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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Der Arbeiterkongreß in London.

kürzung der Arbeitszeit, und es wurde vielfach Zwang nicht bloß gegen die
Arbeitgeber, sondern auch gegen die Arbeiter selbst angewendet, wenn letztere sich
dem betreffenden Vereine nicht anschließen oder seinem Willen nicht gehorchen
wollten. Es kam dabei sogar zu schweren Verbrechen, wie denn z. B. in Sheffield,
der Stadt der Messerschmiede, solche Widerspenstige meuchlerisch mit Windbüchse"
erschossen wurden und andern das Haus in die Luft gesprengt ward. Die frühern
^mas-IInions waren nicht viel mehr als Kassenvereine bestimmter Gewerke für
die Zeit, wo durch Feiern den Fabrikanten Zugeständnisse abgenötigt werden
sollten. Nachdem die Mitglieder ein oft ziemlich hohes Eintrittsgeld entrichtet
hatten, zahlten sie jede Woche einen Beitrag, der für alle gleich war und von
1 Penny bis zu 2 Schilling stieg. So entstand ein Reservefonds, der sich in
günstigen Jahren rasch vermehrte und der gestattete, die Mitglieder des Vereins
zu unterhalten, wenn es an Arbeit mangelte oder die Genossenschaft dem Unter¬
nehmer ihre Arbeit versagte. Dem für alle gleichen Beitrage entsprach dann
die für alle gleich bemessene Unterstützung. Die Verwaltung des Vereins wurde
durch einen Aufsichtsrat und einen Exekutivausschuß besorgt, welche jedes Jahr
durch geheime Abstimmung aller Mitglieder gewählt wurden. Der letztere be¬
stand aus einem Vorsitzenden, einem Kassirer und einem Schriftführer und hatte
die Beziehungen zu den Arbeitgebern zu pflegen, den Beginn und das Aufhören
von Streiks festzusetzen, die Höhe und Verteilung der Entschädigungen zu be¬
stimmen und über die Zulassung und Ausstoßung von Mitgliedern zu entscheiden.
Die großen Finanzfragen, z. B. die Ausschreibung eines außerordentlichen Bei¬
trages, der von allen Mitgliedern zu leisten sein sollte, wenn nur ein Teil der¬
selben feierte und die regelmäßigen Hilfsmittel des Vereins zu deren Unterhal¬
tung nicht genügten, war einer Versammlung der Gesamtheit vorbehalten. Die
Organisation der größten Gewerksverbände, z. B. der vereinigten Maschinenbauer,
der vereinigten Tischler und Zimmerleute, der beiden Genossenschaften der Maurer,
der Eisenarbeiter von Staffordshire und Nordengland, der Metallformer und
der Weber von Lancashire und der Bergleute war mehr gegliedert, indem sie
in viele Zweige zerfielen. Jeder Zweig bestand aus Arbeitern desselben Be¬
zirks, wählte seinen besondern Ausschuß und hatte seine besondre Kasse, die er
selbst verwaltete, über die er aber dem Generalrat jährlich einmal Rechnung ab¬
legen mußte. Letzterer wurde aus Abgeordneten zusammengesetzt, die von den
verschiednen Zweigen oder Logen nach der Zahl von deren Mitgliedern gewählt
wurden, und hatte zwei Beamte, einen Schriftführer und einen Schatzmeister,
die von diesen Abgeordneten unmittelbar zu ernennen waren. Die Logen be¬
schlossen an erster Stelle über Aufnahme von Bewerbern um die Mitgliedschaft,
über Ausschließung vom Vereine, über örtliche Arbeitseinstellungen und örtliche
Unterstützungen; aber man konnte dagegen an jene Zentralbehörde Berufung
einlegen, und der Zweigverein, der die Arbeit niederlegte, bevor er die Billigung
des Generalrates eingeholt hatte, wurde durch den Gesamtverein nicht unter-


Der Arbeiterkongreß in London.

kürzung der Arbeitszeit, und es wurde vielfach Zwang nicht bloß gegen die
Arbeitgeber, sondern auch gegen die Arbeiter selbst angewendet, wenn letztere sich
dem betreffenden Vereine nicht anschließen oder seinem Willen nicht gehorchen
wollten. Es kam dabei sogar zu schweren Verbrechen, wie denn z. B. in Sheffield,
der Stadt der Messerschmiede, solche Widerspenstige meuchlerisch mit Windbüchse»
erschossen wurden und andern das Haus in die Luft gesprengt ward. Die frühern
^mas-IInions waren nicht viel mehr als Kassenvereine bestimmter Gewerke für
die Zeit, wo durch Feiern den Fabrikanten Zugeständnisse abgenötigt werden
sollten. Nachdem die Mitglieder ein oft ziemlich hohes Eintrittsgeld entrichtet
hatten, zahlten sie jede Woche einen Beitrag, der für alle gleich war und von
1 Penny bis zu 2 Schilling stieg. So entstand ein Reservefonds, der sich in
günstigen Jahren rasch vermehrte und der gestattete, die Mitglieder des Vereins
zu unterhalten, wenn es an Arbeit mangelte oder die Genossenschaft dem Unter¬
nehmer ihre Arbeit versagte. Dem für alle gleichen Beitrage entsprach dann
die für alle gleich bemessene Unterstützung. Die Verwaltung des Vereins wurde
durch einen Aufsichtsrat und einen Exekutivausschuß besorgt, welche jedes Jahr
durch geheime Abstimmung aller Mitglieder gewählt wurden. Der letztere be¬
stand aus einem Vorsitzenden, einem Kassirer und einem Schriftführer und hatte
die Beziehungen zu den Arbeitgebern zu pflegen, den Beginn und das Aufhören
von Streiks festzusetzen, die Höhe und Verteilung der Entschädigungen zu be¬
stimmen und über die Zulassung und Ausstoßung von Mitgliedern zu entscheiden.
Die großen Finanzfragen, z. B. die Ausschreibung eines außerordentlichen Bei¬
trages, der von allen Mitgliedern zu leisten sein sollte, wenn nur ein Teil der¬
selben feierte und die regelmäßigen Hilfsmittel des Vereins zu deren Unterhal¬
tung nicht genügten, war einer Versammlung der Gesamtheit vorbehalten. Die
Organisation der größten Gewerksverbände, z. B. der vereinigten Maschinenbauer,
der vereinigten Tischler und Zimmerleute, der beiden Genossenschaften der Maurer,
der Eisenarbeiter von Staffordshire und Nordengland, der Metallformer und
der Weber von Lancashire und der Bergleute war mehr gegliedert, indem sie
in viele Zweige zerfielen. Jeder Zweig bestand aus Arbeitern desselben Be¬
zirks, wählte seinen besondern Ausschuß und hatte seine besondre Kasse, die er
selbst verwaltete, über die er aber dem Generalrat jährlich einmal Rechnung ab¬
legen mußte. Letzterer wurde aus Abgeordneten zusammengesetzt, die von den
verschiednen Zweigen oder Logen nach der Zahl von deren Mitgliedern gewählt
wurden, und hatte zwei Beamte, einen Schriftführer und einen Schatzmeister,
die von diesen Abgeordneten unmittelbar zu ernennen waren. Die Logen be¬
schlossen an erster Stelle über Aufnahme von Bewerbern um die Mitgliedschaft,
über Ausschließung vom Vereine, über örtliche Arbeitseinstellungen und örtliche
Unterstützungen; aber man konnte dagegen an jene Zentralbehörde Berufung
einlegen, und der Zweigverein, der die Arbeit niederlegte, bevor er die Billigung
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/10>, abgerufen am 22.07.2024.