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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Der Arbeiterkongreß in London.

Lederarbeiter. Weber, Bergleute u. dergl.), die er umfaßt. Der Kupferschmied,
der Stahlfedcrmacher, der Töpfer befaßt sich mit den Arbeitsgelegenheiten des Ge¬
werbes, innerhalb dessen er thätig ist, mit den Aussichten des Marktes, auf den die
von ihm angefertigte Ware vorzüglich geht, mit der Haltung der Meister und
Großindustriellen, in deren Lohn und Brot er steht oder beschäftigt zu werden
wünscht, aber niemals spricht er von der sozialen Frage. Die Maurer, die
Zimmerleute, die Bautischler sind durch ihren Fachvcrein Wohl unterrichtet über
die Preise, welche die Meister von den Bauherren verlangen und erhalten, über
die Löhne, die sie zahlen, sie wissen genau, wo rege Baulust herrscht und wo
nicht, wo nächstens viel gebaut werden wird und wo nicht; sie besprechen sich
mit ihren Handwerksgenossen über die Aussichten eines Streiks und ähnliche
Angelegenheiten, aber es fällt ihnen nicht im Traume ein, an den sozialistischen
Zukunftsstaat zu denken, der das Ideal der Herren Marx, Bebel und Liebknecht
ist, und wer ihnen mit Reden von solchen Utopien kommen wollte, würde bald
sehen, wie sie ihm achselzuckend den Rücken kehrten. Die Schmiede, Gießer
und Monteure, die in den Geschützfabriken arbeiten, unterhalten sich allerdings
über politische Fragen, aber nur über solche, die Krieg und Frieden, Vermehrung
oder bessere Ausrüstung der Armeen, Ausrüstung von Kriegsschiffen u. dergl.
betreffen, und studiren darüber auch die Zeitungen, weil ihr Handwerk bei der
Herstellung von Kanonen und dem Bedarf an solchen bedeutend interessirt ist,
aber wenn einer von ihnen den Einfall hätte, ihnen in einem Vortrage aus¬
einander zu setzen, wie ein Krieg oder ein Aufstand zur Bildung einer neuen
Gesellschaftsordnung führen könne, so würden die übrigen ihn zunächst nicht
begreifen und dann an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln. Diese nüchternen,
praktischen Menschen finden es unverständlich, daß deutsche Arbeiter, statt sich
in Gruppen, welche durch die Art und den Gegenstand ihrer Arbeit gegeben
sind, zusammenzuthun, um mit vereinten Kräften kräftiger und aussichtsvoller
die Verbesserung ihrer Lage betreiben und das damit Erreichte festhalten zu
können, sich auf abstrakte Spintisirereien und luftige Zukunftsträume verlegt
haben und dadurch mit ihrer Negierung in Zwiespalt und Gegnerschaft geraten
sind. Die Mitglieder der T^äg-Hinons werden, so haben wir uns den Ent¬
schluß zur Abweisung der deutschen Kollegen vorzustellen, an die Gefahr gedacht
haben, auf einem Kongresse, der rein praktische Fragen zu verhandeln bestimmt
ist, den internationalen Schutz des Arbeiters zu schaffen vorhat, lange und
breite Reden über die Notwendigkeit der Güterteilung, über gemeinschaftlichen
Besitz alles Grundeigentums, über freie Ehe, über Abschaffung der Religionen,
über Militarismus, Kosmopolitismus, Kollektivismus und wer weiß, welchen
Ismus sonst noch anhören und verdauen zu müssen. Es sieht aus, als hätten
sie bei ihrer Weigerung, die deutschen Arbeiter an der Versammlung teilnehmen
zu lassen, einem bloß formalen Einwände zu viel Gewicht beigelegt. Sie werden
indeß gewußt haben, daß die deutschen "Arbeiter," welche gekommen sein wurden,


Der Arbeiterkongreß in London.

Lederarbeiter. Weber, Bergleute u. dergl.), die er umfaßt. Der Kupferschmied,
der Stahlfedcrmacher, der Töpfer befaßt sich mit den Arbeitsgelegenheiten des Ge¬
werbes, innerhalb dessen er thätig ist, mit den Aussichten des Marktes, auf den die
von ihm angefertigte Ware vorzüglich geht, mit der Haltung der Meister und
Großindustriellen, in deren Lohn und Brot er steht oder beschäftigt zu werden
wünscht, aber niemals spricht er von der sozialen Frage. Die Maurer, die
Zimmerleute, die Bautischler sind durch ihren Fachvcrein Wohl unterrichtet über
die Preise, welche die Meister von den Bauherren verlangen und erhalten, über
die Löhne, die sie zahlen, sie wissen genau, wo rege Baulust herrscht und wo
nicht, wo nächstens viel gebaut werden wird und wo nicht; sie besprechen sich
mit ihren Handwerksgenossen über die Aussichten eines Streiks und ähnliche
Angelegenheiten, aber es fällt ihnen nicht im Traume ein, an den sozialistischen
Zukunftsstaat zu denken, der das Ideal der Herren Marx, Bebel und Liebknecht
ist, und wer ihnen mit Reden von solchen Utopien kommen wollte, würde bald
sehen, wie sie ihm achselzuckend den Rücken kehrten. Die Schmiede, Gießer
und Monteure, die in den Geschützfabriken arbeiten, unterhalten sich allerdings
über politische Fragen, aber nur über solche, die Krieg und Frieden, Vermehrung
oder bessere Ausrüstung der Armeen, Ausrüstung von Kriegsschiffen u. dergl.
betreffen, und studiren darüber auch die Zeitungen, weil ihr Handwerk bei der
Herstellung von Kanonen und dem Bedarf an solchen bedeutend interessirt ist,
aber wenn einer von ihnen den Einfall hätte, ihnen in einem Vortrage aus¬
einander zu setzen, wie ein Krieg oder ein Aufstand zur Bildung einer neuen
Gesellschaftsordnung führen könne, so würden die übrigen ihn zunächst nicht
begreifen und dann an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln. Diese nüchternen,
praktischen Menschen finden es unverständlich, daß deutsche Arbeiter, statt sich
in Gruppen, welche durch die Art und den Gegenstand ihrer Arbeit gegeben
sind, zusammenzuthun, um mit vereinten Kräften kräftiger und aussichtsvoller
die Verbesserung ihrer Lage betreiben und das damit Erreichte festhalten zu
können, sich auf abstrakte Spintisirereien und luftige Zukunftsträume verlegt
haben und dadurch mit ihrer Negierung in Zwiespalt und Gegnerschaft geraten
sind. Die Mitglieder der T^äg-Hinons werden, so haben wir uns den Ent¬
schluß zur Abweisung der deutschen Kollegen vorzustellen, an die Gefahr gedacht
haben, auf einem Kongresse, der rein praktische Fragen zu verhandeln bestimmt
ist, den internationalen Schutz des Arbeiters zu schaffen vorhat, lange und
breite Reden über die Notwendigkeit der Güterteilung, über gemeinschaftlichen
Besitz alles Grundeigentums, über freie Ehe, über Abschaffung der Religionen,
über Militarismus, Kosmopolitismus, Kollektivismus und wer weiß, welchen
Ismus sonst noch anhören und verdauen zu müssen. Es sieht aus, als hätten
sie bei ihrer Weigerung, die deutschen Arbeiter an der Versammlung teilnehmen
zu lassen, einem bloß formalen Einwände zu viel Gewicht beigelegt. Sie werden
indeß gewußt haben, daß die deutschen „Arbeiter," welche gekommen sein wurden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/14>, abgerufen am 22.07.2024.