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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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TagebuchblLtter eines Sonntagsphilosophen.

Erdenrund weltgeschichtliche Thatsache ist, dazu gehörte damals noch ein großer
kühner Glaube, ein rechter Prophetenmut, denn die Schwierigkeiten waren von
innen und außen unendlich viel größer, als unser jüngeres Geschlecht weiß und
ahnt. Aber Pfizer, der Schwabe, sprach es im Jahre 1831 aus, so gewagt
es war gerade in Württemberg (vgl. ihn selber in Fr. Perthes Leben 3, 367);
sein Wilhelm schreibt z. B.: "Wenn nicht alle Zeichen trügen, so ist Preußen
auf das Protectorat über Deutschland durch dasselbe Verhängnis angewiesen,
das ihm einen Friedrich den Großen gab" u. s. w. (S. 201); "wenn Preußen
seinen ehrenden Beruf in großartigem Sinne würdig auffaßt und die beschränkte
preußische Nationaleitelkeit zu einem deutschen Nationalgefühle erweitert, wenn
es bedenkt, daß sein Übergewicht an materiellen Kräften weniger sein Verdienst,
als eine Gunst des Himmels, ein Fingerzeig für seine künftige Bestimmung
ist" u. s. w. (S. 227). es ist "der gottgegebene Retter in der Not" (S. 239),
während Friederich, der andre Briefsteller (es ist im Grunde Friedrich Roller,
ein Freund Pfizers, der erst im Jahre 1884 starb) scharf Widerpart hält,
Preußens damalige Mängel oft beißend hervorhebt und das ganze politisch
vorausgeschrittene Selbstgefühl des Südwestdeutschen ausspricht: man wittert
da die Gefahr einer Dreiteilung, die bis 1866 uns ängstigte, und die der Main¬
linie, die auch nach 1866 uns noch ohne Not geängstigt hat. Pfizers eigenste
Gedanken läßt wieder ein Gedicht sehen, "Einst und Jetzt" S. 301; da schweift
der Geistesblick vom heimischen Hohenstaufen hiu zu Kaiser Rothbart, der nur
schlummert, rückwärts zu Kaiser Karl dem Großen, bis zum "heiligsten der
Schatten, Hermann, der als Opfer fiel," aber auch vorwärts zu den Zollern,
die ja anch einst von Schwaben aus ihre deutsche Bahn antraten:


Gleich dem Aar, der einst entflogen
Staufers Nachbar und im Flug
Zollerns Ruhm bis an die Wogen
Des entlegnen Ostmeers trug.

So ist für das vaterländische Gefühl des Schwaben die Einheit des innersten
Lebensfadens gewonnen zwischen alter und neuer Zeit, aber wir Andern freuen
uns ja auch an dieser Einheit, an der alten Nachbarschaft des Hohenstaufen und
Hohenzollern. Schade, daß auch Pfizer für den Schluß seiner Vision von dem
Friedrich in Sibyllen Weissagung und Kaiser Sigismnnds Ausdeutung auf den
Brandenburger Friedrich nichts wußte:


Adler Friederichs des Großen!
Gleich der Sonne decke du
Die Verlaßuen, Heimatlosen
Mit der goldnen Schwinge zu u. s. w.

Was da die Stimme aus dem freien Süden hochherzig selbstentsagcnd
nach dem Berlin von 1831 hinauf rief, das bei allem Hegeltum politisch im
Garne Rußlands zappelte, das war eigentlich: wenn dn nicht willst, du


TagebuchblLtter eines Sonntagsphilosophen.

Erdenrund weltgeschichtliche Thatsache ist, dazu gehörte damals noch ein großer
kühner Glaube, ein rechter Prophetenmut, denn die Schwierigkeiten waren von
innen und außen unendlich viel größer, als unser jüngeres Geschlecht weiß und
ahnt. Aber Pfizer, der Schwabe, sprach es im Jahre 1831 aus, so gewagt
es war gerade in Württemberg (vgl. ihn selber in Fr. Perthes Leben 3, 367);
sein Wilhelm schreibt z. B.: „Wenn nicht alle Zeichen trügen, so ist Preußen
auf das Protectorat über Deutschland durch dasselbe Verhängnis angewiesen,
das ihm einen Friedrich den Großen gab" u. s. w. (S. 201); „wenn Preußen
seinen ehrenden Beruf in großartigem Sinne würdig auffaßt und die beschränkte
preußische Nationaleitelkeit zu einem deutschen Nationalgefühle erweitert, wenn
es bedenkt, daß sein Übergewicht an materiellen Kräften weniger sein Verdienst,
als eine Gunst des Himmels, ein Fingerzeig für seine künftige Bestimmung
ist" u. s. w. (S. 227). es ist „der gottgegebene Retter in der Not" (S. 239),
während Friederich, der andre Briefsteller (es ist im Grunde Friedrich Roller,
ein Freund Pfizers, der erst im Jahre 1884 starb) scharf Widerpart hält,
Preußens damalige Mängel oft beißend hervorhebt und das ganze politisch
vorausgeschrittene Selbstgefühl des Südwestdeutschen ausspricht: man wittert
da die Gefahr einer Dreiteilung, die bis 1866 uns ängstigte, und die der Main¬
linie, die auch nach 1866 uns noch ohne Not geängstigt hat. Pfizers eigenste
Gedanken läßt wieder ein Gedicht sehen, „Einst und Jetzt" S. 301; da schweift
der Geistesblick vom heimischen Hohenstaufen hiu zu Kaiser Rothbart, der nur
schlummert, rückwärts zu Kaiser Karl dem Großen, bis zum „heiligsten der
Schatten, Hermann, der als Opfer fiel," aber auch vorwärts zu den Zollern,
die ja anch einst von Schwaben aus ihre deutsche Bahn antraten:


