Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sind die heutigen Arbeiterunterstützungsverbände Versicherungsgesellschaften?

Schlaukopfes als schlechten Juristen -- die bisherigen Unterstützungsvereine in
angebliche Wohlthätigkeitsvereine verwandelten, d. h. man glaubte durch eine
bloße Fassungsänderung der Statuten den Versicherungsanspruch in ein "Ge¬
schenk" oder auch die beiderseitigen Vertragsleistuugen -- Beitrag und Unter¬
stützung -- in "freiwillige" Leistungen umwandeln und durch eine förmliche
Ausschließung "jedes gesetzlichen oder Klagerechts" auf die Unterstützungen die
Erfüllung der bisherigen Rechtsansprüche in das ungebundene Ermessen der
Verbandsorgane stellen zu können. Als ob durch bloße Wortänderungen der
Rechtscharakter der Einrichtungen, die im übrigen ganz dieselben blieben, ver¬
ändert werden könnte!

Diese Versuche mußten schon deshalb erfolglos bleiben, weil Wohlthätigkeits¬
und Gegenseitigkeitsvereine grundsätzlich einander ausschließen. Denn die erster"
wirken lediglich zu Gunsten Dritter, sie bezwecken uneigennützige Zuwendungen
an Personen, die zu dem Vereine in keinerlei Rechtsverhältnis stehen. Ein
solches entsteht erst durch die Hingabe der Unterstützung und, je nachdem dieses
Rechtsgeschäft den Charakter eines einseitigen oder zweiseitigen Vertrages an¬
nimmt, liegt eine Schenkung vor oder nicht (wie z. B. bei Kreditvereinen zu
Gunsten unverschuldet Verarmter). Während die Unterstützungen hiernach stets
freiwillige sind, da sie nicht gefordert, sondern nur erbeten werden können, können
anderseits die Beiträge ebensowohl freiwillige als pflichtmäßige sein; aber stets
bleiben die Kreise der Veitragenden und der Unterstützten einander fremd.

Gegenseitigkeitsvereine dagegen verfolgen immer eigennützige Interessen, weil
ihre Wirksamkeit auf den Kreis der Vereinsmitglieder oder Gesellschafter beschränkt
bleibt. Hier bedeutet die Unterstützungsleistung nicht erst die Eingehung eines
Rechtsverhältnisses zwischen Geber und Redner, sondern die rechtliche Folge
eines schon bestehenden, d. h. der Unterstützungsbedürftige kann auf Grund des
Gesellschaftsvertrages die betreffende Leistung fordern, und zwar wird diese regel¬
mäßig den Charakter der Gegenleistung annehmen, weil bei den Gegenseitigkeits-
gesellschaftcn Beitrags- und Unterstützungszahlungen auf denselben Personenkreis
zusammenfallen. Anderseits brauchen auch hier die Beitragszahlungen nicht
notwendig Pflichtbeiträge zu sein, weil dies den Nechtscharakter der Gegen¬
seitigkeitsgesellschaft an sich nicht berührt; denn auch die Nichtzahler würden
gleichwohl einen Klageanspruch auf die Unterstützungen haben, da sie den auch
mit zu ihren Gunsten von den Beitragszahlern abgeschlossenen Verträgen auf
Grund des Gesellschaftsvertrages von Rechtswegen als beigetreten zu erachten
wären (vergl. U 74 und 75,1. 5 A. L.-R.). Ganz zweifellos gilt dies für Fälle
der vorliegenden Art, weil Versicherungsverträge ganz unbeschränkt zu Gunsten
Dritter geschlossen werden können, d. h. diesen auch ohne ihren Beitritt selb¬
ständige Klagerechte geben.

Hiernach zeigt sich die grundsätzliche Verschiedenheit zwischen Wohlthätigkeits¬
und Gegenseitigkeitsvereinen darin, daß sich die Unterstützungszahlungen bei den


Sind die heutigen Arbeiterunterstützungsverbände Versicherungsgesellschaften?

