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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Sind die heutigen ArbeiterunterstützungsvorbLnde Versicherungsgesellschaften?

Rechte und Pflichten zu übernehmen und Prozesse zu fuhren, so kann dieser
Grundsatz bis zur reichsgesetzlichen Regelung des Vereins- und Versicherungs¬
wesens (Art. 4 der Reichsverfassung) für das allgemein-landrechtliche Gebiet
nur die Bedeutung eines Gewohnheits- oder Juristenrechts haben, mithin nach
dem Systeme des A. L.-R (§H 59 und 60 der Einleitung) keine Rechtsgiltigkeit
beanspruchen.

Dagegen sollen diese Gesellschaften gemäß Z 14, II. 6 des A. L.-R. nach
innen die Rechte einer juristischen Person haben, und aus dieser eigentümlichen
Mittelstellung zwischen Korporation und Sozietät erklärt sich, daß nach außen,
d. h. dritten gegenüber, die jedesmaligen Gesellschafter persönlich und gemeinsam
(pro rata) haften, daß aber diese Haftpflicht durch den Betrag des Gesellschafts¬
vermögens, welches als Eigentum der jedesmalige!, Mitglieder anzusehen ist,
begrenzt wird; ferner daß der ausscheidende Gesellschafter keine Abfindung be¬
anspruchen kann, dagegen bei der Auflösung eine Verteilung des Vermögens
nicht ausgeschlossen ist.

Eine ähnliche Dreiteilung der Gesellschaften hat sich neuerdings auch auf
dem Gebiete des gemeinen Rechts ausgebildet, indem die neuere Reichsgesetz¬
gebung zwischen der gemeinrechtlichen univsrsitAs und sooistW, welchen die
landrcchtliche Korporation und Sozietät im wesentlichen entsprechen, die soge-
nannnten Genossenschaften eingeführt hat, deren charakteristisches Merkmal in
der Solidarbürgschaft der Genossenschafter mit ihrem ganzen Vermögen, d. h in
einer kombinirten Haftung des Genossenschaftsvermögens und der Genossen¬
schafter, also der Einheit und der Einzelnen gegen Dritte besteht. Die Rechts¬
wissenschaft verhält sich dieser, auf Prof. Beseler zurückgeführten Erfindung
gegenüber allerdings ziemlich ablehnend, indem hervorragende Rechtslehrer des
gemeinen Rechts, wie z. B. Windscheid (römisches Recht) und Stobbe (deutsches
Recht) eine solche Zwischenfigur für überflüssig und den Begriff der Korporation
für völlig ausreichend erachten, sobald man nur zwischen Korporationen im
öffentlich-rechtlichen und im privatrechtlichen Sinne unterscheide. Indessen bliebe
dann noch immer die persönliche Haftung der Genossenschafter zu erklären, die
sich aus dem Begriffe der juristischen Person weder ableiten noch damit ver¬
einigen läßt, wenngleich das praktische Bedürfnis einer solchen verstärkten Haft¬
barkeit bei der hier durch keine Mitwirkung des Staates gewährleisteten Soli-
dität und Lebensfähigkeit ohne weiteres einleuchtet. Die Reichsgesetzgebung selbst
hat es vermieden, sich über den eigentlichen Rechtscharakter dieser Zwischen¬
bildungen bestimmt auszusprechen, und dieselben keineswegs immer gleichartig
behandelt, wie eine Vergleichung der unten angeführten Gesetzesstellen*) ergiebt;



*) Genossenschastsgcsch vom 4. Juli 1863, W 1, 11, 12, 34, 35, 47; Hilfskassengesch
vom 7. April 1376 und 1. Juni 1884, U I, 4, ü, 29, 31; Kmnlenvcrsichemngsgesch vom
13. Juni 1883, W 24, 25, 47; Unfallversichcrungsgesch vom 6. Juli 1884, ZU 9, 12, 15, 33.
Grenzboten III. 1833. 21
Sind die heutigen ArbeiterunterstützungsvorbLnde Versicherungsgesellschaften?

