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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ein deutsches Reichsanzeigeblatt.

der Geschäftsmann der Gegenwart für diese Art der Anpreisung aufzubringen
hat, sind ganz außerordentliche geworden und tragen, da sie sich kaum umgehen
lasse", nicht unwesentlich zur Erhöhung der auf den Warenpreis zu schlagenden
allgemeinen Unkosten unsrer Geschäftsleute bei. Ein Städtchen, wär' es noch
so klein, es kann nicht ohne Blättchen sein. Wo fände sich heute noch eine
kleine Stadt, die nicht ihren Buchdrucker hätte, und wenn er nur ein halbes
Dutzend Schriftkästen und eine "Trittmühle" sein eigen nennt. Er hält sich
ein paar Provinzialzeituugen, stellt sein Intelligenzblatt mit der Scheere zu¬
sammen und verkündet den Bürgern zwei- oder dreimal in der Woche, was
Voulcmger in der Kammer gesprochen hat und wo es Blut- und Leberwürste
oder am nächsten Sonntag eine Tanzmusik giebt, wer eine gesunde Amme sucht
oder was die Brandtschen Schweizerpillen bei diesem oder jenem Würdenträger
der Umgegend für eine "phänomenale" Wirkung erzielt haben. Ist gar noch
ein Oberamtmann im Städtchen, so führt das Blättchen an seiner Spitze den
stolzen Titel "Amtsblatt," und sein Besitzer ist ein gesegneter Mann zu nennen,
ein Privatmonopolist in des Wortes verwegenster Bedeutung. Für ihn giebt
es dann keine Konkurenz. Wehe dem, der sich etwa erkühnte, sich neben ihm
im Städtchen niederzulassen, um ein Konkurrenzunternehmen zu veranstalten;
er würde Geld und Mühe vergebens opfern, denn ihm fehlt die Weihe des
Amtsblatttitels.

Es giebt in der That nicht leicht ein besseres Geschäft heutzutage, als ein
altes, gut "eingeführtes" Jnseratenblatt, zumal ein Amtsblatt; die Summen,
welche die glücklichen Besitzer solcher Unternehmungen einheimsen, sind, wenigstens
zum großen Teil, sehr bedeutend, und es gehört viel dazu, ein solches Blatt,
wenn es nur einigermaßen richtig geleitet ist, aus dem Sattel zu heben. In
nichts zeigt sich vielleicht der konservative Sinn, der noch heute Gottlob in der
überwiegenden Mehrzahl des deutschen Volkes lebt, deutlicher, als gerade in dem
zähen Festhalten an dem gewohnten Zeitungsblatt. So kommt es auch, daß
sich der Preis für die Lokalblätter und die Anzeigegebühren derselben so lange
auf einer Höhe erhalten konnte, die den durch das Herabgehen der Preise für
die verwendeten Rohstoffe, namentlich das Papier, ermäßigten Herstellungskosten
gegenüber oft viel zu hoch war. Dabei fehlt es in Deutschland an eigentlich
großen Zeitungen, wie sie das Ausland, namentlich England, hat, sodaß der
Geschäftsmann gezwungen ist, in einer ganzen Reihe von Blättern und Blättchen
seine Ware anzupreisen und damit Opfer zu bringen, die sich bei einer bessern
Zusammenfassung des Jnserateuwesens vermeiden ließen und lediglich zur Be-
reicherung einer Anzahl von eingesessener Pfründnern dienen, die oft keineswegs
auf der Höhe der Zeit stehen und ihre Machtstellung einfach der Gewohnheit
des Volkes oder der hergebrachten Monopolstellung durch den Amtsblatttitcl
verdanken. Wie wenig Dank übrigens die Regierungen zum Teil für diese
Unterstützung ernten, haben schon manche Vorgänge bewiesen'


Grenzboten III. 1888.
Ein deutsches Reichsanzeigeblatt.

der Geschäftsmann der Gegenwart für diese Art der Anpreisung aufzubringen
hat, sind ganz außerordentliche geworden und tragen, da sie sich kaum umgehen
lasse», nicht unwesentlich zur Erhöhung der auf den Warenpreis zu schlagenden
allgemeinen Unkosten unsrer Geschäftsleute bei. Ein Städtchen, wär' es noch
so klein, es kann nicht ohne Blättchen sein. Wo fände sich heute noch eine
kleine Stadt, die nicht ihren Buchdrucker hätte, und wenn er nur ein halbes
Dutzend Schriftkästen und eine „Trittmühle" sein eigen nennt. Er hält sich
ein paar Provinzialzeituugen, stellt sein Intelligenzblatt mit der Scheere zu¬
sammen und verkündet den Bürgern zwei- oder dreimal in der Woche, was
Voulcmger in der Kammer gesprochen hat und wo es Blut- und Leberwürste
oder am nächsten Sonntag eine Tanzmusik giebt, wer eine gesunde Amme sucht
oder was die Brandtschen Schweizerpillen bei diesem oder jenem Würdenträger
der Umgegend für eine „phänomenale" Wirkung erzielt haben. Ist gar noch
ein Oberamtmann im Städtchen, so führt das Blättchen an seiner Spitze den
stolzen Titel „Amtsblatt," und sein Besitzer ist ein gesegneter Mann zu nennen,
ein Privatmonopolist in des Wortes verwegenster Bedeutung. Für ihn giebt
es dann keine Konkurenz. Wehe dem, der sich etwa erkühnte, sich neben ihm
im Städtchen niederzulassen, um ein Konkurrenzunternehmen zu veranstalten;
er würde Geld und Mühe vergebens opfern, denn ihm fehlt die Weihe des
Amtsblatttitels.