Gleich dem Aar, der einst entflogen
Staufers Nachbar und im Flug
Zollerns Ruhm bis an die Wogen
Des entlegnen Ostmeers trug.

So ist für das vaterländische Gefühl des Schwaben die Einheit des innersten
Lebensfadens gewonnen zwischen alter und neuer Zeit, aber wir Andern freuen
uns ja auch an dieser Einheit, an der alten Nachbarschaft des Hohenstaufen und
Hohenzollern. Schade, daß auch Pfizer für den Schluß seiner Vision von dem
Friedrich in Sibyllen Weissagung und Kaiser Sigismnnds Ausdeutung auf den
Brandenburger Friedrich nichts wußte:


Adler Friederichs des Großen!
Gleich der Sonne decke du
Die Verlaßuen, Heimatlosen
Mit der goldnen Schwinge zu u. s. w.

Was da die Stimme aus dem freien Süden hochherzig selbstentsagcnd
nach dem Berlin von 1831 hinauf rief, das bei allem Hegeltum politisch im
Garne Rußlands zappelte, das war eigentlich: wenn dn nicht willst, du


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[0148] TagebuchblLtter eines Sonntagsphilosophen. Erdenrund weltgeschichtliche Thatsache ist, dazu gehörte damals noch ein großer kühner Glaube, ein rechter Prophetenmut, denn die Schwierigkeiten waren von innen und außen unendlich viel größer, als unser jüngeres Geschlecht weiß und ahnt. Aber Pfizer, der Schwabe, sprach es im Jahre 1831 aus, so gewagt es war gerade in Württemberg (vgl. ihn selber in Fr. Perthes Leben 3, 367); sein Wilhelm schreibt z. B.: „Wenn nicht alle Zeichen trügen, so ist Preußen auf das Protectorat über Deutschland durch dasselbe Verhängnis angewiesen, das ihm einen Friedrich den Großen gab" u. s. w. (S. 201); „wenn Preußen seinen ehrenden Beruf in großartigem Sinne würdig auffaßt und die beschränkte preußische Nationaleitelkeit zu einem deutschen Nationalgefühle erweitert, wenn es bedenkt, daß sein Übergewicht an materiellen Kräften weniger sein Verdienst, als eine Gunst des Himmels, ein Fingerzeig für seine künftige Bestimmung ist" u. s. w. (S. 227). es ist „der gottgegebene Retter in der Not" (S. 239), während Friederich, der andre Briefsteller (es ist im Grunde Friedrich Roller, ein Freund Pfizers, der erst im Jahre 1884 starb) scharf Widerpart hält, Preußens damalige Mängel oft beißend hervorhebt und das ganze politisch vorausgeschrittene Selbstgefühl des Südwestdeutschen ausspricht: man wittert da die Gefahr einer Dreiteilung, die bis 1866 uns ängstigte, und die der Main¬ linie, die auch nach 1866 uns noch ohne Not geängstigt hat. Pfizers eigenste Gedanken läßt wieder ein Gedicht sehen, „Einst und Jetzt" S. 301; da schweift der Geistesblick vom heimischen Hohenstaufen hiu zu Kaiser Rothbart, der nur schlummert, rückwärts zu Kaiser Karl dem Großen, bis zum „heiligsten der Schatten, Hermann, der als Opfer fiel," aber auch vorwärts zu den Zollern, die ja anch einst von Schwaben aus ihre deutsche Bahn antraten: Gleich dem Aar, der einst entflogen Staufers Nachbar und im Flug Zollerns Ruhm bis an die Wogen Des entlegnen Ostmeers trug. So ist für das vaterländische Gefühl des Schwaben die Einheit des innersten Lebensfadens gewonnen zwischen alter und neuer Zeit, aber wir Andern freuen uns ja auch an dieser Einheit, an der alten Nachbarschaft des Hohenstaufen und Hohenzollern. Schade, daß auch Pfizer für den Schluß seiner Vision von dem Friedrich in Sibyllen Weissagung und Kaiser Sigismnnds Ausdeutung auf den Brandenburger Friedrich nichts wußte: Adler Friederichs des Großen! Gleich der Sonne decke du Die Verlaßuen, Heimatlosen Mit der goldnen Schwinge zu u. s. w. Was da die Stimme aus dem freien Süden hochherzig selbstentsagcnd nach dem Berlin von 1831 hinauf rief, das bei allem Hegeltum politisch im Garne Rußlands zappelte, das war eigentlich: wenn dn nicht willst, du

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/148>, abgerufen am 22.07.2024.