Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

überwinden, sie hatten ihn auch darin über sich selbst erhöht. Er läßt es dann
den Priester aussprechen, wie im Namen der Nation:


Und nun soll Geist und Herz entbrennen,
Vergangnes fühlen, Zukunft schaun:

fühlen, sein altes Wort für gründlich erfassen, bis ins Innerste verstehen, also:
die Vergangenheit gründlich erforschen, um von da aus einen Blick in die Zu¬
kunft zu gewinnen.

Auch das stand schon mit im Programm der Romantik (zuletzt doch auch
aus Herders Jdeenmasse abgeleitet), schon im Jahre 1798 von Friedrich Schlegel
in das knappe Wort gefaßt, das ein geflügeltes geworden ist: "Der Histo¬
riker ist ein rückwärts gekehrter Prophet" (Athenäum 1, 2, 20), von H. Heine
auf Schiller angewandt (die romantische Schule S. 85). Auf Deutschland in
seiner verzweifelten Lage im Jahre 1808 angewandt von Arnim, er schreibt da:
"Dadurch, daß wir erkennten, wie wir geworden, könnten wir zu einem tiefern
Bewußtsein unsrer selbst und zu einem festern Vertrauen auf die Natur unsers
Vaterlandes gelangen. Wenn es lange Zeit und gut war, daß Deutschland sich
in ruhiger Bewußtlosigkeit entwickelte, so machen die Andrange von außen, die
jetzt geschehen, es nötig, daß es in seinem Selbst sich zum Beschluß seiner Be¬
stimmung unter den Völkern sammle" (W. Scherer, I. Grimm S. 42).- Der
Gedanke lag eben für denkende Geister, die in der Höhe Trost suchten, in der
Luft der deutschen Verhältnisse. Hatte ihn doch auch schon Leibniz gehabt, der
deshalb Jahre lang beim kaiserlichen Hofe für Gründung einer historischen
Neichscommission wirkte, an deren Spitze er sich selbst dachte; das war in Wien
freilich vergebliche Mühe, schon den jesuitischen Einflüssen dort gegenüber, ebenso
wie seine langjährige Bemühung für Gründung einer deutschen Akademie, d. h.
einer "deutschgesinnten" Gesellschaft der Wissenschaften, die ihm dann in Berlin
gelang und in seinem Sinne durchaus die zusammenfassende Hebung des deutschen
Geistes und Lebens zum Zweck und Kern hatte, sein Leben lang der Mittel¬
punkt in seinem großen Denken für die Erneuerung und Rettung des Vater¬
landes. Der Gedanke an die Neubegründung vaterländischer Geschichtsforschung
in diesem Sinne ist nur ein Stück aus dem ganzen Plane und tauchte dann
in der Zeit der letzten Kämpfe um das Dasein und der ersten Erfolge von selbst
wieder auf, man konnte ihn aus der Zeit nehmen und brauchte ihn nicht erst
zu entlehnen. So ist er wohl unentlehnt selbständig bei Arnim, bei Goethe,
bei Stein. Denn die Nonunnznta, (?örrn.g.nig,6 nistorioa als Hauptarbeit der
"Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde" sind eine Schöpfung Steins,
womit Leibnizens und Goethes Gedanke zur schönsten Ausführung kommt. Stein
hat selbst mit Goethe darüber verhandelt im Sommer 1815, um ihn für den
Plan zu erwärmen; wie wenig ihm aber das gelang und wie kalt, um nicht
mehr zu sagen, sich Goethe nun dagegen verhielt, daß er seinen eignen hohen Ge-


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

überwinden, sie hatten ihn auch darin über sich selbst erhöht. Er läßt es dann
den Priester aussprechen, wie im Namen der Nation:


Und nun soll Geist und Herz entbrennen,
Vergangnes fühlen, Zukunft schaun:

fühlen, sein altes Wort für gründlich erfassen, bis ins Innerste verstehen, also:
die Vergangenheit gründlich erforschen, um von da aus einen Blick in die Zu¬
kunft zu gewinnen.