Schlaukopfes als schlechten Juristen — die bisherigen Unterstützungsvereine in
angebliche Wohlthätigkeitsvereine verwandelten, d. h. man glaubte durch eine
bloße Fassungsänderung der Statuten den Versicherungsanspruch in ein „Ge¬
schenk" oder auch die beiderseitigen Vertragsleistuugen — Beitrag und Unter¬
stützung — in „freiwillige" Leistungen umwandeln und durch eine förmliche
Ausschließung „jedes gesetzlichen oder Klagerechts" auf die Unterstützungen die
Erfüllung der bisherigen Rechtsansprüche in das ungebundene Ermessen der
Verbandsorgane stellen zu können. Als ob durch bloße Wortänderungen der
Rechtscharakter der Einrichtungen, die im übrigen ganz dieselben blieben, ver¬
ändert werden könnte!

Diese Versuche mußten schon deshalb erfolglos bleiben, weil Wohlthätigkeits¬
und Gegenseitigkeitsvereine grundsätzlich einander ausschließen. Denn die erster»
wirken lediglich zu Gunsten Dritter, sie bezwecken uneigennützige Zuwendungen
an Personen, die zu dem Vereine in keinerlei Rechtsverhältnis stehen. Ein
solches entsteht erst durch die Hingabe der Unterstützung und, je nachdem dieses
Rechtsgeschäft den Charakter eines einseitigen oder zweiseitigen Vertrages an¬
nimmt, liegt eine Schenkung vor oder nicht (wie z. B. bei Kreditvereinen zu
Gunsten unverschuldet Verarmter). Während die Unterstützungen hiernach stets
freiwillige sind, da sie nicht gefordert, sondern nur erbeten werden können, können
anderseits die Beiträge ebensowohl freiwillige als pflichtmäßige sein; aber stets
bleiben die Kreise der Veitragenden und der Unterstützten einander fremd.

Gegenseitigkeitsvereine dagegen verfolgen immer eigennützige Interessen, weil
ihre Wirksamkeit auf den Kreis der Vereinsmitglieder oder Gesellschafter beschränkt
bleibt. Hier bedeutet die Unterstützungsleistung nicht erst die Eingehung eines
Rechtsverhältnisses zwischen Geber und Redner, sondern die rechtliche Folge
eines schon bestehenden, d. h. der Unterstützungsbedürftige kann auf Grund des
Gesellschaftsvertrages die betreffende Leistung fordern, und zwar wird diese regel¬
mäßig den Charakter der Gegenleistung annehmen, weil bei den Gegenseitigkeits-
gesellschaftcn Beitrags- und Unterstützungszahlungen auf denselben Personenkreis
zusammenfallen. Anderseits brauchen auch hier die Beitragszahlungen nicht
notwendig Pflichtbeiträge zu sein, weil dies den Nechtscharakter der Gegen¬
seitigkeitsgesellschaft an sich nicht berührt; denn auch die Nichtzahler würden
gleichwohl einen Klageanspruch auf die Unterstützungen haben, da sie den auch
mit zu ihren Gunsten von den Beitragszahlern abgeschlossenen Verträgen auf
Grund des Gesellschaftsvertrages von Rechtswegen als beigetreten zu erachten
wären (vergl. U 74 und 75,1. 5 A. L.-R.). Ganz zweifellos gilt dies für Fälle
der vorliegenden Art, weil Versicherungsverträge ganz unbeschränkt zu Gunsten
Dritter geschlossen werden können, d. h. diesen auch ohne ihren Beitritt selb¬
ständige Klagerechte geben.

