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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

Tiroler Schützen und 6 Regimenter Kavallerie eingeteilt sind, die trans-
leithanische rund 130000 Mann, die in 92 Bataillone Infanterie und 10 Re¬
gimenter Reiter zerfallen. Diese Landwehren sollen allerdings nur mit Zu¬
stimmung der betreffenden Volksvertretung außerhalb der Grenzen der Reichshälfte,
welche sie stellt und erhält, verwendet werden, doch darf der Kriegsherr in
Fällen der Not eine Ausnahme von der Regel macheu und die Genehmigung
dazu erst später einholen. So vermöchte Österreich-Ungarn im Falle eines
Krieges dem Feinde mehr als eine Million Soldaten über die Grenze entgegen¬
zusenden, wenn es in einem Landsturme das Mittel besäße, die Punkte im
Innern genügend zu besetzen, die hier gesichert werden müssen. Dazu sind
jedoch erst Anfänge vorhanden, und auch diese nur in Ungarn. Das Doppel¬
reich an der Donau leistet überhaupt auf militärischem Gebiete an sich zwar
recht ansehnliches, vergleichsweise aber doch nicht genug. Allerdings genügte
die vor zwanzig Jahren für den Kriegsstand des Heeres gesetzlich festgestellte
Zahl damals vollständig; gegenwärtig aber sollte und könnte mehr geschehen,
denn jetzt entspricht sie weder der inzwischen gewachsenen Ziffer der Bevölkerung,
noch den mittlerweile beträchtlich vermehrten Streitkräften der übrigen Staaten
Europas. Im Sommer 1868, als der Kriegsstand des österreichisch-ungarischen
Heeres in den Parlamenten zu Wien und Budapest beschlossen wurde, übernahm
man im wesentlichen die mit der Organisation der fünfziger Jahre bestimmte
Ziffer. Diese reichte auch für die damaligen Verhältnisse hin. Es gab in
Deutschland nur das Heer des Norddeutschen Bundes, neben dem im Süden
eine bairische, eine württembergische und eine badische Armee bestanden, die zwar
auf Grund einer Militärkonvention im Kriege an die Seite des Bundes treten
sollten, von denen aber niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, ob sie ihrer
Verpflichtung auch wirklich entsprechen würden. Die russischen Heere erholten
sich noch von den Wunden, die ihnen die Kriege auf der Krim, in den Donau¬
fürstentümern und in Polen geschlagen hatten. Italien war noch im Werden,
Rumänien und Serbien ebenfalls die Balkanfrage gab es noch nicht. Die Ver¬
teilung der politisch-militärischen Kräfte war also damals ganz anders als
heutzutage. Deutschland, Rußland, Italien, Frankreich, die Nachbarn Österreich-
Ungarns an der untern Donau und am Balkan haben seitdem ihre Wehrver¬
hältnisse nach Menge und Tüchtigkeit außerordentlich entwickelt. Nur die
österreichisch-ungarische Monarchie ist, wenigstens in einer Beziehung, stehen ge¬
blieben. Ihre Wehrkraft ist zwar innerlich tüchtiger geworden, aber ihre Linien¬
truppen zählen noch wie vor sechsunddreißig Jahren gesetzlich nur etwa 800000
Mann, obwohl die Bevölkerung der beiden Staaten derselben jetzt vierzig
Millionen erheblich übersteigt, und die infolge der 1868 eingeführten allgemeinen
Wehrpflicht verfügbaren Massen weder im Heere noch in der Landwehr ge¬
nügenden Raum finden, sodaß jedes Jahr ein starker Bruchteil derselben gar
nicht zur Ausbildung im Waffendienste herangezogen werden kann. Wenn man


Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

Tiroler Schützen und 6 Regimenter Kavallerie eingeteilt sind, die trans-
leithanische rund 130000 Mann, die in 92 Bataillone Infanterie und 10 Re¬
gimenter Reiter zerfallen. Diese Landwehren sollen allerdings nur mit Zu¬
stimmung der betreffenden Volksvertretung außerhalb der Grenzen der Reichshälfte,
welche sie stellt und erhält, verwendet werden, doch darf der Kriegsherr in
Fällen der Not eine Ausnahme von der Regel macheu und die Genehmigung
dazu erst später einholen. So vermöchte Österreich-Ungarn im Falle eines
Krieges dem Feinde mehr als eine Million Soldaten über die Grenze entgegen¬
zusenden, wenn es in einem Landsturme das Mittel besäße, die Punkte im
Innern genügend zu besetzen, die hier gesichert werden müssen. Dazu sind
jedoch erst Anfänge vorhanden, und auch diese nur in Ungarn. Das Doppel¬
reich an der Donau leistet überhaupt auf militärischem Gebiete an sich zwar
recht ansehnliches, vergleichsweise aber doch nicht genug. Allerdings genügte
die vor zwanzig Jahren für den Kriegsstand des Heeres gesetzlich festgestellte
Zahl damals vollständig; gegenwärtig aber sollte und könnte mehr geschehen,
denn jetzt entspricht sie weder der inzwischen gewachsenen Ziffer der Bevölkerung,
noch den mittlerweile beträchtlich vermehrten Streitkräften der übrigen Staaten
Europas. Im Sommer 1868, als der Kriegsstand des österreichisch-ungarischen
Heeres in den Parlamenten zu Wien und Budapest beschlossen wurde, übernahm
man im wesentlichen die mit der Organisation der fünfziger Jahre bestimmte
Ziffer. Diese reichte auch für die damaligen Verhältnisse hin. Es gab in
Deutschland nur das Heer des Norddeutschen Bundes, neben dem im Süden
eine bairische, eine württembergische und eine badische Armee bestanden, die zwar
auf Grund einer Militärkonvention im Kriege an die Seite des Bundes treten
sollten, von denen aber niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, ob sie ihrer
Verpflichtung auch wirklich entsprechen würden. Die russischen Heere erholten
sich noch von den Wunden, die ihnen die Kriege auf der Krim, in den Donau¬
fürstentümern und in Polen geschlagen hatten. Italien war noch im Werden,
Rumänien und Serbien ebenfalls die Balkanfrage gab es noch nicht. Die Ver¬
teilung der politisch-militärischen Kräfte war also damals ganz anders als
heutzutage. Deutschland, Rußland, Italien, Frankreich, die Nachbarn Österreich-
Ungarns an der untern Donau und am Balkan haben seitdem ihre Wehrver¬
hältnisse nach Menge und Tüchtigkeit außerordentlich entwickelt. Nur die
österreichisch-ungarische Monarchie ist, wenigstens in einer Beziehung, stehen ge¬
blieben. Ihre Wehrkraft ist zwar innerlich tüchtiger geworden, aber ihre Linien¬
truppen zählen noch wie vor sechsunddreißig Jahren gesetzlich nur etwa 800000
Mann, obwohl die Bevölkerung der beiden Staaten derselben jetzt vierzig
Millionen erheblich übersteigt, und die infolge der 1868 eingeführten allgemeinen
Wehrpflicht verfügbaren Massen weder im Heere noch in der Landwehr ge¬
nügenden Raum finden, sodaß jedes Jahr ein starker Bruchteil derselben gar
nicht zur Ausbildung im Waffendienste herangezogen werden kann. Wenn man


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[0123] Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner. Tiroler Schützen und 6 Regimenter Kavallerie eingeteilt sind, die trans- leithanische rund 130000 Mann, die in 92 Bataillone Infanterie und 10 Re¬ gimenter Reiter zerfallen. Diese Landwehren sollen allerdings nur mit Zu¬ stimmung der betreffenden Volksvertretung außerhalb der Grenzen der Reichshälfte, welche sie stellt und erhält, verwendet werden, doch darf der Kriegsherr in Fällen der Not eine Ausnahme von der Regel macheu und die Genehmigung dazu erst später einholen. So vermöchte Österreich-Ungarn im Falle eines Krieges dem Feinde mehr als eine Million Soldaten über die Grenze entgegen¬ zusenden, wenn es in einem Landsturme das Mittel besäße, die Punkte im Innern genügend zu besetzen, die hier gesichert werden müssen. Dazu sind jedoch erst Anfänge vorhanden, und auch diese nur in Ungarn. Das Doppel¬ reich an der Donau leistet überhaupt auf militärischem Gebiete an sich zwar recht ansehnliches, vergleichsweise aber doch nicht genug. Allerdings genügte die vor zwanzig Jahren für den Kriegsstand des Heeres gesetzlich festgestellte Zahl damals vollständig; gegenwärtig aber sollte und könnte mehr geschehen, denn jetzt entspricht sie weder der inzwischen gewachsenen Ziffer der Bevölkerung, noch den mittlerweile beträchtlich vermehrten Streitkräften der übrigen Staaten Europas. Im Sommer 1868, als der Kriegsstand des österreichisch-ungarischen Heeres in den Parlamenten zu Wien und Budapest beschlossen wurde, übernahm man im wesentlichen die mit der Organisation der fünfziger Jahre bestimmte Ziffer. Diese reichte auch für die damaligen Verhältnisse hin. Es gab in Deutschland nur das Heer des Norddeutschen Bundes, neben dem im Süden eine bairische, eine württembergische und eine badische Armee bestanden, die zwar auf Grund einer Militärkonvention im Kriege an die Seite des Bundes treten sollten, von denen aber niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, ob sie ihrer Verpflichtung auch wirklich entsprechen würden. Die russischen Heere erholten sich noch von den Wunden, die ihnen die Kriege auf der Krim, in den Donau¬ fürstentümern und in Polen geschlagen hatten. Italien war noch im Werden, Rumänien und Serbien ebenfalls die Balkanfrage gab es noch nicht. Die Ver¬ teilung der politisch-militärischen Kräfte war also damals ganz anders als heutzutage. Deutschland, Rußland, Italien, Frankreich, die Nachbarn Österreich- Ungarns an der untern Donau und am Balkan haben seitdem ihre Wehrver¬ hältnisse nach Menge und Tüchtigkeit außerordentlich entwickelt. Nur die österreichisch-ungarische Monarchie ist, wenigstens in einer Beziehung, stehen ge¬ blieben. Ihre Wehrkraft ist zwar innerlich tüchtiger geworden, aber ihre Linien¬ truppen zählen noch wie vor sechsunddreißig Jahren gesetzlich nur etwa 800000 Mann, obwohl die Bevölkerung der beiden Staaten derselben jetzt vierzig Millionen erheblich übersteigt, und die infolge der 1868 eingeführten allgemeinen Wehrpflicht verfügbaren Massen weder im Heere noch in der Landwehr ge¬ nügenden Raum finden, sodaß jedes Jahr ein starker Bruchteil derselben gar nicht zur Ausbildung im Waffendienste herangezogen werden kann. Wenn man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/123>, abgerufen am 24.08.2024.