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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosoxhen.

alten Prophezeiung, der seinen Schild an den Weltgerichtsbaum henken sollte ze.,
der Erfüller von dem, was der große Friedrich begonnen hatte. Gerade auf
Friedrichs Schöpfung drückte der Corse, sein vermeintlicher Nachfolger, am
stärksten, um den letzten Widerstand loszuwerden, traf aber da die Stelle, in
der sich der deutsche Geist die größte Schnellkraft gesammelt hatte, die sich dann,
wie einst die Kraft der Cherusker gegen die Römer, gegen den vernichtenden
Druck aufschnellte und sich auch dem deutschen Volke mitteilen sollte, nicht nur
vorübergehend, sodaß auch der tragische Ausgang des Cheruskerhelden nun aus¬
blieb und sich in sein Gegenteil verkehrte, wie wir es selbst vollends erlebt
haben: die Geschichte hat uns endlich, endlich gewitzigt.

Auch die edeln Sänger der Befreiungskriege müssen übergangen werden,
Körner, Schenkendorf, Arndt, Fouqu6, Rückert, Kleist:c. (auch Fr. Schlegel erschien
nun unter ihnen), die, wie der Philosoph Fichte in seinen Reden an die Nation,
zugleich als echte Propheten wirkten, nicht in ferne Höhe schauend, sondern un¬
mittelbar in die Geister und Willen gewaltig eingreifend als Lenker, Sporner
und Ermutiger, zum Teil selbst mit dem Schwerte in der Hand. Nur von
Goethe muß noch die Rede sein, doch auch nur kurz, denn eine Besprechung
seines eigenartigen, ja seltsamen Verhältnisses zur deutschen Lebensfrage wäre
eine Arbeit für sich. Aber man fragt unwillkürlich nach ihm, wie man damals
that, was er zu den unerhörten Kämpfen und Nöten seines Vaterlandes dachte,
wollte und that, er, der sich so oft und früh schon selbst als Propheten gefühlt
und bezeichnet hat. Er war ja allein übrig von den Führern der großen Zeit,
an sich der größte von ihnen, während es Schillern wie Herdern, auch Klop-
stock und Kant eben noch erspart worden war, das längst geahnte tiefste Elend
ihres Volkes im Alter mit anzusehen.

Goethe war, kann man sagen, ganz Grieche geworden, d. h. auf dem von
Opitz eingeschlagenen Rettungswege bis ans Ende geschritten; er sah vom alten
Helicon auf die Barbarei der Zeit herab und auf die wilde Brandung der
culturzerstörenden Wogen der Politik, wie er es ansah, um dort auf heiliger
Kunsthöhe in sich ruhig bleiben zu können; flüchtete er sich doch nachher, merk¬
würdig genug zu einer Zeit, wo es nicht mehr nötig schien, noch weiter hinaus
in den "reinen Osten," um da "Patriarchenluft zu kosten" und bei seinem reinen
Blumenleben zu bleiben, ein rechter Vertreter der deutschen Ideologie. Auch
andre verwandte Geister hatten in Hellas ihre ästhetische Rettung aus der
deutschen Not gesucht, waren aber auch ins Vaterland zurückgekehrt, z. B. Schiller
im Tell. Auch Goethe that das endlich, versuchsweise schon in Hermann und
Dorothea, aber es wurde ihm schwer, und erst die wachsenden Erfolge der
romantischen Schule im Auslande brachten bei ihm das Gefühl zum Durch¬
bruch, wie es dem Hellenismus gegenüber nötig und einzig natürlich sei, wieder
"Zeitgenosse seiner selbst" zu werden, also den Riß, die Kluft im eignen Innern
aufzuheben. Eine solche Kluft zwischen sich und den Deutschen spricht aus


Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosoxhen.

alten Prophezeiung, der seinen Schild an den Weltgerichtsbaum henken sollte ze.,
der Erfüller von dem, was der große Friedrich begonnen hatte. Gerade auf
Friedrichs Schöpfung drückte der Corse, sein vermeintlicher Nachfolger, am
stärksten, um den letzten Widerstand loszuwerden, traf aber da die Stelle, in
der sich der deutsche Geist die größte Schnellkraft gesammelt hatte, die sich dann,
wie einst die Kraft der Cherusker gegen die Römer, gegen den vernichtenden
Druck aufschnellte und sich auch dem deutschen Volke mitteilen sollte, nicht nur
vorübergehend, sodaß auch der tragische Ausgang des Cheruskerhelden nun aus¬
blieb und sich in sein Gegenteil verkehrte, wie wir es selbst vollends erlebt
haben: die Geschichte hat uns endlich, endlich gewitzigt.

Auch die edeln Sänger der Befreiungskriege müssen übergangen werden,
Körner, Schenkendorf, Arndt, Fouqu6, Rückert, Kleist:c. (auch Fr. Schlegel erschien
nun unter ihnen), die, wie der Philosoph Fichte in seinen Reden an die Nation,
zugleich als echte Propheten wirkten, nicht in ferne Höhe schauend, sondern un¬
mittelbar in die Geister und Willen gewaltig eingreifend als Lenker, Sporner
und Ermutiger, zum Teil selbst mit dem Schwerte in der Hand. Nur von
Goethe muß noch die Rede sein, doch auch nur kurz, denn eine Besprechung
seines eigenartigen, ja seltsamen Verhältnisses zur deutschen Lebensfrage wäre
eine Arbeit für sich. Aber man fragt unwillkürlich nach ihm, wie man damals
that, was er zu den unerhörten Kämpfen und Nöten seines Vaterlandes dachte,
wollte und that, er, der sich so oft und früh schon selbst als Propheten gefühlt
und bezeichnet hat. Er war ja allein übrig von den Führern der großen Zeit,
an sich der größte von ihnen, während es Schillern wie Herdern, auch Klop-
stock und Kant eben noch erspart worden war, das längst geahnte tiefste Elend
ihres Volkes im Alter mit anzusehen.

Goethe war, kann man sagen, ganz Grieche geworden, d. h. auf dem von
Opitz eingeschlagenen Rettungswege bis ans Ende geschritten; er sah vom alten
Helicon auf die Barbarei der Zeit herab und auf die wilde Brandung der
culturzerstörenden Wogen der Politik, wie er es ansah, um dort auf heiliger
Kunsthöhe in sich ruhig bleiben zu können; flüchtete er sich doch nachher, merk¬
würdig genug zu einer Zeit, wo es nicht mehr nötig schien, noch weiter hinaus
in den „reinen Osten," um da „Patriarchenluft zu kosten" und bei seinem reinen
Blumenleben zu bleiben, ein rechter Vertreter der deutschen Ideologie. Auch
andre verwandte Geister hatten in Hellas ihre ästhetische Rettung aus der
deutschen Not gesucht, waren aber auch ins Vaterland zurückgekehrt, z. B. Schiller
im Tell. Auch Goethe that das endlich, versuchsweise schon in Hermann und
Dorothea, aber es wurde ihm schwer, und erst die wachsenden Erfolge der
romantischen Schule im Auslande brachten bei ihm das Gefühl zum Durch¬
bruch, wie es dem Hellenismus gegenüber nötig und einzig natürlich sei, wieder
„Zeitgenosse seiner selbst" zu werden, also den Riß, die Kluft im eignen Innern
aufzuheben. Eine solche Kluft zwischen sich und den Deutschen spricht aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/134>, abgerufen am 22.07.2024.