Hiernach zeigt sich die grundsätzliche Verschiedenheit zwischen Wohlthätigkeits¬
und Gegenseitigkeitsvereinen darin, daß sich die Unterstützungszahlungen bei den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289333"/>
          <fw type="header" place="top"> Sind die heutigen Arbeiterunterstützungsverbände Versicherungsgesellschaften?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_723" prev="#ID_722"> Schlaukopfes als schlechten Juristen &#x2014; die bisherigen Unterstützungsvereine in<lb/>
angebliche Wohlthätigkeitsvereine verwandelten, d. h. man glaubte durch eine<lb/>
bloße Fassungsänderung der Statuten den Versicherungsanspruch in ein &#x201E;Ge¬<lb/>
schenk" oder auch die beiderseitigen Vertragsleistuugen &#x2014; Beitrag und Unter¬<lb/>
stützung &#x2014; in &#x201E;freiwillige" Leistungen umwandeln und durch eine förmliche<lb/>
Ausschließung &#x201E;jedes gesetzlichen oder Klagerechts" auf die Unterstützungen die<lb/>
Erfüllung der bisherigen Rechtsansprüche in das ungebundene Ermessen der<lb/>
Verbandsorgane stellen zu können. Als ob durch bloße Wortänderungen der<lb/>
Rechtscharakter der Einrichtungen, die im übrigen ganz dieselben blieben, ver¬<lb/>
ändert werden könnte!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_724"> Diese Versuche mußten schon deshalb erfolglos bleiben, weil Wohlthätigkeits¬<lb/>
und Gegenseitigkeitsvereine grundsätzlich einander ausschließen. Denn die erster»<lb/>
wirken lediglich zu Gunsten Dritter, sie bezwecken uneigennützige Zuwendungen<lb/>
an Personen, die zu dem Vereine in keinerlei Rechtsverhältnis stehen. Ein<lb/>
solches entsteht erst durch die Hingabe der Unterstützung und, je nachdem dieses<lb/>
Rechtsgeschäft den Charakter eines einseitigen oder zweiseitigen Vertrages an¬<lb/>
nimmt, liegt eine Schenkung vor oder nicht (wie z. B. bei Kreditvereinen zu<lb/>
Gunsten unverschuldet Verarmter). Während die Unterstützungen hiernach stets<lb/>
freiwillige sind, da sie nicht gefordert, sondern nur erbeten werden können, können<lb/>
anderseits die Beiträge ebensowohl freiwillige als pflichtmäßige sein; aber stets<lb/>
bleiben die Kreise der Veitragenden und der Unterstützten einander fremd.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_725"> Gegenseitigkeitsvereine dagegen verfolgen immer eigennützige Interessen, weil<lb/>
ihre Wirksamkeit auf den Kreis der Vereinsmitglieder oder Gesellschafter beschränkt<lb/>
bleibt. Hier bedeutet die Unterstützungsleistung nicht erst die Eingehung eines<lb/>
Rechtsverhältnisses zwischen Geber und Redner, sondern die rechtliche Folge<lb/>
eines schon bestehenden, d. h. der Unterstützungsbedürftige kann auf Grund des<lb/>
Gesellschaftsvertrages die betreffende Leistung fordern, und zwar wird diese regel¬<lb/>
mäßig den Charakter der Gegenleistung annehmen, weil bei den Gegenseitigkeits-<lb/>
gesellschaftcn Beitrags- und Unterstützungszahlungen auf denselben Personenkreis<lb/>
zusammenfallen. Anderseits brauchen auch hier die Beitragszahlungen nicht<lb/>
notwendig Pflichtbeiträge zu sein, weil dies den Nechtscharakter der Gegen¬<lb/>
seitigkeitsgesellschaft an sich nicht berührt; denn auch die Nichtzahler würden<lb/>
gleichwohl einen Klageanspruch auf die Unterstützungen haben, da sie den auch<lb/>
mit zu ihren Gunsten von den Beitragszahlern abgeschlossenen Verträgen auf<lb/>
Grund des Gesellschaftsvertrages von Rechtswegen als beigetreten zu erachten<lb/>
wären (vergl. U 74 und 75,1. 5 A. L.-R.). Ganz zweifellos gilt dies für Fälle<lb/>
der vorliegenden Art, weil Versicherungsverträge ganz unbeschränkt zu Gunsten<lb/>
Dritter geschlossen werden können, d. h. diesen auch ohne ihren Beitritt selb¬<lb/>
