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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Frauenfrage des vierten Standes.

gesteuert werden. Namentlich liegt es den Frauenvereinen ob, in diesen
Dingen Wandel zu schaffen. Daß dies möglich sein wird, bezweifle ich keines¬
wegs, und um so weniger, als ich der festen Überzeugung bin, daß es bei uns
zur Genüge edle Frauen giebt, denen das Wohl ihrer Schwestern niedern
Standes am Herzen liegt. Trotz alledem kann ich aber die Befürchtung nicht
unterdrücken, daß der Mehrzahl jener Frauen das Verständnis für eine richtige
Erkenntnis und Lösung der "Frauenfrage des vierten Standes" fehlt. "Logik
giebts für keine Frau," sagt Mirza-Schafft) und hat hiermit im großen und
ganzen nicht Unrecht. Daher ist ein kräftiges Eintreten und eine Unterstützung
der gebildeten Männer durchaus notwendig, wenn in Bezug auf die in Rede
stehenden Dinge etwas Befriedigendes erreicht werden soll.

Nachahmung verdient gewiß das Vorgehen einer Reihe von Frauen und
Mädchen aus den beste" Gesellschaftskreisen Wiens, die sich zusammengethan
haben, um eine "Produktivgeuossenschaft für Frauenhaudarbeit" ins Leben zu
rufen, deren Aufgabe darin bestehen soll, unter Beseitigung des Zwischen¬
händlers den Arbeiterinnen den für ihre Arbeit thatsächlich gezählten Waaren¬
preis zuzuführen, dadurch, daß die Genossenschaft in ihren eignen Verkaufs-
lokalen den unmittelbaren Absatz der von ihren Mitgliedern gelieferten Pro¬
dukte an Kaufleute und Publikum besorgt. Mit Recht bemerkt das Wiener
Komitee, das in einem Aufrufe zur Gcldmittelbeschaffung für diese (übrigens be¬
reits sicher gestellte) Genossenschaft auffordert: "Nicht von den Arbeiterinnen
selbst kann die Initiative zu diesem Hilfsunternehmen ausgehen. Sie sind
gänzlich außer stände, die Mittel zur Einrichtung einer solchen Genossenschaft
aufzubringen, auch wenn es denkbar wäre, daß diese armen, durch Überarbeitung,
Sorge und Entbehrung niedergedrückten, aller Teilname am geistigen Leben gänz¬
lich beraubten, oft bis zu vollkommenem moralischen Unvermögen herabgekommenen
Wesen Kraft und Mut zu einer solchen Agitation gewännen. Aber das eben
ist es, was wir Wollen: ihnen durch die erste Hilfe die weitere Selbsthilfe
ermöglichen." Weiterhin heißt es: "In der Organisirung und Verwaltung
des Unternehmens wird die Genossenschaft von einigen außerhalb der Arbeiter¬
kreise stehenden Personen so lange unterstützt werden, bis das Werk dauernd
gefestigt und die Mitglieder eben durch die neugeschaffne bessre Lage dahin
gelangt sein werden, die selbständige Führung der Geschäfte übernehmen zu
köunen. Dann werden die Arbeiterinnen, einmal auf ihre eignen Füße gestellt,
zu einer selbständigen, sich selbst verwaltenden Körperschaft vereinigt, in ihren
materiellen Lebensbedingungen erhoben, auch in geistiger und sittlicher Hinsicht
tüchtiger werden und vor den mannigfaltigen Gefahren bewahrt bleiben, denen
jede von materieller Sorge bedrängte, nun gar die im Elend dahin lebende
Frau ausgesetzt ist." Es ist zu wünschen, daß das Unternehmen von Erfolg
begleitet sein möge.

Die von den Wiener Frauen bethätigte Fürsorge für das Wohl der


Grenzboten IV. 1883. 11
Die Frauenfrage des vierten Standes.

gesteuert werden. Namentlich liegt es den Frauenvereinen ob, in diesen
Dingen Wandel zu schaffen. Daß dies möglich sein wird, bezweifle ich keines¬
wegs, und um so weniger, als ich der festen Überzeugung bin, daß es bei uns
zur Genüge edle Frauen giebt, denen das Wohl ihrer Schwestern niedern
Standes am Herzen liegt. Trotz alledem kann ich aber die Befürchtung nicht
unterdrücken, daß der Mehrzahl jener Frauen das Verständnis für eine richtige
Erkenntnis und Lösung der „Frauenfrage des vierten Standes" fehlt. „Logik
giebts für keine Frau," sagt Mirza-Schafft) und hat hiermit im großen und
ganzen nicht Unrecht. Daher ist ein kräftiges Eintreten und eine Unterstützung
der gebildeten Männer durchaus notwendig, wenn in Bezug auf die in Rede
stehenden Dinge etwas Befriedigendes erreicht werden soll.