Rechte und Pflichten zu übernehmen und Prozesse zu fuhren, so kann dieser
Grundsatz bis zur reichsgesetzlichen Regelung des Vereins- und Versicherungs¬
wesens (Art. 4 der Reichsverfassung) für das allgemein-landrechtliche Gebiet
nur die Bedeutung eines Gewohnheits- oder Juristenrechts haben, mithin nach
dem Systeme des A. L.-R (§H 59 und 60 der Einleitung) keine Rechtsgiltigkeit
beanspruchen.

Dagegen sollen diese Gesellschaften gemäß Z 14, II. 6 des A. L.-R. nach
innen die Rechte einer juristischen Person haben, und aus dieser eigentümlichen
Mittelstellung zwischen Korporation und Sozietät erklärt sich, daß nach außen,
d. h. dritten gegenüber, die jedesmaligen Gesellschafter persönlich und gemeinsam
(pro rata) haften, daß aber diese Haftpflicht durch den Betrag des Gesellschafts¬
vermögens, welches als Eigentum der jedesmalige!, Mitglieder anzusehen ist,
begrenzt wird; ferner daß der ausscheidende Gesellschafter keine Abfindung be¬
anspruchen kann, dagegen bei der Auflösung eine Verteilung des Vermögens
nicht ausgeschlossen ist.

Eine ähnliche Dreiteilung der Gesellschaften hat sich neuerdings auch auf
dem Gebiete des gemeinen Rechts ausgebildet, indem die neuere Reichsgesetz¬
gebung zwischen der gemeinrechtlichen univsrsitAs und sooistW, welchen die
landrcchtliche Korporation und Sozietät im wesentlichen entsprechen, die soge-
nannnten Genossenschaften eingeführt hat, deren charakteristisches Merkmal in
der Solidarbürgschaft der Genossenschafter mit ihrem ganzen Vermögen, d. h in
einer kombinirten Haftung des Genossenschaftsvermögens und der Genossen¬
schafter, also der Einheit und der Einzelnen gegen Dritte besteht. Die Rechts¬
wissenschaft verhält sich dieser, auf Prof. Beseler zurückgeführten Erfindung
gegenüber allerdings ziemlich ablehnend, indem hervorragende Rechtslehrer des
gemeinen Rechts, wie z. B. Windscheid (römisches Recht) und Stobbe (deutsches
Recht) eine solche Zwischenfigur für überflüssig und den Begriff der Korporation
für völlig ausreichend erachten, sobald man nur zwischen Korporationen im
öffentlich-rechtlichen und im privatrechtlichen Sinne unterscheide. Indessen bliebe
dann noch immer die persönliche Haftung der Genossenschafter zu erklären, die
sich aus dem Begriffe der juristischen Person weder ableiten noch damit ver¬
einigen läßt, wenngleich das praktische Bedürfnis einer solchen verstärkten Haft¬
barkeit bei der hier durch keine Mitwirkung des Staates gewährleisteten Soli-
dität und Lebensfähigkeit ohne weiteres einleuchtet. Die Reichsgesetzgebung selbst
hat es vermieden, sich über den eigentlichen Rechtscharakter dieser Zwischen¬
bildungen bestimmt auszusprechen, und dieselben keineswegs immer gleichartig
behandelt, wie eine Vergleichung der unten angeführten Gesetzesstellen*) ergiebt;



*) Genossenschastsgcsch vom 4. Juli 1863, W 1, 11, 12, 34, 35, 47; Hilfskassengesch
vom 7. April 1376 und 1. Juni 1884, U I, 4, ü, 29, 31; Kmnlenvcrsichemngsgesch vom
13. Juni 1883, W 24, 25, 47; Unfallversichcrungsgesch vom 6. Juli 1884, ZU 9, 12, 15, 33.
Grenzboten III. 1833. 21
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/169>, abgerufen am 22.07.2024.