Auch das stand schon mit im Programm der Romantik (zuletzt doch auch
aus Herders Jdeenmasse abgeleitet), schon im Jahre 1798 von Friedrich Schlegel
in das knappe Wort gefaßt, das ein geflügeltes geworden ist: „Der Histo¬
riker ist ein rückwärts gekehrter Prophet" (Athenäum 1, 2, 20), von H. Heine
auf Schiller angewandt (die romantische Schule S. 85). Auf Deutschland in
seiner verzweifelten Lage im Jahre 1808 angewandt von Arnim, er schreibt da:
„Dadurch, daß wir erkennten, wie wir geworden, könnten wir zu einem tiefern
Bewußtsein unsrer selbst und zu einem festern Vertrauen auf die Natur unsers
Vaterlandes gelangen. Wenn es lange Zeit und gut war, daß Deutschland sich
in ruhiger Bewußtlosigkeit entwickelte, so machen die Andrange von außen, die
jetzt geschehen, es nötig, daß es in seinem Selbst sich zum Beschluß seiner Be¬
stimmung unter den Völkern sammle" (W. Scherer, I. Grimm S. 42).- Der
Gedanke lag eben für denkende Geister, die in der Höhe Trost suchten, in der
Luft der deutschen Verhältnisse. Hatte ihn doch auch schon Leibniz gehabt, der
deshalb Jahre lang beim kaiserlichen Hofe für Gründung einer historischen
Neichscommission wirkte, an deren Spitze er sich selbst dachte; das war in Wien
freilich vergebliche Mühe, schon den jesuitischen Einflüssen dort gegenüber, ebenso
wie seine langjährige Bemühung für Gründung einer deutschen Akademie, d. h.
einer „deutschgesinnten" Gesellschaft der Wissenschaften, die ihm dann in Berlin
gelang und in seinem Sinne durchaus die zusammenfassende Hebung des deutschen
Geistes und Lebens zum Zweck und Kern hatte, sein Leben lang der Mittel¬
punkt in seinem großen Denken für die Erneuerung und Rettung des Vater¬
landes. Der Gedanke an die Neubegründung vaterländischer Geschichtsforschung
in diesem Sinne ist nur ein Stück aus dem ganzen Plane und tauchte dann
in der Zeit der letzten Kämpfe um das Dasein und der ersten Erfolge von selbst
wieder auf, man konnte ihn aus der Zeit nehmen und brauchte ihn nicht erst
zu entlehnen. So ist er wohl unentlehnt selbständig bei Arnim, bei Goethe,
bei Stein. Denn die Nonunnznta, (?örrn.g.nig,6 nistorioa als Hauptarbeit der
„Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde" sind eine Schöpfung Steins,
womit Leibnizens und Goethes Gedanke zur schönsten Ausführung kommt. Stein
hat selbst mit Goethe darüber verhandelt im Sommer 1815, um ihn für den
Plan zu erwärmen; wie wenig ihm aber das gelang und wie kalt, um nicht
mehr zu sagen, sich Goethe nun dagegen verhielt, daß er seinen eignen hohen Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289265"/>
          <fw type="header" place="top"> Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_476" prev="#ID_475" next="#ID_477"> überwinden, sie hatten ihn auch darin über sich selbst erhöht. Er läßt es dann<lb/>
den Priester aussprechen, wie im Namen der Nation:</p><lb/>
          <quote> Und nun soll Geist und Herz entbrennen,<lb/>
Vergangnes fühlen, Zukunft schaun:</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_477" prev="#ID_476"> fühlen, sein altes Wort für gründlich erfassen, bis ins Innerste verstehen, also:<lb/>
die Vergangenheit gründlich erforschen, um von da aus einen Blick in die Zu¬<lb/>
kunft zu gewinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_478" next="#ID_479"> Auch das stand schon mit im Programm der Romantik (zuletzt doch auch<lb/>
aus Herders Jdeenmasse abgeleitet), schon im Jahre 1798 von Friedrich Schlegel<lb/>
in das knappe Wort gefaßt, das ein geflügeltes geworden ist: &#x201E;Der Histo¬<lb/>
riker ist ein rückwärts gekehrter Prophet" (Athenäum 1, 2, 20), von H. Heine<lb/>
auf Schiller angewandt (die romantische Schule S. 85). Auf Deutschland in<lb/>
seiner verzweifelten Lage im Jahre 1808 angewandt von Arnim, er schreibt da:<lb/>
&#x201E;Dadurch, daß wir erkennten, wie wir geworden, könnten wir zu einem tiefern<lb/>
Bewußtsein unsrer selbst und zu einem festern Vertrauen auf die Natur unsers<lb/>
Vaterlandes gelangen. Wenn es lange Zeit und gut war, daß Deutschland sich<lb/>
in ruhiger Bewußtlosigkeit entwickelte, so machen die Andrange von außen, die<lb/>
jetzt geschehen, es nötig, daß es in seinem Selbst sich zum Beschluß seiner Be¬<lb/>
stimmung unter den Völkern sammle" (W. Scherer, I. Grimm S. 42).- Der<lb/>
Gedanke lag eben für denkende Geister, die in der Höhe Trost suchten, in der<lb/>
Luft der deutschen Verhältnisse. Hatte ihn doch auch schon Leibniz gehabt, der<lb/>
deshalb Jahre lang beim kaiserlichen Hofe für Gründung einer historischen<lb/>
Neichscommission wirkte, an deren Spitze er sich selbst dachte; das war in Wien<lb/>