ständige Klagerechte geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_726" next="#ID_727"> Hiernach zeigt sich die grundsätzliche Verschiedenheit zwischen Wohlthätigkeits¬<lb/>
und Gegenseitigkeitsvereinen darin, daß sich die Unterstützungszahlungen bei den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0210] Sind die heutigen Arbeiterunterstützungsverbände Versicherungsgesellschaften? Schlaukopfes als schlechten Juristen — die bisherigen Unterstützungsvereine in angebliche Wohlthätigkeitsvereine verwandelten, d. h. man glaubte durch eine bloße Fassungsänderung der Statuten den Versicherungsanspruch in ein „Ge¬ schenk" oder auch die beiderseitigen Vertragsleistuugen — Beitrag und Unter¬ stützung — in „freiwillige" Leistungen umwandeln und durch eine förmliche Ausschließung „jedes gesetzlichen oder Klagerechts" auf die Unterstützungen die Erfüllung der bisherigen Rechtsansprüche in das ungebundene Ermessen der Verbandsorgane stellen zu können. Als ob durch bloße Wortänderungen der Rechtscharakter der Einrichtungen, die im übrigen ganz dieselben blieben, ver¬ ändert werden könnte! Diese Versuche mußten schon deshalb erfolglos bleiben, weil Wohlthätigkeits¬ und Gegenseitigkeitsvereine grundsätzlich einander ausschließen. Denn die erster» wirken lediglich zu Gunsten Dritter, sie bezwecken uneigennützige Zuwendungen an Personen, die zu dem Vereine in keinerlei Rechtsverhältnis stehen. Ein solches entsteht erst durch die Hingabe der Unterstützung und, je nachdem dieses Rechtsgeschäft den Charakter eines einseitigen oder zweiseitigen Vertrages an¬ nimmt, liegt eine Schenkung vor oder nicht (wie z. B. bei Kreditvereinen zu Gunsten unverschuldet Verarmter). Während die Unterstützungen hiernach stets freiwillige sind, da sie nicht gefordert, sondern nur erbeten werden können, können anderseits die Beiträge ebensowohl freiwillige als pflichtmäßige sein; aber stets bleiben die Kreise der Veitragenden und der Unterstützten einander fremd. Gegenseitigkeitsvereine dagegen verfolgen immer eigennützige Interessen, weil ihre Wirksamkeit auf den Kreis der Vereinsmitglieder oder Gesellschafter beschränkt bleibt. Hier bedeutet die Unterstützungsleistung nicht erst die Eingehung eines Rechtsverhältnisses zwischen Geber und Redner, sondern die rechtliche Folge eines schon bestehenden, d. h. der Unterstützungsbedürftige kann auf Grund des Gesellschaftsvertrages die betreffende Leistung fordern, und zwar wird diese regel¬ mäßig den Charakter der Gegenleistung annehmen, weil bei den Gegenseitigkeits- gesellschaftcn Beitrags- und Unterstützungszahlungen auf denselben Personenkreis zusammenfallen. Anderseits brauchen auch hier die Beitragszahlungen nicht notwendig Pflichtbeiträge zu sein, weil dies den Nechtscharakter der Gegen¬ seitigkeitsgesellschaft an sich nicht berührt; denn auch die Nichtzahler würden gleichwohl einen Klageanspruch auf die Unterstützungen haben, da sie den auch mit zu ihren Gunsten von den Beitragszahlern abgeschlossenen Verträgen auf Grund des Gesellschaftsvertrages von Rechtswegen als beigetreten zu erachten wären (vergl. U 74 und 75,1. 5 A. L.-R.). Ganz zweifellos gilt dies für Fälle der vorliegenden Art, weil Versicherungsverträge ganz unbeschränkt zu Gunsten Dritter geschlossen werden können, d. h. diesen auch ohne ihren Beitritt selb¬ ständige Klagerechte geben. Hiernach zeigt sich die grundsätzliche Verschiedenheit zwischen Wohlthätigkeits¬ und Gegenseitigkeitsvereinen darin, daß sich die Unterstützungszahlungen bei den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/210
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/210>, abgerufen am 22.07.2024.