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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Sind die heutigen ArbeiterunterstützungsverbLnde Versicherungsgesellschaften?

vom 30. Juli 1883, Z 10 des A. L.-R. II. 17, M 6 und 12 des Gesetzes vom
11. März 1850) handelt.

Wir behaupten aber weiter, daß die fraglichen Unterstützungsverbände sogar
zu den genehmigungspflichtigen Gesellschaften (des Z 360 9 des Reichsstrafgesetz¬
buches) gehören, weil sie die Eigenschaften der Versicherungsgesellschaften auf
Gegenseitigkeit besitzen, und dies gerade bildet den Angelpunkt der ganzen
Streitfrage.

Es läßt sich kaum verkennen, daß die Verbände allgemeine Versicherungs¬
zwecke verfolgen und diese wie mehr oder minder alle derartigen modernen Bil¬
dungen auf sozialem Gebiete durch das Prinzip der berufsgenossenschaftlichen
Selbsthilfe zu lösen suchen; denn es wird eben eine Sicherstellung der Verbands¬
mitglieder gegen Arbeitslosigkeit und sonstige Notlagen, d. h. gegen zukünftige
ungewisse Ereignisse, durch gegenseitige Beisteuern zu einem Garantiefonds, also
nach dem eigentlichen Versicherungsprinzip bezweckt.

Der Beitritt zu einer derartigen Gesellschaft bedeutet aber nach der herr¬
schenden Rechtsprechung*) nicht bloß den Eintritt in die gesellschaftlichen Rechte
und Pflichten, die jedem Mitgliede als solchem zustehen, sondern er stellt zu¬
gleich den Abschluß eines Versicherungsvertrages zwischen dem Eintretenden
und der Gesellschaft dar, wodurch für den erster" ein bestimmter Versicherungs¬
anspruch begründet wird. Gerade in dieser Verbindung von gesellschaftlichen
und vertragsmäßigen Rechten besteht die Eigentümlichkeit der Versicherungs¬
gesellschaften auf Gegenseitigkeit, indem ihre Begründung und der Beitritt dazu
mittels besondrer (Versicherungs-)Verträge geschieht, von denen jeder einzelne
zwar ein gesellschaftliches Recht, zugleich und vorwiegend aber einen auf be¬
sondern: Privawertrcige beruhenden Versicherungsanspruch schafft, und es ist in
der Rechtsprechung wiederholt ausgesprochen worden, daß der Versicherungs¬
vertrag seinen Nechtscharaktcr nicht verliert, wenn er auf das Gegenseitigkeits¬
prinzip gegründet und der Versicherte zugleich Mitglied der Versicherungsgesell¬
schaft, d. h. Verhinderer und Versicherter in einer Person wird.

Da nun die preußische Gesetzgebung jeden Versicherungsbetrieb grundsätzlich
von einer ausdrücklichen Genehmigung des Staates abhängig macht, so war es
nicht bloß gesetzlich zulässig, sondern sogar geboten, die Einholung dieser Ge¬
nehmigung auch von den Arbeiterberufsverbänden zu verlangen, sobald der ver-
ficherungsgesellschaftliche Charakter ihrer Unterstntzungseinrichtungen sich deutlich
zu erkennen gab. Die beteiligten Kreise faßten dies aber unter dem Einflüsse der
eingangs gedachten Presse als einen ungehörigen Eingriff in ihr freies Selbst-
bestimmungsrecht auf und suchten sich den versicherungsgesetzlichen Bestimmungen
dadurch zu entziehen, daß sie -- vermutlich auf den Rat eines ebenso großen



*) Entscheidungen des frühern Reichsoberhandelsgerichts zu Leipzig Bd. 8, S. 180 ff.
und Bd. 18, S, 398 ff.; Striethorst, Archiv, Bd. 60, S. 127.
Grenzboten Hi. 1883. 26
Sind die heutigen ArbeiterunterstützungsverbLnde Versicherungsgesellschaften?

vom 30. Juli 1883, Z 10 des A. L.-R. II. 17, M 6 und 12 des Gesetzes vom
11. März 1850) handelt.

Wir behaupten aber weiter, daß die fraglichen Unterstützungsverbände sogar
zu den genehmigungspflichtigen Gesellschaften (des Z 360 9 des Reichsstrafgesetz¬
buches) gehören, weil sie die Eigenschaften der Versicherungsgesellschaften auf
Gegenseitigkeit besitzen, und dies gerade bildet den Angelpunkt der ganzen
Streitfrage.

Es läßt sich kaum verkennen, daß die Verbände allgemeine Versicherungs¬
zwecke verfolgen und diese wie mehr oder minder alle derartigen modernen Bil¬
dungen auf sozialem Gebiete durch das Prinzip der berufsgenossenschaftlichen
Selbsthilfe zu lösen suchen; denn es wird eben eine Sicherstellung der Verbands¬
mitglieder gegen Arbeitslosigkeit und sonstige Notlagen, d. h. gegen zukünftige
ungewisse Ereignisse, durch gegenseitige Beisteuern zu einem Garantiefonds, also
nach dem eigentlichen Versicherungsprinzip bezweckt.

