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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Als die bösen Zeiten, die bösesten unsrer Geschichte, durchgelitten und durch¬
gekämpft waren, wobei Brandenburg-Preußen der ihm von der alten Prophe¬
zeiung des Kaisers Sigismund zugewiesenen Aufgabe genug gethan hatte, und
ein neuer Tag mit ahnungsvollem Morgenrot aufstieg nach der langen, bangen,
öden, kalten Nacht, die man sich ja um Jahrhunderte zurück ausdehnen kann,
da kam Goethen die Gelegenheit in die Hand, sich vor der Nation darüber aus¬
zusprechen. Als Aufforderung dazu konnte er schon im Jahre 1809 die Worte
in I. Pauls "Dämmerungen für Deutschland" (unsicher, ob Abend- oder Morgen¬
dämmerung) in der Vorrede ansehen: "Mit den deutschen Wunden sind zugleich
auch die deutschen Ohren offen, daher rede Heilsames, wer es vermag, und
möchten nur Männer, die es am besten vermöchten, jetzo nicht schweigen!" Schon
im Jahre 1793 mahnte ihn die Fürstin Gallitzin: "ach Lieber, Sie sollen
darauf denken, unsre schläfrige Nation etwas aufzuwecken über ihre jetzige Lage"
(Goethe-Jahrbuch 3, 285). Er hatte sich ja auch ausgesprochen über die po¬
litisch-nationalen Dinge von damals, in dem Mährchen vom Jahre 1796, aber
so im Tone des Mährchenrätsels, daß es bis heute noch nicht eigentlich gelöst
ist, was konnte der romantische "Spaß" im furchtbaren Ernst und Drang der
Zeit helfen? Nun kam aber im Mai 1814 von Berlin aus Jffland an ihn:
"Seit Luthers Reformation ist kein so hohes Werk, dünkt mich, geschehen, als
die jetzige Befreiung von Deutschland. Begeisterung hat alle Menschen ergriffen.
Es giebt keine höhere Feier als die, daß der erste Mann der Nation über diese
hohe Begebenheit schreibt." Und Jffland sprach im Sinne Tausender. Wer
nun aufatmend aufsah und sich umsah nach einem, der für die Nation und zu
ihr das Segenswort zu reden hätte, der sah Goethen in dieser Stelle, nachdem
Schiller zu früh abberufen war. Er war eben mehr für die Nation als bloß
Dichter, oder der Begriff Dichter rückte nun in der Erregung der Zeit von selbst
wieder in das alte Licht und die Würde ein, wie z. B. zu den Zeiten Walthers
von der Vogelweide, daß er zugleich der höchste nationale Berater und Prophet
zu sein habe. Las man doch noch 1839 im Vorwort der Ausgabe von Goethes
Briefen an die Gräfin Auguste zu Stolberg das merkwürdige Wort, aber recht
deutsch nach altem Begriffe: "Goethe ist, so lange die Deutschen keinen öffent¬
lichen politischen Charakter haben, der öffentlichste Charakter. Die Dankbarkeit,
Verehrung und Liebe, die wir alle in unserm Herzen aufgespart haben für einen
großen deutschen Mann, sind wir geneigt Einstweilen) zu übertragen auf einen
großen deutschen Dichter." Also, können wir fünfzig Jahre später nun sagen,
Goethe als Abschlagszahlung des deutschen Genius auf Bismarck genommen,
die Dichterwelt als Prophetie auf eine neue wirkliche Welt, für die sich dann
auch eine neue politische Form des Ganzen von selbst verstand. So tröstete
sich und seine Deutschen I. Paul im Jahre 1809 in den Dämmerungen und
mahnte in Prophetenhaltung: "Ist das vaterländische Feuer erloschen und haben
die Vestalen nicht gewacht, so holet es, wie der Römer seines von der Sonne


Grenzboten III. 1888. 17
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Als die bösen Zeiten, die bösesten unsrer Geschichte, durchgelitten und durch¬
gekämpft waren, wobei Brandenburg-Preußen der ihm von der alten Prophe¬
zeiung des Kaisers Sigismund zugewiesenen Aufgabe genug gethan hatte, und
ein neuer Tag mit ahnungsvollem Morgenrot aufstieg nach der langen, bangen,
öden, kalten Nacht, die man sich ja um Jahrhunderte zurück ausdehnen kann,
da kam Goethen die Gelegenheit in die Hand, sich vor der Nation darüber aus¬
zusprechen. Als Aufforderung dazu konnte er schon im Jahre 1809 die Worte
in I. Pauls „Dämmerungen für Deutschland" (unsicher, ob Abend- oder Morgen¬
dämmerung) in der Vorrede ansehen: „Mit den deutschen Wunden sind zugleich
auch die deutschen Ohren offen, daher rede Heilsames, wer es vermag, und
möchten nur Männer, die es am besten vermöchten, jetzo nicht schweigen!" Schon
im Jahre 1793 mahnte ihn die Fürstin Gallitzin: „ach Lieber, Sie sollen
darauf denken, unsre schläfrige Nation etwas aufzuwecken über ihre jetzige Lage"
(Goethe-Jahrbuch 3, 285). Er hatte sich ja auch ausgesprochen über die po¬
litisch-nationalen Dinge von damals, in dem Mährchen vom Jahre 1796, aber
so im Tone des Mährchenrätsels, daß es bis heute noch nicht eigentlich gelöst
ist, was konnte der romantische „Spaß" im furchtbaren Ernst und Drang der
Zeit helfen? Nun kam aber im Mai 1814 von Berlin aus Jffland an ihn:
„Seit Luthers Reformation ist kein so hohes Werk, dünkt mich, geschehen, als
die jetzige Befreiung von Deutschland. Begeisterung hat alle Menschen ergriffen.
