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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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5>ut die heutigen Arboiternnterstützungsverba'nde Versicherungsgesellschaften?

notwendig sein, daß dieser Fonds nach bestimmten lassen- und versicheruugs-
technischen Grundsätzen gebildet und verwaltet wird, da die Erzielung eines
Gewinns und somit die Gefahr einer gewinnsüchtigen Ausbeutung wie bei den
gewöhnlichen (Erwerbs ^Versicherungsgesellschaften für die davon vielfach ab¬
weichenden Gegenseitigkeitsgesellschaften von selbst ausgeschlossen ist, also auch
die durch das Gesetz in keiner Weise vorgeschriebene Art, wie die Verhinderungs¬
mittel aufzubringen sind -- ob im Deckungs- oder Umlageverfahren oder nach
gemischtem Verfahren --, an sich gleichgiltig sein muß. Wenn übrigens die hier
in Rede stehenden Untersttttzungskassen gewisse von den sonstigen gewöhnlichen
Versicherungsgesellschaften abweichende Eigentümlichkeiten, insbesondre viel freiere
Formen zeigen, so ist dies eben darauf zurückzuführen, daß es sich hier um
mittellose, in ihrem wirtschaftlichen Einkommen durchaus ungehinderte Kreise
handelt, die eben zur Abstellung oder Milderung dieser Unsicherheit eigentümliche
Versicherungseinrichtungen ins Leben gerufen haben, welche den jeweiligen
Steuerkräften und Unterstützungsbedürfnissen durch entsprechende Ein- und Auf¬
zählungen periodisch angepaßt werden und sich ihrem ganzen Wesen nach als
auf Gegenseitigkeit begründete Lebensversicherungen im weitesten Sinne darstellen,
die mit den sonstigen Versicherungen bekanntlich nichts weiter gemein haben,
als das allen Versicherungen zu Grunde liegende Bestreben, das Zufällige und
Individuelle durch Zusammenfassung einer erheblichen Zahl von Thatbeständen
auszugleichen und das Durchschnittliche und in diesem Sinne Regelmäßige zur
Geltung zu bringen.

Schließlich bedarf es noch der Widerlegung einer mehrfach geltend ge¬
machten Ansicht, wonach die Anwendung der versicherungsgesetzlichen Bestim¬
mungen auf die geschilderten Berufsverbände einen unzulässigen Eingriff in die
gesetzlich gewährleistete Koalitions- und Vereinsfreiheit bedeuten soll. Diese
Auffassung geht von der Voraussetzung aus, daß die Reichsgesetzgebung mit
Einführung der Koalitionsfreiheit durch § 152 der Gewerbeordnung die laudes-
gesetzlichen Beschränkungen der Vereins- und vollends der Versicherungsgesetze
beseitigt habe; eine solche Auslegung ist aber rechtlich unhaltbar.

Nach einer erst kürzlich ergangenen Entscheidung des Reichsgerichts (vom
10. November 1887, Entscheidungen Band 16, S. 383) hat es Z 152 der
Gewerbeordnung ausschließlich mit den konkreten Arbeitsverträgen zwischen Ar¬
beitgebern und Arbeitern, mit den unmittelbar durch diese Verträge geregelten
Lohn- und Arbeitsbedingungen, mit dem Gegensatz und Kampf sozialökonomischer
Interessen unmittelbar um diese Bedingungen zu thun, und er hat lediglich die bis
dahin in Preußen und andern deutschen Bundesstaaten in Geltung gewesenen
Beschränkungen der gewerblichen Koalitionsfreiheit beseitigt, welche es den gewerb¬
lichen Gehilfen, Gesellen und Fabrikarbeitern untersagten, durch Verabredungen
über Arbeitseinstellungen und dergleichen ihre Arbeitgeber zur Gewährung von
Zugeständnissen hinsichtlich der Lohn- und Arbeitsbedingungen zu veranlassen.


