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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Der Leitartikel.

MM man es für notwendig gefunden hat, ein deutsches Wort für
das englische Issäer zu schaffen, würde sich wahrscheinlich leicht
feststellen lassen. Vor dem Anfange der vierziger Jahre wird es
schwerlich gewesen sein, und eingebürgert hat sich der Begriff erst
1848 -- in Österreich bestimmt. In ältern Zeitungen finden
wir politische Fragen in Korrespondenzartikeln erörtert, eingehendere Besprechungen
aber waren den Wochen- und Monatsschriften vorbehalten und der in der Zeit
von 1840 bis 1848 so fruchtbaren Flugschriftenlitteratur. Die mächtige Ent¬
wicklung des Journalismus hierzulande muß, da dem Sommerfasching des Re¬
volutionsjahres bald wieder die strengste Zensurherrschaft folgte, von dem so¬
genannten orientalischen Kriege der Westmächte gegen Rußland datirt werden.
Und dieser Zusammenhang erscheint verhängnisvoll. Napoleon HI. that der
"sechsten Großmacht" nicht nur mit derartigen Worten schön, Leiter von Tages¬
blättern sahen nichts unpassendes darin, sich für ihr Wettern gegen den Zaren
mit französischen Ehrenzeichen belohnen zu lassen, an deren Stelle vorsichtigere
Geschäftsleute das auf Gold geprägte Bildnis des großen Völkerbefreiers ge¬
wählt haben sollen; gleichzeitig wurden die finanziellen Erfindungen der Mires
und Pereire bei uns eingeführt, und mit ihnen der Brauch, die Presse durch
"Beteilung" mit Aktien für dergleichen Wohlthätigkeitsanstalten zu interessiren.
Von da an brachte jedes Tageblatt in jeder Nummer politische und wirtschaft¬
liche "Leitartikel." Ohne Zweifel war deren Zweck häufig, die Leser zu unter¬
richten, aufzuklären, natürlich im Sinne eines politischen und wirtschaftlichen
Parteistandpunktes. Allein bei verschiednen Organen ließen die Beziehungen


Grenzboten III. 1883. SS


Der Leitartikel.

MM man es für notwendig gefunden hat, ein deutsches Wort für
das englische Issäer zu schaffen, würde sich wahrscheinlich leicht
feststellen lassen. Vor dem Anfange der vierziger Jahre wird es
schwerlich gewesen sein, und eingebürgert hat sich der Begriff erst
1848 — in Österreich bestimmt. In ältern Zeitungen finden
wir politische Fragen in Korrespondenzartikeln erörtert, eingehendere Besprechungen
aber waren den Wochen- und Monatsschriften vorbehalten und der in der Zeit
von 1840 bis 1848 so fruchtbaren Flugschriftenlitteratur. Die mächtige Ent¬
wicklung des Journalismus hierzulande muß, da dem Sommerfasching des Re¬
volutionsjahres bald wieder die strengste Zensurherrschaft folgte, von dem so¬
genannten orientalischen Kriege der Westmächte gegen Rußland datirt werden.
Und dieser Zusammenhang erscheint verhängnisvoll. Napoleon HI. that der
„sechsten Großmacht" nicht nur mit derartigen Worten schön, Leiter von Tages¬
blättern sahen nichts unpassendes darin, sich für ihr Wettern gegen den Zaren
mit französischen Ehrenzeichen belohnen zu lassen, an deren Stelle vorsichtigere
Geschäftsleute das auf Gold geprägte Bildnis des großen Völkerbefreiers ge¬
wählt haben sollen; gleichzeitig wurden die finanziellen Erfindungen der Mires
und Pereire bei uns eingeführt, und mit ihnen der Brauch, die Presse durch
„Beteilung" mit Aktien für dergleichen Wohlthätigkeitsanstalten zu interessiren.
Von da an brachte jedes Tageblatt in jeder Nummer politische und wirtschaft¬
liche „Leitartikel." Ohne Zweifel war deren Zweck häufig, die Leser zu unter¬
richten, aufzuklären, natürlich im Sinne eines politischen und wirtschaftlichen
Parteistandpunktes. Allein bei verschiednen Organen ließen die Beziehungen


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[0201] [Abbildung] Der Leitartikel. MM man es für notwendig gefunden hat, ein deutsches Wort für das englische Issäer zu schaffen, würde sich wahrscheinlich leicht feststellen lassen. Vor dem Anfange der vierziger Jahre wird es schwerlich gewesen sein, und eingebürgert hat sich der Begriff erst 1848 — in Österreich bestimmt. In ältern Zeitungen finden wir politische Fragen in Korrespondenzartikeln erörtert, eingehendere Besprechungen aber waren den Wochen- und Monatsschriften vorbehalten und der in der Zeit von 1840 bis 1848 so fruchtbaren Flugschriftenlitteratur. Die mächtige Ent¬ wicklung des Journalismus hierzulande muß, da dem Sommerfasching des Re¬ volutionsjahres bald wieder die strengste Zensurherrschaft folgte, von dem so¬ genannten orientalischen Kriege der Westmächte gegen Rußland datirt werden. Und dieser Zusammenhang erscheint verhängnisvoll. Napoleon HI. that der „sechsten Großmacht" nicht nur mit derartigen Worten schön, Leiter von Tages¬ blättern sahen nichts unpassendes darin, sich für ihr Wettern gegen den Zaren mit französischen Ehrenzeichen belohnen zu lassen, an deren Stelle vorsichtigere Geschäftsleute das auf Gold geprägte Bildnis des großen Völkerbefreiers ge¬ wählt haben sollen; gleichzeitig wurden die finanziellen Erfindungen der Mires und Pereire bei uns eingeführt, und mit ihnen der Brauch, die Presse durch „Beteilung" mit Aktien für dergleichen Wohlthätigkeitsanstalten zu interessiren. Von da an brachte jedes Tageblatt in jeder Nummer politische und wirtschaft¬ liche „Leitartikel." Ohne Zweifel war deren Zweck häufig, die Leser zu unter¬ richten, aufzuklären, natürlich im Sinne eines politischen und wirtschaftlichen Parteistandpunktes. Allein bei verschiednen Organen ließen die Beziehungen Grenzboten III. 1883. SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/201>, abgerufen am 22.07.2024.