch Einrichtung besondrer Landesvereine und Eingehung
wechselseitiger Kartellverbindungen leicht beseitigen lassen. Wenn den beteiligten
Kreisen solche Kartellverhältnisse immerhin weniger erwünscht sein mögen als
straffe Einheitsverbände, so müssen derartige Mängel freilich mit in den Kauf
genommen werden, so lange die nach der Reichsverfassung (Art. 4) in Aussicht
genommene einheitliche Vereins- und Versicherungsgesetzgebung noch fehlt. Im
übrigen macht das preußische Versicherungsgesetz die Zulassung von Versiche¬
rungsgesellschaften ausdrücklich von der fortdauernden Unbescholtenheit und Zu¬
verlässigkeit der Unternehmer abhängig. Wie anders als auf die vorgedachte
Weise soll aber die Aufsichtsbehörde sich die pflichtmäßige Überzeugung davon
verschaffen, wenn, wie hier, die Leitung des Unternehmens alljährlich wechselt
und versicherungstechnische Bürgschaften selten oder gar nicht gegeben werden
können, sodaß die Zulassung im wesentlichen auf dem Vertrauen der Aufsichts¬
behörde zu dem jeweiligen Vereinsvorstande beruht? Es liegt auf der Hand,
daß es sich auch bei diesen Ausstellungen der staatsfeindlichen Presse um nichts
andres handelt, als um geflissentliche Verdächtigungen zur Förderung unlauterer
Parteizwecke.




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[0216] Lind die heutigen ArbeiterunterstützungsverbÄnde Versicherungsgesellschaften? Ehe wir unsern Gegenstand verlassen, wollen wir noch eine Entstellung der sozialdemokratisch-deutschfreisinnigen Kartellpresse als solche kennzeichnen. Es ist geradezu als ein ungesetzlicher Übergriff der Behörden bezeichnet worden, daß u. a. an den Buchdruckerverein als Vorbedingung für seine Zulassung in Preußen die Anforderung gestellt worden ist, den Vercinsvorstand innerhalb Preußens zu bestellen und die jedesmalige Neuwahl desselben dem Bestätigungs¬ oder Einspruchsrechte der Behörde zu unterwerfen. Mit Recht darf den Ver¬ tretern einer solchen Auffassung die Frage entgegengehalten werden, wie denn die vorschriftsmäßige Aufsichtsführung überhaupt möglich sein soll, wenn gar kein der Aufsichtsbehörde verantwortliches, d. h. innerhalb der Landesgrenzen se߬ haftes Organ vorhanden ist? Allerdings ließe sich dagegen einwenden, was Preußen recht sei, sei den andern Bundesstaaten billig, sodaß ein über das ganze Reichsgebiet verzweigter Verband in die Zwangslage kommen könnte, in verschiednen Staaten zugleich seinen Sitz zu nehmen. Allein abgesehen davon, daß nur die wenigsten Bundesgebiete eine besondre Versicherungsgesetzgebung haben, würden sich etwaige Schwierigkeiten der Art — nach dem Beispiele der Buchdrucker — durch Einrichtung besondrer Landesvereine und Eingehung wechselseitiger Kartellverbindungen leicht beseitigen lassen. Wenn den beteiligten Kreisen solche Kartellverhältnisse immerhin weniger erwünscht sein mögen als straffe Einheitsverbände, so müssen derartige Mängel freilich mit in den Kauf genommen werden, so lange die nach der Reichsverfassung (Art. 4) in Aussicht genommene einheitliche Vereins- und Versicherungsgesetzgebung noch fehlt. Im übrigen macht das preußische Versicherungsgesetz die Zulassung von Versiche¬ rungsgesellschaften ausdrücklich von der fortdauernden Unbescholtenheit und Zu¬ verlässigkeit der Unternehmer abhängig. Wie anders als auf die vorgedachte Weise soll aber die Aufsichtsbehörde sich die pflichtmäßige Überzeugung davon verschaffen, wenn, wie hier, die Leitung des Unternehmens alljährlich wechselt und versicherungstechnische Bürgschaften selten oder gar nicht gegeben werden können, sodaß die Zulassung im wesentlichen auf dem Vertrauen der Aufsichts¬ behörde zu dem jeweiligen Vereinsvorstande beruht? Es liegt auf der Hand, daß es sich auch bei diesen Ausstellungen der staatsfeindlichen Presse um nichts andres handelt, als um geflissentliche Verdächtigungen zur Förderung unlauterer Parteizwecke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/216>, abgerufen am 22.07.2024.