Es giebt keine höhere Feier als die, daß der erste Mann der Nation über diese
hohe Begebenheit schreibt." Und Jffland sprach im Sinne Tausender. Wer
nun aufatmend aufsah und sich umsah nach einem, der für die Nation und zu
ihr das Segenswort zu reden hätte, der sah Goethen in dieser Stelle, nachdem
Schiller zu früh abberufen war. Er war eben mehr für die Nation als bloß
Dichter, oder der Begriff Dichter rückte nun in der Erregung der Zeit von selbst
wieder in das alte Licht und die Würde ein, wie z. B. zu den Zeiten Walthers
von der Vogelweide, daß er zugleich der höchste nationale Berater und Prophet
zu sein habe. Las man doch noch 1839 im Vorwort der Ausgabe von Goethes
Briefen an die Gräfin Auguste zu Stolberg das merkwürdige Wort, aber recht
deutsch nach altem Begriffe: „Goethe ist, so lange die Deutschen keinen öffent¬
lichen politischen Charakter haben, der öffentlichste Charakter. Die Dankbarkeit,
Verehrung und Liebe, die wir alle in unserm Herzen aufgespart haben für einen
großen deutschen Mann, sind wir geneigt Einstweilen) zu übertragen auf einen
großen deutschen Dichter." Also, können wir fünfzig Jahre später nun sagen,
Goethe als Abschlagszahlung des deutschen Genius auf Bismarck genommen,
die Dichterwelt als Prophetie auf eine neue wirkliche Welt, für die sich dann
auch eine neue politische Form des Ganzen von selbst verstand. So tröstete
sich und seine Deutschen I. Paul im Jahre 1809 in den Dämmerungen und
mahnte in Prophetenhaltung: „Ist das vaterländische Feuer erloschen und haben
die Vestalen nicht gewacht, so holet es, wie der Römer seines von der Sonne


Grenzboten III. 1888. 17
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[0137] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Als die bösen Zeiten, die bösesten unsrer Geschichte, durchgelitten und durch¬ gekämpft waren, wobei Brandenburg-Preußen der ihm von der alten Prophe¬ zeiung des Kaisers Sigismund zugewiesenen Aufgabe genug gethan hatte, und ein neuer Tag mit ahnungsvollem Morgenrot aufstieg nach der langen, bangen, öden, kalten Nacht, die man sich ja um Jahrhunderte zurück ausdehnen kann, da kam Goethen die Gelegenheit in die Hand, sich vor der Nation darüber aus¬ zusprechen. Als Aufforderung dazu konnte er schon im Jahre 1809 die Worte in I. Pauls „Dämmerungen für Deutschland" (unsicher, ob Abend- oder Morgen¬ dämmerung) in der Vorrede ansehen: „Mit den deutschen Wunden sind zugleich auch die deutschen Ohren offen, daher rede Heilsames, wer es vermag, und möchten nur Männer, die es am besten vermöchten, jetzo nicht schweigen!" Schon im Jahre 1793 mahnte ihn die Fürstin Gallitzin: „ach Lieber, Sie sollen darauf denken, unsre schläfrige Nation etwas aufzuwecken über ihre jetzige Lage" (Goethe-Jahrbuch 3, 285). Er hatte sich ja auch ausgesprochen über die po¬ litisch-nationalen Dinge von damals, in dem Mährchen vom Jahre 1796, aber so im Tone des Mährchenrätsels, daß es bis heute noch nicht eigentlich gelöst ist, was konnte der romantische „Spaß" im furchtbaren Ernst und Drang der Zeit helfen? Nun kam aber im Mai 1814 von Berlin aus Jffland an ihn: „Seit Luthers Reformation ist kein so hohes Werk, dünkt mich, geschehen, als die jetzige Befreiung von Deutschland. Begeisterung hat alle Menschen ergriffen. Es giebt keine höhere Feier als die, daß der erste Mann der Nation über diese hohe Begebenheit schreibt." Und Jffland sprach im Sinne Tausender. Wer nun aufatmend aufsah und sich umsah nach einem, der für die Nation und zu ihr das Segenswort zu reden hätte, der sah Goethen in dieser Stelle, nachdem Schiller zu früh abberufen war. Er war eben mehr für die Nation als bloß Dichter, oder der Begriff Dichter rückte nun in der Erregung der Zeit von selbst wieder in das alte Licht und die Würde ein, wie z. B. zu den Zeiten Walthers von der Vogelweide, daß er zugleich der höchste nationale Berater und Prophet zu sein habe. Las man doch noch 1839 im Vorwort der Ausgabe von Goethes Briefen an die Gräfin Auguste zu Stolberg das merkwürdige Wort, aber recht deutsch nach altem Begriffe: „Goethe ist, so lange die Deutschen keinen öffent¬ lichen politischen Charakter haben, der öffentlichste Charakter. Die Dankbarkeit, Verehrung und Liebe, die wir alle in unserm Herzen aufgespart haben für einen großen deutschen Mann, sind wir geneigt Einstweilen) zu übertragen auf einen großen deutschen Dichter." Also, können wir fünfzig Jahre später nun sagen, Goethe als Abschlagszahlung des deutschen Genius auf Bismarck genommen, die Dichterwelt als Prophetie auf eine neue wirkliche Welt, für die sich dann auch eine neue politische Form des Ganzen von selbst verstand. So tröstete sich und seine Deutschen I. Paul im Jahre 1809 in den Dämmerungen und mahnte in Prophetenhaltung: „Ist das vaterländische Feuer erloschen und haben die Vestalen nicht gewacht, so holet es, wie der Römer seines von der Sonne Grenzboten III. 1888. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/137>, abgerufen am 24.08.2024.