freilich vergebliche Mühe, schon den jesuitischen Einflüssen dort gegenüber, ebenso<lb/>
wie seine langjährige Bemühung für Gründung einer deutschen Akademie, d. h.<lb/>
einer &#x201E;deutschgesinnten" Gesellschaft der Wissenschaften, die ihm dann in Berlin<lb/>
gelang und in seinem Sinne durchaus die zusammenfassende Hebung des deutschen<lb/>
Geistes und Lebens zum Zweck und Kern hatte, sein Leben lang der Mittel¬<lb/>
punkt in seinem großen Denken für die Erneuerung und Rettung des Vater¬<lb/>
landes. Der Gedanke an die Neubegründung vaterländischer Geschichtsforschung<lb/>
in diesem Sinne ist nur ein Stück aus dem ganzen Plane und tauchte dann<lb/>
in der Zeit der letzten Kämpfe um das Dasein und der ersten Erfolge von selbst<lb/>
wieder auf, man konnte ihn aus der Zeit nehmen und brauchte ihn nicht erst<lb/>
zu entlehnen. So ist er wohl unentlehnt selbständig bei Arnim, bei Goethe,<lb/>
bei Stein. Denn die Nonunnznta, (?örrn.g.nig,6 nistorioa als Hauptarbeit der<lb/>
&#x201E;Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde" sind eine Schöpfung Steins,<lb/>
womit Leibnizens und Goethes Gedanke zur schönsten Ausführung kommt. Stein<lb/>
hat selbst mit Goethe darüber verhandelt im Sommer 1815, um ihn für den<lb/>
Plan zu erwärmen; wie wenig ihm aber das gelang und wie kalt, um nicht<lb/>
mehr zu sagen, sich Goethe nun dagegen verhielt, daß er seinen eignen hohen Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0142] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. überwinden, sie hatten ihn auch darin über sich selbst erhöht. Er läßt es dann den Priester aussprechen, wie im Namen der Nation: Und nun soll Geist und Herz entbrennen, Vergangnes fühlen, Zukunft schaun: fühlen, sein altes Wort für gründlich erfassen, bis ins Innerste verstehen, also: die Vergangenheit gründlich erforschen, um von da aus einen Blick in die Zu¬ kunft zu gewinnen. Auch das stand schon mit im Programm der Romantik (zuletzt doch auch aus Herders Jdeenmasse abgeleitet), schon im Jahre 1798 von Friedrich Schlegel in das knappe Wort gefaßt, das ein geflügeltes geworden ist: „Der Histo¬ riker ist ein rückwärts gekehrter Prophet" (Athenäum 1, 2, 20), von H. Heine auf Schiller angewandt (die romantische Schule S. 85). Auf Deutschland in seiner verzweifelten Lage im Jahre 1808 angewandt von Arnim, er schreibt da: „Dadurch, daß wir erkennten, wie wir geworden, könnten wir zu einem tiefern Bewußtsein unsrer selbst und zu einem festern Vertrauen auf die Natur unsers Vaterlandes gelangen. Wenn es lange Zeit und gut war, daß Deutschland sich in ruhiger Bewußtlosigkeit entwickelte, so machen die Andrange von außen, die jetzt geschehen, es nötig, daß es in seinem Selbst sich zum Beschluß seiner Be¬ stimmung unter den Völkern sammle" (W. Scherer, I. Grimm S. 42).- Der Gedanke lag eben für denkende Geister, die in der Höhe Trost suchten, in der Luft der deutschen Verhältnisse. Hatte ihn doch auch schon Leibniz gehabt, der deshalb Jahre lang beim kaiserlichen Hofe für Gründung einer historischen Neichscommission wirkte, an deren Spitze er sich selbst dachte; das war in Wien freilich vergebliche Mühe, schon den jesuitischen Einflüssen dort gegenüber, ebenso wie seine langjährige Bemühung für Gründung einer deutschen Akademie, d. h. einer „deutschgesinnten" Gesellschaft der Wissenschaften, die ihm dann in Berlin gelang und in seinem Sinne durchaus die zusammenfassende Hebung des deutschen Geistes und Lebens zum Zweck und Kern hatte, sein Leben lang der Mittel¬ punkt in seinem großen Denken für die Erneuerung und Rettung des Vater¬ landes. Der Gedanke an die Neubegründung vaterländischer Geschichtsforschung in diesem Sinne ist nur ein Stück aus dem ganzen Plane und tauchte dann in der Zeit der letzten Kämpfe um das Dasein und der ersten Erfolge von selbst wieder auf, man konnte ihn aus der Zeit nehmen und brauchte ihn nicht erst zu entlehnen. So ist er wohl unentlehnt selbständig bei Arnim, bei Goethe, bei Stein. Denn die Nonunnznta, (?örrn.g.nig,6 nistorioa als Hauptarbeit der „Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde" sind eine Schöpfung Steins, womit Leibnizens und Goethes Gedanke zur schönsten Ausführung kommt. Stein hat selbst mit Goethe darüber verhandelt im Sommer 1815, um ihn für den Plan zu erwärmen; wie wenig ihm aber das gelang und wie kalt, um nicht mehr zu sagen, sich Goethe nun dagegen verhielt, daß er seinen eignen hohen Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/142
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/142>, abgerufen am 22.07.2024.