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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

Ein Gnadenerlaß vom 31. März brachte die erwartete Amnestie in einem
Umfange, der den Bestand der staatlichen Ordnung nicht gefährdete. Verurteilte,
deren Amnestirung den Bestand des Staates gefährden würde, wurden in den
Gnadenerlaß nicht eingeschlossen, also zunächst nicht die, welche in den Sozialisten¬
prozessen verurteilt worden sind. Das deutsche Volk billigte das bis auf die
tapfern Fortschrittshelden durchaus; eine Begnadigung jener Leute würde zuerst
von den Agitatoren selbst als Anerkennung der Berechtigung ihrer Bestrebungen
ausgenutzt worden sein. Wurde doch aus dem sozialistischen Lager in London
berichtet, daß die aus Deutschland ausgewiesenen Agitatoren mit fieberhafter
Ungeduld auf die Rückkehr in die Heimat warteten, wo jedem Einzelnen schon
wieder seine spezielle Aufgabe zugeteilt war. Nicht getroffen von der Amnestie
wurden ferner sämtliche Verbrecher wegen Landes- und Hochverrat. Auch das
geschah mit Billigung des deutschen Volkes; für Meuchelmord und Verschwörung
mit dem Auslande soll es keine Milde geben. Wie diese Ausnahmen aber be¬
urteilt wurden von den Freisinnigen, die mit jüdischer Aufdringlichkeit und
byzantinischer Schmeichelei den Kaiser und vornehmlich die Kaiserin von Tag
mehr umtanzten, ergiebt sich aus einem Artikel der Volkszeitung, "Die Amnestie"
überschrieben. Nachdem sie es als ein günstiges Vorzeichen für die Regierung
Kaiser Friedrichs genommen hat, "daß ihm die Gnade wie ein holder Engel des
Lichts vorausschwebt," will sie den Dank gegen Kaiser Friedrich nicht um ein
Atom dadurch gemindert sehen, daß die Vergehen gegen das Sozialistengesetz
nicht in den Gnadenerlaß hereingezogen worden seien. "Die Thatsache erklärt
sich vielmehr daraus, daß die Amnestie nicht nur von Kaiser Friedrich, sondern
auch von sämtlichen preußischen Ministern unterzeichnet ist. Die Namen Bis-
marck und Puttkamer enthalten die erschöpfende Antwort auf die Frage, wes¬
halb die sozialdemokratische Partei als solche von der Amnestie ausgeschlossen ist."
Die Volkszeitung befindet sich natürlich in dem Falle, sich "mit den Schranken,
welche durch das Staatsministerium dem Walten der königlichen Gnade gezogen
worden sind," nicht einverstanden erklären zu können. So war denn Kaiser
Friedrich auf einmal wieder eine Null geworden, indem er sich von seinen
Ministern vorschreiben ließ, wem und wie weit seine Gnade leuchten sollte.

Am schwachsinnigsten und heuchlerischsten benahmen sich aber die deutsch¬
freisinnigen Patrioten in der Battenberger Verlobungsgeschichte. Da sollte es sich
nicht ziemen, den zartesten Empfindungen des Fürstenhauses näher zu treten.
Wenn Fürst Bismarck 21/, Stunden lang mit Kaiser und Kaiserin über die
Tragweite dieser Heirat verhandelt hat, so wird er wohl auch für die Ent¬
sagung, die er hier von der kaiserlichen Mutter und Tochter verlangte, das als
einen Hauptgrund geltend gemacht haben, daß, wenn den zarten Empfindungen von
Großmutter, Mutter und Tochter in diesem Falle nachgegeben werden sollte, dann
möglicherweise Hunderttausende von deutschen Müttern, Frauen und Bräuten ihre
Söhne, Männer und Verlobten hergeben müßten. Das hätten doch die schwach-


Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

Ein Gnadenerlaß vom 31. März brachte die erwartete Amnestie in einem
Umfange, der den Bestand der staatlichen Ordnung nicht gefährdete. Verurteilte,
deren Amnestirung den Bestand des Staates gefährden würde, wurden in den
Gnadenerlaß nicht eingeschlossen, also zunächst nicht die, welche in den Sozialisten¬
prozessen verurteilt worden sind. Das deutsche Volk billigte das bis auf die
tapfern Fortschrittshelden durchaus; eine Begnadigung jener Leute würde zuerst
von den Agitatoren selbst als Anerkennung der Berechtigung ihrer Bestrebungen
ausgenutzt worden sein. Wurde doch aus dem sozialistischen Lager in London
berichtet, daß die aus Deutschland ausgewiesenen Agitatoren mit fieberhafter
Ungeduld auf die Rückkehr in die Heimat warteten, wo jedem Einzelnen schon
wieder seine spezielle Aufgabe zugeteilt war. Nicht getroffen von der Amnestie
wurden ferner sämtliche Verbrecher wegen Landes- und Hochverrat. Auch das
geschah mit Billigung des deutschen Volkes; für Meuchelmord und Verschwörung
mit dem Auslande soll es keine Milde geben. Wie diese Ausnahmen aber be¬
urteilt wurden von den Freisinnigen, die mit jüdischer Aufdringlichkeit und
byzantinischer Schmeichelei den Kaiser und vornehmlich die Kaiserin von Tag
mehr umtanzten, ergiebt sich aus einem Artikel der Volkszeitung, „Die Amnestie"
überschrieben. Nachdem sie es als ein günstiges Vorzeichen für die Regierung
Kaiser Friedrichs genommen hat, „daß ihm die Gnade wie ein holder Engel des
Lichts vorausschwebt," will sie den Dank gegen Kaiser Friedrich nicht um ein
Atom dadurch gemindert sehen, daß die Vergehen gegen das Sozialistengesetz
nicht in den Gnadenerlaß hereingezogen worden seien. „Die Thatsache erklärt
sich vielmehr daraus, daß die Amnestie nicht nur von Kaiser Friedrich, sondern
auch von sämtlichen preußischen Ministern unterzeichnet ist. Die Namen Bis-
marck und Puttkamer enthalten die erschöpfende Antwort auf die Frage, wes¬
halb die sozialdemokratische Partei als solche von der Amnestie ausgeschlossen ist."
Die Volkszeitung befindet sich natürlich in dem Falle, sich „mit den Schranken,
welche durch das Staatsministerium dem Walten der königlichen Gnade gezogen
worden sind," nicht einverstanden erklären zu können. So war denn Kaiser
Friedrich auf einmal wieder eine Null geworden, indem er sich von seinen
Ministern vorschreiben ließ, wem und wie weit seine Gnade leuchten sollte.

Am schwachsinnigsten und heuchlerischsten benahmen sich aber die deutsch¬
freisinnigen Patrioten in der Battenberger Verlobungsgeschichte. Da sollte es sich
nicht ziemen, den zartesten Empfindungen des Fürstenhauses näher zu treten.
Wenn Fürst Bismarck 21/, Stunden lang mit Kaiser und Kaiserin über die
Tragweite dieser Heirat verhandelt hat, so wird er wohl auch für die Ent¬
sagung, die er hier von der kaiserlichen Mutter und Tochter verlangte, das als
einen Hauptgrund geltend gemacht haben, daß, wenn den zarten Empfindungen von
Großmutter, Mutter und Tochter in diesem Falle nachgegeben werden sollte, dann
möglicherweise Hunderttausende von deutschen Müttern, Frauen und Bräuten ihre
Söhne, Männer und Verlobten hergeben müßten. Das hätten doch die schwach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/111>, abgerufen am 22.07.2024.