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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszoit Kaiser Friedrichs.

Wurden von dem Fortschritt auf der einen Seite mit den jämmerlichsten
Liebesdiensten allerlei Interessen, nur nicht die des deutschen Volkes gepflegt,
so steigerte sich nach der andern Seite die Wut gegen die deutsche Regierung
bis zur offnen Teilnahme an den Bestrebungen des wildesten Anarchismus.
Der Schweizer Bundesrat hatte die Leiter des Sozialdemokraten, Bernstein,
Motteler, Tauscher, Schlüter, ausgewiesen. Darüber brachte die Volkszeitung
einen Artikel der gemeinsten Art; weil der Berner Bundesrat die Ausweisung
auch damit begründete, daß die Sprache des Sozialdemokraten, heftig und
oft beleidigend, die deutschen Behörden aufs tiefste verstimme, so wurde er, wie
die deutsche Regierung selbst, mit Hohn überschüttet: "man" ist groß, und ich
bin klein, das würde wohl auch, so sagte das Organ für jedermann, der wahre
Grund des Bundesrath gewesen sein. Aber "man" wird sehr bald erfahren,
daß "man" den Sozialdemokraten nicht getötet hat und auch nicht töten kann,
indem "man" heldenhafter Weise einige seiner Angestellten um ihre Existenz
bringt. Daß Tausende durch diesen Sozialdemokraten schon um ihre Existenz
gebracht worden sind, und er den besten Willen hatte, noch einige andre Tausende
um ihre Existenz zu bringen, dafür hat natürlich dieses "Organ" kein Wörtchen.

Mit welchen Mitteln die Freisinnigen arbeiten und welchen Charakter sie
in Wirklichkeit tragen, das trat einmal wieder recht deutlich bei einer Wahl,
bei der Stichwahl zu Altena-Iserlohn, zu Tage. Was die Demokraten immer
leugneten, was sie nie heuchlerischer und feiger leugneten, als unter dem neuen
Regiment, ihr Republikanertum, das wurde hier offenbart, als der Abgeordnete
Lenzmann den deutschfreisinnigen Kandidaten Langerhans damit empfahl, daß
er "ein entschiedener Republikaner" sei. Daran ist auch gar nicht zu zweifeln,
und so hinkte Herr Langerhans auf einer ultramontanen und einer demokratischen
Krücke in den Reichstag hinein. Bei all dem Republikanertum aber, in dessen
Bewußtsein sich die starken Seelen ihres Männerstolzes vor Königsthronen
stets rühmten, brachen sie doch in stürmischen Jubel aus, wenn einmal einer
der Ihrigen von einem Strahle der Gnadensonne getroffen wurde, wie das
in einer deutschfreisinnigcn Versammlung geschah, als mitgeteilt wurde, daß
von Forckenbeck den Stern zum roten Adlerorden bekommen habe. Wenn aber
so die Dekorirung eines der Ihrigen die Gesellschaft zu frenetischem Jubelsturm
begeisterte, so versuchten sie dagegen den guten Namen eines Mannes zu be¬
geifern, dem wider ihren Wunsch die kaiserliche Huld zu Teil geworden war;
über Gneist fiel die Freisinnige und die Volkszeitung mit bissiger Köterwut
her. Die eine sah nun "die jungen Herren Söhne von Gneist auf Landrat
studiren," wobei sie übrigens nichts andres thun würden, als was ein gewisser
Regierungsassessor a. D. einst auch, nur ohne den gewünschten Erfolg, gethan
hat, die andre widmete der Nobilitirung Greises einen ganzen Artikel, worin
Herr von Gneist "sich im Glänze seines neugebackenen Adels ausspreizt und
an der Spitze der Kartellbrüder als Tambourmajor marschirt"; er ist "der


Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszoit Kaiser Friedrichs.

Wurden von dem Fortschritt auf der einen Seite mit den jämmerlichsten
Liebesdiensten allerlei Interessen, nur nicht die des deutschen Volkes gepflegt,
so steigerte sich nach der andern Seite die Wut gegen die deutsche Regierung
bis zur offnen Teilnahme an den Bestrebungen des wildesten Anarchismus.
Der Schweizer Bundesrat hatte die Leiter des Sozialdemokraten, Bernstein,
Motteler, Tauscher, Schlüter, ausgewiesen. Darüber brachte die Volkszeitung
einen Artikel der gemeinsten Art; weil der Berner Bundesrat die Ausweisung
auch damit begründete, daß die Sprache des Sozialdemokraten, heftig und
oft beleidigend, die deutschen Behörden aufs tiefste verstimme, so wurde er, wie
die deutsche Regierung selbst, mit Hohn überschüttet: „man" ist groß, und ich
bin klein, das würde wohl auch, so sagte das Organ für jedermann, der wahre
Grund des Bundesrath gewesen sein. Aber „man" wird sehr bald erfahren,
daß „man" den Sozialdemokraten nicht getötet hat und auch nicht töten kann,
indem „man" heldenhafter Weise einige seiner Angestellten um ihre Existenz
bringt. Daß Tausende durch diesen Sozialdemokraten schon um ihre Existenz
gebracht worden sind, und er den besten Willen hatte, noch einige andre Tausende
um ihre Existenz zu bringen, dafür hat natürlich dieses „Organ" kein Wörtchen.

Mit welchen Mitteln die Freisinnigen arbeiten und welchen Charakter sie
in Wirklichkeit tragen, das trat einmal wieder recht deutlich bei einer Wahl,
bei der Stichwahl zu Altena-Iserlohn, zu Tage. Was die Demokraten immer
leugneten, was sie nie heuchlerischer und feiger leugneten, als unter dem neuen
Regiment, ihr Republikanertum, das wurde hier offenbart, als der Abgeordnete
Lenzmann den deutschfreisinnigen Kandidaten Langerhans damit empfahl, daß
er „ein entschiedener Republikaner" sei. Daran ist auch gar nicht zu zweifeln,
und so hinkte Herr Langerhans auf einer ultramontanen und einer demokratischen
Krücke in den Reichstag hinein. Bei all dem Republikanertum aber, in dessen
Bewußtsein sich die starken Seelen ihres Männerstolzes vor Königsthronen
stets rühmten, brachen sie doch in stürmischen Jubel aus, wenn einmal einer
der Ihrigen von einem Strahle der Gnadensonne getroffen wurde, wie das
in einer deutschfreisinnigcn Versammlung geschah, als mitgeteilt wurde, daß
von Forckenbeck den Stern zum roten Adlerorden bekommen habe. Wenn aber
so die Dekorirung eines der Ihrigen die Gesellschaft zu frenetischem Jubelsturm
begeisterte, so versuchten sie dagegen den guten Namen eines Mannes zu be¬
geifern, dem wider ihren Wunsch die kaiserliche Huld zu Teil geworden war;
über Gneist fiel die Freisinnige und die Volkszeitung mit bissiger Köterwut
her. Die eine sah nun „die jungen Herren Söhne von Gneist auf Landrat
studiren," wobei sie übrigens nichts andres thun würden, als was ein gewisser
Regierungsassessor a. D. einst auch, nur ohne den gewünschten Erfolg, gethan
hat, die andre widmete der Nobilitirung Greises einen ganzen Artikel, worin
Herr von Gneist „sich im Glänze seines neugebackenen Adels ausspreizt und
an der Spitze der Kartellbrüder als Tambourmajor marschirt"; er ist „der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/114>, abgerufen am 22.07.2024.