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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

und der Familie bildete, so wurde man durch den hier herrschenden Duft
von neuem Damenputz auf die süße Blumculuft der Zimmer vorbereitet. Es
war dies nicht der Duft eines Bouketts, er rührte nicht von wirklichen Blumen
her, es war die mystische, Erinnerung erweckende Atmosphäre, die über jedem
Heim schwebt, und von der niemand mit Bestimmtheit sagen kann, woher sie
stammt. Jedes Heim hat seinen eignen Duft, es kann an tausend Dinge er¬
innern, an den Geruch alter Handschuhe, an neue Spielkarten oder geöffnete
Klaviere, aber es ist stets ein andrer; er kann mit Räucherwerk, mit Parfüms
und Zigarrenrauch übertäubt, aber er kann niemals ganz ertötet werden, er
kommt immer wieder und ist stets da, unverändert, wie er von Anfang an ge¬
wesen ist. Hier war er wie Blumenduft, nicht von Rosen, Levkojen oder sonst
wirklich vorhandnen Blumen herstammend, sondern etwa wie man sich den Duft
jeuer phantastischen saphirmatten Lilienranken denkt, deren Blüten sich um die
Vasen aus altem Porzellan schlingen. Und wie stimmte dieser Duft zu den großen,
niedrigen Stuben, mit ihren ererbten Möbeln und der altväterischen Zierlichkeit!
Die Fußböden waren so weiß, wie es nur die Fußböden der Großmütter noch
sind, die Wände waren einfarbig, mit einer leichten, hellen Guirlande, die sich
unter dem Sims hinzog, in der Mitte der Decke war eine Stuckrosctte, und
die Thüren waren kannellirt und hatten blanke Messinggriffe in Delphinform.
Vor den Fenstern mit den kleinen Scheiben hingen luftige Gardinen, weiß wie
Schnee, faltenreich und kokett mit farbigen Bandschleifen aufgenommen wie der
Behang eines Brautbettes für Dämon und Phyllis, und auf den Fensterbrettern
blühten in grüngesprenkelten Töpfen altmodische Blumen, blaue Agapanthus,
blaue Pyramidcnglocken, feinblättrige Myrten, feuerrote Verbenen und schmetter¬
lingsbunte Geranien. Aber es waren doch hauptsächlich die Möbel, die dem
Ganzen sein Gepräge verliehen; diese soliden Tische mit den großen Platten
von dunkelm Mahagoni, diese Stühle, deren Rücken sich wie ein Span um
uns krümmt, diese Schubladenmöbel in allen möglichen Formen, Niesenkommoden
mit in hellgelbem Holz eingelegten mythologischen Szenen -- Daphne, Arachne
und Narcissus --, oder auch Sekretäre auf dünnen, geschnörkelten Beinen, an denen
jede einzelne Schublade mit Mosaiken aus dentrischem Marmor verziert war, einsame,
viereckige Hänser mit einem Baume daneben vorstellend -- das alles aus einer
Zeit lange vor Napoleon. Da waren ferner Spiegel mit gemalten Blumen auf
dem Glase in Weiß und Bronze: Schilf und Lotusblüten, die auf dem blanken
See schwammen; und dann das Sofa, nicht wie jene zierlichen kleinen Dinger
auf denen nur zwei sitzen können, nein, solid und massiv erhob es sich vom
Fußboden, gleich einer geräumigen Terrasse, an beiden Seiten in einem brust¬
hohen Konsolschrank endend, auf dem sich wieder je ein kleinerer Schrank in
Mannshöhe erhob und eine alte Urne außer dem Bereich gewöhnlicher Sterb¬
lichen brachte. Es war kein Wunder, daß sich so viele alte Sachen im Hause
des Konsuls befanden, denn sein Vater und vor ihm sein Großvater hatten


Ricks Lyhne.

und der Familie bildete, so wurde man durch den hier herrschenden Duft
von neuem Damenputz auf die süße Blumculuft der Zimmer vorbereitet. Es
war dies nicht der Duft eines Bouketts, er rührte nicht von wirklichen Blumen
her, es war die mystische, Erinnerung erweckende Atmosphäre, die über jedem
Heim schwebt, und von der niemand mit Bestimmtheit sagen kann, woher sie
stammt. Jedes Heim hat seinen eignen Duft, es kann an tausend Dinge er¬
innern, an den Geruch alter Handschuhe, an neue Spielkarten oder geöffnete
Klaviere, aber es ist stets ein andrer; er kann mit Räucherwerk, mit Parfüms
und Zigarrenrauch übertäubt, aber er kann niemals ganz ertötet werden, er
kommt immer wieder und ist stets da, unverändert, wie er von Anfang an ge¬
wesen ist. Hier war er wie Blumenduft, nicht von Rosen, Levkojen oder sonst
wirklich vorhandnen Blumen herstammend, sondern etwa wie man sich den Duft
jeuer phantastischen saphirmatten Lilienranken denkt, deren Blüten sich um die
Vasen aus altem Porzellan schlingen. Und wie stimmte dieser Duft zu den großen,
niedrigen Stuben, mit ihren ererbten Möbeln und der altväterischen Zierlichkeit!
Die Fußböden waren so weiß, wie es nur die Fußböden der Großmütter noch
sind, die Wände waren einfarbig, mit einer leichten, hellen Guirlande, die sich
unter dem Sims hinzog, in der Mitte der Decke war eine Stuckrosctte, und
die Thüren waren kannellirt und hatten blanke Messinggriffe in Delphinform.
Vor den Fenstern mit den kleinen Scheiben hingen luftige Gardinen, weiß wie
Schnee, faltenreich und kokett mit farbigen Bandschleifen aufgenommen wie der
Behang eines Brautbettes für Dämon und Phyllis, und auf den Fensterbrettern
blühten in grüngesprenkelten Töpfen altmodische Blumen, blaue Agapanthus,
blaue Pyramidcnglocken, feinblättrige Myrten, feuerrote Verbenen und schmetter¬
lingsbunte Geranien. Aber es waren doch hauptsächlich die Möbel, die dem
Ganzen sein Gepräge verliehen; diese soliden Tische mit den großen Platten
von dunkelm Mahagoni, diese Stühle, deren Rücken sich wie ein Span um
uns krümmt, diese Schubladenmöbel in allen möglichen Formen, Niesenkommoden
mit in hellgelbem Holz eingelegten mythologischen Szenen — Daphne, Arachne
und Narcissus —, oder auch Sekretäre auf dünnen, geschnörkelten Beinen, an denen
jede einzelne Schublade mit Mosaiken aus dentrischem Marmor verziert war, einsame,
viereckige Hänser mit einem Baume daneben vorstellend — das alles aus einer
Zeit lange vor Napoleon. Da waren ferner Spiegel mit gemalten Blumen auf
dem Glase in Weiß und Bronze: Schilf und Lotusblüten, die auf dem blanken
See schwammen; und dann das Sofa, nicht wie jene zierlichen kleinen Dinger
auf denen nur zwei sitzen können, nein, solid und massiv erhob es sich vom
Fußboden, gleich einer geräumigen Terrasse, an beiden Seiten in einem brust¬
hohen Konsolschrank endend, auf dem sich wieder je ein kleinerer Schrank in
Mannshöhe erhob und eine alte Urne außer dem Bereich gewöhnlicher Sterb¬
lichen brachte. Es war kein Wunder, daß sich so viele alte Sachen im Hause
des Konsuls befanden, denn sein Vater und vor ihm sein Großvater hatten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/187>, abgerufen am 22.07.2024.