Nachahmung verdient gewiß das Vorgehen einer Reihe von Frauen und
Mädchen aus den beste» Gesellschaftskreisen Wiens, die sich zusammengethan
haben, um eine „Produktivgeuossenschaft für Frauenhaudarbeit" ins Leben zu
rufen, deren Aufgabe darin bestehen soll, unter Beseitigung des Zwischen¬
händlers den Arbeiterinnen den für ihre Arbeit thatsächlich gezählten Waaren¬
preis zuzuführen, dadurch, daß die Genossenschaft in ihren eignen Verkaufs-
lokalen den unmittelbaren Absatz der von ihren Mitgliedern gelieferten Pro¬
dukte an Kaufleute und Publikum besorgt. Mit Recht bemerkt das Wiener
Komitee, das in einem Aufrufe zur Gcldmittelbeschaffung für diese (übrigens be¬
reits sicher gestellte) Genossenschaft auffordert: „Nicht von den Arbeiterinnen
selbst kann die Initiative zu diesem Hilfsunternehmen ausgehen. Sie sind
gänzlich außer stände, die Mittel zur Einrichtung einer solchen Genossenschaft
aufzubringen, auch wenn es denkbar wäre, daß diese armen, durch Überarbeitung,
Sorge und Entbehrung niedergedrückten, aller Teilname am geistigen Leben gänz¬
lich beraubten, oft bis zu vollkommenem moralischen Unvermögen herabgekommenen
Wesen Kraft und Mut zu einer solchen Agitation gewännen. Aber das eben
ist es, was wir Wollen: ihnen durch die erste Hilfe die weitere Selbsthilfe
ermöglichen." Weiterhin heißt es: „In der Organisirung und Verwaltung
des Unternehmens wird die Genossenschaft von einigen außerhalb der Arbeiter¬
kreise stehenden Personen so lange unterstützt werden, bis das Werk dauernd
gefestigt und die Mitglieder eben durch die neugeschaffne bessre Lage dahin
gelangt sein werden, die selbständige Führung der Geschäfte übernehmen zu
köunen. Dann werden die Arbeiterinnen, einmal auf ihre eignen Füße gestellt,
zu einer selbständigen, sich selbst verwaltenden Körperschaft vereinigt, in ihren
materiellen Lebensbedingungen erhoben, auch in geistiger und sittlicher Hinsicht
tüchtiger werden und vor den mannigfaltigen Gefahren bewahrt bleiben, denen
jede von materieller Sorge bedrängte, nun gar die im Elend dahin lebende
Frau ausgesetzt ist." Es ist zu wünschen, daß das Unternehmen von Erfolg
begleitet sein möge.

Die von den Wiener Frauen bethätigte Fürsorge für das Wohl der


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[0089] Die Frauenfrage des vierten Standes. gesteuert werden. Namentlich liegt es den Frauenvereinen ob, in diesen Dingen Wandel zu schaffen. Daß dies möglich sein wird, bezweifle ich keines¬ wegs, und um so weniger, als ich der festen Überzeugung bin, daß es bei uns zur Genüge edle Frauen giebt, denen das Wohl ihrer Schwestern niedern Standes am Herzen liegt. Trotz alledem kann ich aber die Befürchtung nicht unterdrücken, daß der Mehrzahl jener Frauen das Verständnis für eine richtige Erkenntnis und Lösung der „Frauenfrage des vierten Standes" fehlt. „Logik giebts für keine Frau," sagt Mirza-Schafft) und hat hiermit im großen und ganzen nicht Unrecht. Daher ist ein kräftiges Eintreten und eine Unterstützung der gebildeten Männer durchaus notwendig, wenn in Bezug auf die in Rede stehenden Dinge etwas Befriedigendes erreicht werden soll. Nachahmung verdient gewiß das Vorgehen einer Reihe von Frauen und Mädchen aus den beste» Gesellschaftskreisen Wiens, die sich zusammengethan haben, um eine „Produktivgeuossenschaft für Frauenhaudarbeit" ins Leben zu rufen, deren Aufgabe darin bestehen soll, unter Beseitigung des Zwischen¬ händlers den Arbeiterinnen den für ihre Arbeit thatsächlich gezählten Waaren¬ preis zuzuführen, dadurch, daß die Genossenschaft in ihren eignen Verkaufs- lokalen den unmittelbaren Absatz der von ihren Mitgliedern gelieferten Pro¬ dukte an Kaufleute und Publikum besorgt. Mit Recht bemerkt das Wiener Komitee, das in einem Aufrufe zur Gcldmittelbeschaffung für diese (übrigens be¬ reits sicher gestellte) Genossenschaft auffordert: „Nicht von den Arbeiterinnen selbst kann die Initiative zu diesem Hilfsunternehmen ausgehen. Sie sind gänzlich außer stände, die Mittel zur Einrichtung einer solchen Genossenschaft aufzubringen, auch wenn es denkbar wäre, daß diese armen, durch Überarbeitung, Sorge und Entbehrung niedergedrückten, aller Teilname am geistigen Leben gänz¬ lich beraubten, oft bis zu vollkommenem moralischen Unvermögen herabgekommenen Wesen Kraft und Mut zu einer solchen Agitation gewännen. Aber das eben ist es, was wir Wollen: ihnen durch die erste Hilfe die weitere Selbsthilfe ermöglichen." Weiterhin heißt es: „In der Organisirung und Verwaltung des Unternehmens wird die Genossenschaft von einigen außerhalb der Arbeiter¬ kreise stehenden Personen so lange unterstützt werden, bis das Werk dauernd gefestigt und die Mitglieder eben durch die neugeschaffne bessre Lage dahin gelangt sein werden, die selbständige Führung der Geschäfte übernehmen zu köunen. Dann werden die Arbeiterinnen, einmal auf ihre eignen Füße gestellt, zu einer selbständigen, sich selbst verwaltenden Körperschaft vereinigt, in ihren materiellen Lebensbedingungen erhoben, auch in geistiger und sittlicher Hinsicht tüchtiger werden und vor den mannigfaltigen Gefahren bewahrt bleiben, denen jede von materieller Sorge bedrängte, nun gar die im Elend dahin lebende Frau ausgesetzt ist." Es ist zu wünschen, daß das Unternehmen von Erfolg begleitet sein möge. Die von den Wiener Frauen bethätigte Fürsorge für das Wohl der Grenzboten IV. 1883. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/89>, abgerufen am 02.10.2024.