Der Beitritt zu einer derartigen Gesellschaft bedeutet aber nach der herr¬
schenden Rechtsprechung*) nicht bloß den Eintritt in die gesellschaftlichen Rechte
und Pflichten, die jedem Mitgliede als solchem zustehen, sondern er stellt zu¬
gleich den Abschluß eines Versicherungsvertrages zwischen dem Eintretenden
und der Gesellschaft dar, wodurch für den erster« ein bestimmter Versicherungs¬
anspruch begründet wird. Gerade in dieser Verbindung von gesellschaftlichen
und vertragsmäßigen Rechten besteht die Eigentümlichkeit der Versicherungs¬
gesellschaften auf Gegenseitigkeit, indem ihre Begründung und der Beitritt dazu
mittels besondrer (Versicherungs-)Verträge geschieht, von denen jeder einzelne
zwar ein gesellschaftliches Recht, zugleich und vorwiegend aber einen auf be¬
sondern: Privawertrcige beruhenden Versicherungsanspruch schafft, und es ist in
der Rechtsprechung wiederholt ausgesprochen worden, daß der Versicherungs¬
vertrag seinen Nechtscharaktcr nicht verliert, wenn er auf das Gegenseitigkeits¬
prinzip gegründet und der Versicherte zugleich Mitglied der Versicherungsgesell¬
schaft, d. h. Verhinderer und Versicherter in einer Person wird.

Da nun die preußische Gesetzgebung jeden Versicherungsbetrieb grundsätzlich
von einer ausdrücklichen Genehmigung des Staates abhängig macht, so war es
nicht bloß gesetzlich zulässig, sondern sogar geboten, die Einholung dieser Ge¬
nehmigung auch von den Arbeiterberufsverbänden zu verlangen, sobald der ver-
ficherungsgesellschaftliche Charakter ihrer Unterstntzungseinrichtungen sich deutlich
zu erkennen gab. Die beteiligten Kreise faßten dies aber unter dem Einflüsse der
eingangs gedachten Presse als einen ungehörigen Eingriff in ihr freies Selbst-
bestimmungsrecht auf und suchten sich den versicherungsgesetzlichen Bestimmungen
dadurch zu entziehen, daß sie — vermutlich auf den Rat eines ebenso großen



*) Entscheidungen des frühern Reichsoberhandelsgerichts zu Leipzig Bd. 8, S. 180 ff.
und Bd. 18, S, 398 ff.; Striethorst, Archiv, Bd. 60, S. 127.
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[0209] Sind die heutigen ArbeiterunterstützungsverbLnde Versicherungsgesellschaften? vom 30. Juli 1883, Z 10 des A. L.-R. II. 17, M 6 und 12 des Gesetzes vom 11. März 1850) handelt. Wir behaupten aber weiter, daß die fraglichen Unterstützungsverbände sogar zu den genehmigungspflichtigen Gesellschaften (des Z 360 9 des Reichsstrafgesetz¬ buches) gehören, weil sie die Eigenschaften der Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit besitzen, und dies gerade bildet den Angelpunkt der ganzen Streitfrage. Es läßt sich kaum verkennen, daß die Verbände allgemeine Versicherungs¬ zwecke verfolgen und diese wie mehr oder minder alle derartigen modernen Bil¬ dungen auf sozialem Gebiete durch das Prinzip der berufsgenossenschaftlichen Selbsthilfe zu lösen suchen; denn es wird eben eine Sicherstellung der Verbands¬ mitglieder gegen Arbeitslosigkeit und sonstige Notlagen, d. h. gegen zukünftige ungewisse Ereignisse, durch gegenseitige Beisteuern zu einem Garantiefonds, also nach dem eigentlichen Versicherungsprinzip bezweckt. Der Beitritt zu einer derartigen Gesellschaft bedeutet aber nach der herr¬ schenden Rechtsprechung*) nicht bloß den Eintritt in die gesellschaftlichen Rechte und Pflichten, die jedem Mitgliede als solchem zustehen, sondern er stellt zu¬ gleich den Abschluß eines Versicherungsvertrages zwischen dem Eintretenden und der Gesellschaft dar, wodurch für den erster« ein bestimmter Versicherungs¬ anspruch begründet wird. Gerade in dieser Verbindung von gesellschaftlichen und vertragsmäßigen Rechten besteht die Eigentümlichkeit der Versicherungs¬ gesellschaften auf Gegenseitigkeit, indem ihre Begründung und der Beitritt dazu mittels besondrer (Versicherungs-)Verträge geschieht, von denen jeder einzelne zwar ein gesellschaftliches Recht, zugleich und vorwiegend aber einen auf be¬ sondern: Privawertrcige beruhenden Versicherungsanspruch schafft, und es ist in der Rechtsprechung wiederholt ausgesprochen worden, daß der Versicherungs¬ vertrag seinen Nechtscharaktcr nicht verliert, wenn er auf das Gegenseitigkeits¬ prinzip gegründet und der Versicherte zugleich Mitglied der Versicherungsgesell¬ schaft, d. h. Verhinderer und Versicherter in einer Person wird. Da nun die preußische Gesetzgebung jeden Versicherungsbetrieb grundsätzlich von einer ausdrücklichen Genehmigung des Staates abhängig macht, so war es nicht bloß gesetzlich zulässig, sondern sogar geboten, die Einholung dieser Ge¬ nehmigung auch von den Arbeiterberufsverbänden zu verlangen, sobald der ver- ficherungsgesellschaftliche Charakter ihrer Unterstntzungseinrichtungen sich deutlich zu erkennen gab. Die beteiligten Kreise faßten dies aber unter dem Einflüsse der eingangs gedachten Presse als einen ungehörigen Eingriff in ihr freies Selbst- bestimmungsrecht auf und suchten sich den versicherungsgesetzlichen Bestimmungen dadurch zu entziehen, daß sie — vermutlich auf den Rat eines ebenso großen *) Entscheidungen des frühern Reichsoberhandelsgerichts zu Leipzig Bd. 8, S. 180 ff. und Bd. 18, S, 398 ff.; Striethorst, Archiv, Bd. 60, S. 127. Grenzboten Hi. 1883. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/209>, abgerufen am 24.08.2024.