Es giebt in der That nicht leicht ein besseres Geschäft heutzutage, als ein
altes, gut „eingeführtes" Jnseratenblatt, zumal ein Amtsblatt; die Summen,
welche die glücklichen Besitzer solcher Unternehmungen einheimsen, sind, wenigstens
zum großen Teil, sehr bedeutend, und es gehört viel dazu, ein solches Blatt,
wenn es nur einigermaßen richtig geleitet ist, aus dem Sattel zu heben. In
nichts zeigt sich vielleicht der konservative Sinn, der noch heute Gottlob in der
überwiegenden Mehrzahl des deutschen Volkes lebt, deutlicher, als gerade in dem
zähen Festhalten an dem gewohnten Zeitungsblatt. So kommt es auch, daß
sich der Preis für die Lokalblätter und die Anzeigegebühren derselben so lange
auf einer Höhe erhalten konnte, die den durch das Herabgehen der Preise für
die verwendeten Rohstoffe, namentlich das Papier, ermäßigten Herstellungskosten
gegenüber oft viel zu hoch war. Dabei fehlt es in Deutschland an eigentlich
großen Zeitungen, wie sie das Ausland, namentlich England, hat, sodaß der
Geschäftsmann gezwungen ist, in einer ganzen Reihe von Blättern und Blättchen
seine Ware anzupreisen und damit Opfer zu bringen, die sich bei einer bessern
Zusammenfassung des Jnserateuwesens vermeiden ließen und lediglich zur Be-
reicherung einer Anzahl von eingesessener Pfründnern dienen, die oft keineswegs
auf der Höhe der Zeit stehen und ihre Machtstellung einfach der Gewohnheit
des Volkes oder der hergebrachten Monopolstellung durch den Amtsblatttitcl
verdanken. Wie wenig Dank übrigens die Regierungen zum Teil für diese
Unterstützung ernten, haben schon manche Vorgänge bewiesen'


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[0017] Ein deutsches Reichsanzeigeblatt. der Geschäftsmann der Gegenwart für diese Art der Anpreisung aufzubringen hat, sind ganz außerordentliche geworden und tragen, da sie sich kaum umgehen lasse», nicht unwesentlich zur Erhöhung der auf den Warenpreis zu schlagenden allgemeinen Unkosten unsrer Geschäftsleute bei. Ein Städtchen, wär' es noch so klein, es kann nicht ohne Blättchen sein. Wo fände sich heute noch eine kleine Stadt, die nicht ihren Buchdrucker hätte, und wenn er nur ein halbes Dutzend Schriftkästen und eine „Trittmühle" sein eigen nennt. Er hält sich ein paar Provinzialzeituugen, stellt sein Intelligenzblatt mit der Scheere zu¬ sammen und verkündet den Bürgern zwei- oder dreimal in der Woche, was Voulcmger in der Kammer gesprochen hat und wo es Blut- und Leberwürste oder am nächsten Sonntag eine Tanzmusik giebt, wer eine gesunde Amme sucht oder was die Brandtschen Schweizerpillen bei diesem oder jenem Würdenträger der Umgegend für eine „phänomenale" Wirkung erzielt haben. Ist gar noch ein Oberamtmann im Städtchen, so führt das Blättchen an seiner Spitze den stolzen Titel „Amtsblatt," und sein Besitzer ist ein gesegneter Mann zu nennen, ein Privatmonopolist in des Wortes verwegenster Bedeutung. Für ihn giebt es dann keine Konkurenz. Wehe dem, der sich etwa erkühnte, sich neben ihm im Städtchen niederzulassen, um ein Konkurrenzunternehmen zu veranstalten; er würde Geld und Mühe vergebens opfern, denn ihm fehlt die Weihe des Amtsblatttitels. Es giebt in der That nicht leicht ein besseres Geschäft heutzutage, als ein altes, gut „eingeführtes" Jnseratenblatt, zumal ein Amtsblatt; die Summen, welche die glücklichen Besitzer solcher Unternehmungen einheimsen, sind, wenigstens zum großen Teil, sehr bedeutend, und es gehört viel dazu, ein solches Blatt, wenn es nur einigermaßen richtig geleitet ist, aus dem Sattel zu heben. In nichts zeigt sich vielleicht der konservative Sinn, der noch heute Gottlob in der überwiegenden Mehrzahl des deutschen Volkes lebt, deutlicher, als gerade in dem zähen Festhalten an dem gewohnten Zeitungsblatt. So kommt es auch, daß sich der Preis für die Lokalblätter und die Anzeigegebühren derselben so lange auf einer Höhe erhalten konnte, die den durch das Herabgehen der Preise für die verwendeten Rohstoffe, namentlich das Papier, ermäßigten Herstellungskosten gegenüber oft viel zu hoch war. Dabei fehlt es in Deutschland an eigentlich großen Zeitungen, wie sie das Ausland, namentlich England, hat, sodaß der Geschäftsmann gezwungen ist, in einer ganzen Reihe von Blättern und Blättchen seine Ware anzupreisen und damit Opfer zu bringen, die sich bei einer bessern Zusammenfassung des Jnserateuwesens vermeiden ließen und lediglich zur Be- reicherung einer Anzahl von eingesessener Pfründnern dienen, die oft keineswegs auf der Höhe der Zeit stehen und ihre Machtstellung einfach der Gewohnheit des Volkes oder der hergebrachten Monopolstellung durch den Amtsblatttitcl verdanken. Wie wenig Dank übrigens die Regierungen zum Teil für diese Unterstützung ernten, haben schon manche Vorgänge bewiesen' Grenzboten III. 1888.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/17>, abgerufen am 22.07.2024.