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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ein deutsches Reichsanzeigeblatt,

schwindend kleinen Bruchteile zusammen, weil er nicht mehr mit Tausenden von
Blättern und Blättchen zu rechnen hat, sondern an deren Stelle der einzige all¬
gemeine Reichsanzeiger getreten ist.

Eines Reichsanzeigenmonopols, d. h. einer Zwangsverstaatlichung des
Jnseratenwesens, wie sie auch schon vorgeschlagen worden ist, bedürfte es dabei
gar nicht; ich wäre sogar entschieden, so wie ich die Sache heute ansehe, gegen
eine solche. Ich denke mir das Institut und sein Verhältnis zu den andern
Anzeigeblättern ähnlich wie die Reichsbank und ihr Verhältnis zu den Privat¬
bankiers. Ein Monopol hätte das Reichsanzeigeblatt nur für die staatlichen
Bekanntmachungen. Reichsanzeigeblatt und Privatanzeigeblätter würden einander
keineswegs ausschließen. Die letztern hätten vor dem Reichsblatte sogar das
voraus, daß sie politischen oder Unterhaltungsstoff nach Belieben bieten könnten,
während das Reichsblatt lediglich auf Anzeigen beschränkt wäre. Daß der Umsatz
der Privatzeitungen bei der zunehmenden Verbreitung und Benutzung des
Reichsblattes durch das Privatpublikum mit der Zeit natürlich Not leiden
würde, ist klar. Vielleicht müßte sich dann das Publikum dazu entschließen,
den Zeitungsverlegern ihren Ausfall durch einen erhöhten Abonnementspreis
zu ersetzen. Das wäre aber kein Unglück. Im Gegenteil: die anständige
Tagespresse und der bessere Teil der deutschen Journalistik könnte und müßte
es, wenn er ehrlich sein und von dem persönlichen Vorteil der zeitungver¬
legenden Brotherren absehen will, nur mit Freuden begrüßen, wenn die Fessel
des Jnseratenwesens den politischen Zeitungen mehr und mehr abgestreift und
diese dadurch in ihren Lebensbedingungen mehr auf ihren geistigen Inhalt an¬
gewiesen würden. Je mehr die große Menge der Anzeigen dem Staatsinstitut
zufiele, umso mehr müßte die politische Presse sich bestreben, durch gediegenen
Inhalt ihren Leserkreis zu steigern, weil der Schwerpunkt der Einnahmen der
Zeitungsverleger nicht mehr in den Jnseratengebühren, sondern im Abonnement
läge. Für die Reichspost aber würde, wenn sich die Sache erst einmal eingelebt
hätte, bei richtiger geschäftsmännischer Behandlung mit der Zeit eine ganz be¬
deutende Einnahmequelle aus der Einrichtung entstehen, die sich je nach den
Tarifsätzen für die Inserate und das Abonnement auf viele Millionen belaufen
könnte. Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Voranschläge in dieser Beziehung
heute schon anzustellen, halte ich nicht für richtig, umso weniger, als ich den
Schwerpunkt der Einrichtung nicht in der übrigens keineswegs zu unter-
schätzenden fiskalischen Wirkung derselben, sondern, wie schon betont, darin sehen
möchte, daß durch eine Zentralisation des Jnseratenwesens dem geschäftlichen
Publikum ein Teil seiner Reklamespesen abgenommen werden würde.

Daß die Einrichtung in weiten und zum Teil sehr mächtigen Interessenten¬
kreisen aus begreiflichen Gründen ans den lebhaftesten Widerstand stoßen und
von den verschiedensten Seiten angefochten werden würde, ist klar. Aber ebenso
einleuchtend sind auch die wirtschaftlichen Vorteile derselben, und darum würde


Ein deutsches Reichsanzeigeblatt,

schwindend kleinen Bruchteile zusammen, weil er nicht mehr mit Tausenden von
Blättern und Blättchen zu rechnen hat, sondern an deren Stelle der einzige all¬
gemeine Reichsanzeiger getreten ist.

Eines Reichsanzeigenmonopols, d. h. einer Zwangsverstaatlichung des
Jnseratenwesens, wie sie auch schon vorgeschlagen worden ist, bedürfte es dabei
gar nicht; ich wäre sogar entschieden, so wie ich die Sache heute ansehe, gegen
eine solche. Ich denke mir das Institut und sein Verhältnis zu den andern
Anzeigeblättern ähnlich wie die Reichsbank und ihr Verhältnis zu den Privat¬
bankiers. Ein Monopol hätte das Reichsanzeigeblatt nur für die staatlichen
Bekanntmachungen. Reichsanzeigeblatt und Privatanzeigeblätter würden einander
keineswegs ausschließen. Die letztern hätten vor dem Reichsblatte sogar das
voraus, daß sie politischen oder Unterhaltungsstoff nach Belieben bieten könnten,
während das Reichsblatt lediglich auf Anzeigen beschränkt wäre. Daß der Umsatz
der Privatzeitungen bei der zunehmenden Verbreitung und Benutzung des
Reichsblattes durch das Privatpublikum mit der Zeit natürlich Not leiden
würde, ist klar. Vielleicht müßte sich dann das Publikum dazu entschließen,
den Zeitungsverlegern ihren Ausfall durch einen erhöhten Abonnementspreis
zu ersetzen. Das wäre aber kein Unglück. Im Gegenteil: die anständige
Tagespresse und der bessere Teil der deutschen Journalistik könnte und müßte
es, wenn er ehrlich sein und von dem persönlichen Vorteil der zeitungver¬
legenden Brotherren absehen will, nur mit Freuden begrüßen, wenn die Fessel
des Jnseratenwesens den politischen Zeitungen mehr und mehr abgestreift und
diese dadurch in ihren Lebensbedingungen mehr auf ihren geistigen Inhalt an¬
gewiesen würden. Je mehr die große Menge der Anzeigen dem Staatsinstitut
zufiele, umso mehr müßte die politische Presse sich bestreben, durch gediegenen
Inhalt ihren Leserkreis zu steigern, weil der Schwerpunkt der Einnahmen der
Zeitungsverleger nicht mehr in den Jnseratengebühren, sondern im Abonnement
läge. Für die Reichspost aber würde, wenn sich die Sache erst einmal eingelebt
hätte, bei richtiger geschäftsmännischer Behandlung mit der Zeit eine ganz be¬
deutende Einnahmequelle aus der Einrichtung entstehen, die sich je nach den
Tarifsätzen für die Inserate und das Abonnement auf viele Millionen belaufen
könnte. Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Voranschläge in dieser Beziehung
heute schon anzustellen, halte ich nicht für richtig, umso weniger, als ich den
Schwerpunkt der Einrichtung nicht in der übrigens keineswegs zu unter-
schätzenden fiskalischen Wirkung derselben, sondern, wie schon betont, darin sehen
möchte, daß durch eine Zentralisation des Jnseratenwesens dem geschäftlichen
Publikum ein Teil seiner Reklamespesen abgenommen werden würde.

Daß die Einrichtung in weiten und zum Teil sehr mächtigen Interessenten¬
kreisen aus begreiflichen Gründen ans den lebhaftesten Widerstand stoßen und
von den verschiedensten Seiten angefochten werden würde, ist klar. Aber ebenso
einleuchtend sind auch die wirtschaftlichen Vorteile derselben, und darum würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/20>, abgerufen am 24.08.2024.