5>ut die heutigen Arboiternnterstützungsverba'nde Versicherungsgesellschaften?

notwendig sein, daß dieser Fonds nach bestimmten lassen- und versicheruugs-
technischen Grundsätzen gebildet und verwaltet wird, da die Erzielung eines
Gewinns und somit die Gefahr einer gewinnsüchtigen Ausbeutung wie bei den
gewöhnlichen (Erwerbs ^Versicherungsgesellschaften für die davon vielfach ab¬
weichenden Gegenseitigkeitsgesellschaften von selbst ausgeschlossen ist, also auch
die durch das Gesetz in keiner Weise vorgeschriebene Art, wie die Verhinderungs¬
mittel aufzubringen sind — ob im Deckungs- oder Umlageverfahren oder nach
gemischtem Verfahren —, an sich gleichgiltig sein muß. Wenn übrigens die hier
in Rede stehenden Untersttttzungskassen gewisse von den sonstigen gewöhnlichen
Versicherungsgesellschaften abweichende Eigentümlichkeiten, insbesondre viel freiere
Formen zeigen, so ist dies eben darauf zurückzuführen, daß es sich hier um
mittellose, in ihrem wirtschaftlichen Einkommen durchaus ungehinderte Kreise
handelt, die eben zur Abstellung oder Milderung dieser Unsicherheit eigentümliche
Versicherungseinrichtungen ins Leben gerufen haben, welche den jeweiligen
Steuerkräften und Unterstützungsbedürfnissen durch entsprechende Ein- und Auf¬
zählungen periodisch angepaßt werden und sich ihrem ganzen Wesen nach als
auf Gegenseitigkeit begründete Lebensversicherungen im weitesten Sinne darstellen,
die mit den sonstigen Versicherungen bekanntlich nichts weiter gemein haben,
als das allen Versicherungen zu Grunde liegende Bestreben, das Zufällige und
Individuelle durch Zusammenfassung einer erheblichen Zahl von Thatbeständen
auszugleichen und das Durchschnittliche und in diesem Sinne Regelmäßige zur
Geltung zu bringen.

Schließlich bedarf es noch der Widerlegung einer mehrfach geltend ge¬
machten Ansicht, wonach die Anwendung der versicherungsgesetzlichen Bestim¬
mungen auf die geschilderten Berufsverbände einen unzulässigen Eingriff in die
gesetzlich gewährleistete Koalitions- und Vereinsfreiheit bedeuten soll. Diese
Auffassung geht von der Voraussetzung aus, daß die Reichsgesetzgebung mit
Einführung der Koalitionsfreiheit durch § 152 der Gewerbeordnung die laudes-
gesetzlichen Beschränkungen der Vereins- und vollends der Versicherungsgesetze
beseitigt habe; eine solche Auslegung ist aber rechtlich unhaltbar.

Nach einer erst kürzlich ergangenen Entscheidung des Reichsgerichts (vom
10. November 1887, Entscheidungen Band 16, S. 383) hat es Z 152 der
Gewerbeordnung ausschließlich mit den konkreten Arbeitsverträgen zwischen Ar¬
beitgebern und Arbeitern, mit den unmittelbar durch diese Verträge geregelten
Lohn- und Arbeitsbedingungen, mit dem Gegensatz und Kampf sozialökonomischer
Interessen unmittelbar um diese Bedingungen zu thun, und er hat lediglich die bis
dahin in Preußen und andern deutschen Bundesstaaten in Geltung gewesenen
Beschränkungen der gewerblichen Koalitionsfreiheit beseitigt, welche es den gewerb¬
lichen Gehilfen, Gesellen und Fabrikarbeitern untersagten, durch Verabredungen
über Arbeitseinstellungen und dergleichen ihre Arbeitgeber zur Gewährung von
Zugeständnissen hinsichtlich der Lohn- und Arbeitsbedingungen zu veranlassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/214>, abgerufen am 22.07.2024.