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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks kyhne.

zu warten, der Ricks und Erik mich Fjordby brachte, und Ricks war sehr an¬
genehm überrascht durch die Entdeckung, daß seine Kousine so hübsch war, denn
bis dahin kannte er sie nur von einem alten Daguerrotyp, auf dem sie in
einer Dunstatmosphäre eine Gruppe mit ihrem jüngern Bruder und den Eltern
bildete, alle mit einer hektischen Röte auf den Wangen und mit starker Ver¬
goldung ans ihrem goldnen Schmucke. Und min war sie so allerliebst, wie sie
dastand in ihrem hellen Morgeuanzugc mit den schmalen Zeugschuhen und den
schwarzen Kreuzbändern, die bis über den Spann des weißen Strumpfes hinauf¬
reichten, wie sie dastand mit dem einen Fuße oben auf der Kante des Boll¬
werkes und sich lächelnd herüberbeugtc, um ihm die Krücke ihres Sonnenschirmes
zum Guten Tag und Willkommen zu reichen, ehe der Dampfer noch ordentlich
angelegt hatte. Wie rot waren nicht ihre Lippen, wie weiß ihre Zähne, und
die Schläfen hoben sich so zart ab unter dem breiten Eugenienhnte, durch die
lang herabhängenden, schwarzen, mit steinkohlenblanken Perlen verzierten Spitzen
der Krempe. Endlich wurde die Landungsbrücke ausgelegt, und der Konsul zog
mit Erik ab, dem er sich schon vorgestellt hatte, als noch sechs Ellen Wasser
sie von einander trennten. Gleich darauf hatte er sich in ein neckisches Gespräch
über die Qualen der Seekrankheit mit der vertrockneten Witwe eines Hntmachcrs,
die ebenfalls mit dem Dampfer gekommen war, eingelassen, und jetzt war er be¬
müht, die Bewunderung seines Gastes auf die großen Lindenbäume vor der Thür
des Amtsverwaltcrs hinzulenken und auf den neuen Schooner, der auf Thomas
Nasmussens Werft gebaut wurde.

Ricks folgte mit Fennimorc. Sie machte ihn darauf aufmerksam, daß im
Strandgartcu zu Ehren der Gäste eine Flagge aufgezogen sei, und daun fingen
sie an, über die Familie des Etatsrath in Kopenhagen zu sprechen. Sie waren
gleich darüber einig, daß die Etatsrätin ein wenig -- ein bischen -- sie wollten
nicht recht heraus mit dem Worte, aber Fennimore setzte so ein eigenartiges
Lächeln auf und machte eine katzenartige Bewegung mit der Hand, und das
war offenbar bezeichnend genug für die beiden, denn sie lächelten und sahen
gleich darauf wieder ernsthaft aus. Schweigend gingen sie weiter, alle beide
stark mit dem Gedanken beschäftigt, wie sie sich wohl in den Angen des andern
aufnahmen.

Fennimore hatte sich Ricks stattlicher gedacht, ausgeprägter im Wesen,
bestimmter bezeichnet, gleichsam wie ein unterstrichenes Wort. Ricks dagegen
hatte viel mehr gefunden, als er erwartet hatte: er fand sie anziehend, beinahe
berückend, trotz ihrer Kleidung, die viel von dem Übermodernen der Provinz¬
damen an sich hatte; und als sie in der Wohnung des Konsuls eintraten und
sie ihren Hut abnahm und, indem sie beschäftigt niederblickte, ihr Haar mit
so wunderbar graziösen, weichen, trägen Bewegungen der Hand und des Hand¬
gelenkes ordnete, fühlte er sich so dankbar für diese Bewegungen, als wären es
Liebkosungen, und weder an diesem Tage noch an dem nächsten konnte er sich


Ricks kyhne.

zu warten, der Ricks und Erik mich Fjordby brachte, und Ricks war sehr an¬
genehm überrascht durch die Entdeckung, daß seine Kousine so hübsch war, denn
bis dahin kannte er sie nur von einem alten Daguerrotyp, auf dem sie in
einer Dunstatmosphäre eine Gruppe mit ihrem jüngern Bruder und den Eltern
bildete, alle mit einer hektischen Röte auf den Wangen und mit starker Ver¬
goldung ans ihrem goldnen Schmucke. Und min war sie so allerliebst, wie sie
dastand in ihrem hellen Morgeuanzugc mit den schmalen Zeugschuhen und den
schwarzen Kreuzbändern, die bis über den Spann des weißen Strumpfes hinauf¬
reichten, wie sie dastand mit dem einen Fuße oben auf der Kante des Boll¬
werkes und sich lächelnd herüberbeugtc, um ihm die Krücke ihres Sonnenschirmes
zum Guten Tag und Willkommen zu reichen, ehe der Dampfer noch ordentlich
angelegt hatte. Wie rot waren nicht ihre Lippen, wie weiß ihre Zähne, und
die Schläfen hoben sich so zart ab unter dem breiten Eugenienhnte, durch die
lang herabhängenden, schwarzen, mit steinkohlenblanken Perlen verzierten Spitzen
der Krempe. Endlich wurde die Landungsbrücke ausgelegt, und der Konsul zog
mit Erik ab, dem er sich schon vorgestellt hatte, als noch sechs Ellen Wasser
sie von einander trennten. Gleich darauf hatte er sich in ein neckisches Gespräch
über die Qualen der Seekrankheit mit der vertrockneten Witwe eines Hntmachcrs,
die ebenfalls mit dem Dampfer gekommen war, eingelassen, und jetzt war er be¬
müht, die Bewunderung seines Gastes auf die großen Lindenbäume vor der Thür
des Amtsverwaltcrs hinzulenken und auf den neuen Schooner, der auf Thomas
Nasmussens Werft gebaut wurde.

Ricks folgte mit Fennimorc. Sie machte ihn darauf aufmerksam, daß im
Strandgartcu zu Ehren der Gäste eine Flagge aufgezogen sei, und daun fingen
sie an, über die Familie des Etatsrath in Kopenhagen zu sprechen. Sie waren
gleich darüber einig, daß die Etatsrätin ein wenig — ein bischen — sie wollten
nicht recht heraus mit dem Worte, aber Fennimore setzte so ein eigenartiges
Lächeln auf und machte eine katzenartige Bewegung mit der Hand, und das
war offenbar bezeichnend genug für die beiden, denn sie lächelten und sahen
gleich darauf wieder ernsthaft aus. Schweigend gingen sie weiter, alle beide
stark mit dem Gedanken beschäftigt, wie sie sich wohl in den Angen des andern
aufnahmen.

Fennimore hatte sich Ricks stattlicher gedacht, ausgeprägter im Wesen,
bestimmter bezeichnet, gleichsam wie ein unterstrichenes Wort. Ricks dagegen
hatte viel mehr gefunden, als er erwartet hatte: er fand sie anziehend, beinahe
berückend, trotz ihrer Kleidung, die viel von dem Übermodernen der Provinz¬
damen an sich hatte; und als sie in der Wohnung des Konsuls eintraten und
sie ihren Hut abnahm und, indem sie beschäftigt niederblickte, ihr Haar mit
so wunderbar graziösen, weichen, trägen Bewegungen der Hand und des Hand¬
gelenkes ordnete, fühlte er sich so dankbar für diese Bewegungen, als wären es
Liebkosungen, und weder an diesem Tage noch an dem nächsten konnte er sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/190>, abgerufen am 22.07.2024.