Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Die Frauenfrage des vierten Standes. Löhne von allen Gebildeten und namentlich von passend organistrten Ver¬
Heute aber liegen die Dinge so, daß die feinere "Dame" es einerseits ver¬ Die Frauenfrage des vierten Standes. Löhne von allen Gebildeten und namentlich von passend organistrten Ver¬
Heute aber liegen die Dinge so, daß die feinere „Dame" es einerseits ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203523"/> <fw type="header" place="top"> Die Frauenfrage des vierten Standes.</fw><lb/> <p xml:id="ID_190" prev="#ID_189" next="#ID_191"> Löhne von allen Gebildeten und namentlich von passend organistrten Ver¬<lb/> einigungen, insbesondre auch solchen der Frauen höhern Standes, kräftig<lb/> unterstützt werden, und endlich, daß die besser gestellten Frauen es verschmähen,<lb/> in das Erwerbsgebiet der den untern Volksklassen angehörenden Arbeiterinnen<lb/> in einer Weise, welche die letztern schädigt, einzugreifen. Es berührt in der<lb/> That befremdend, wenn „Damen" der bessern Kreise, die sonst nur hochmütig<lb/> auf die armen Arbeiterinnen herabzusehen Pflegen, mit diesen Arbeiterinnen<lb/> koukmriren, nicht etwa um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern um eines<lb/> Nebenverdienstes willen, ans welchem Luxusartikel und Toiletteugegeustände<lb/> beschafft, Ausgaben für Vergnügen, für Konzerte und Bälle bestritten werden.<lb/> Es ist nicht in Abrede zu stellen und für eine Reihe von Orten sogar nach¬<lb/> gewiesen worden, daß die Löhne gewisser Klassen von Arbeiterinnen in den<lb/> letzten Jahren deshalb erheblich gefallen sind, weil neuerdings die weib¬<lb/> lichen Angehörigen wohlhabender Familien den auf Erwerb angewiesenen Frauen<lb/> und Mädchen des Arbeiterstandes in höherm Maße Konkurrenz machen, als<lb/> es vordem der Fall war. Eine derartige Entwicklung der Dinge, die im<lb/> Interesse von Staat und Gesellschaft tief bedauert werden muß, ist natürlicher¬<lb/> weise von niemand freudiger begrüßt worden, als von den Arbeitgebern, die<lb/> nunmehr in die Lage gekommen sind, den Lohn der an sich schon erbärmlich<lb/> bezahlten eigentlichen Arbeiterinnen noch mehr zu schmälern. Es verdient gewiß<lb/> Anerkennung, wenn die Frauen und Mädchen aus dem wohlhabenden Mittel¬<lb/> stände ein Verlangen nach Beschäftigung und Erwerb bekunden; aber in gleichem<lb/> Maße verdient der Beweggrund Verurteilung, dem jenes Verlangen meist<lb/> entspringt. Zu wünschen und zu fordern wäre, daß die den bessern Ständen<lb/> angehörenden Mädchen eine gründlichere und umfassendere Ausbildung als<lb/> bisher erhielten und zu berufs- wie standesgemäßer Arbeit erzogen würden;<lb/> es ist zu verlangen, daß auch in wohlhabenden Familien auf die Hausfrau<lb/> die Schilderung aus der Glocke passe:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l> Und herrschet weise<lb/> Im häuslichen Kreise,<lb/> Und lehret die Mädchen<lb/> Und wehret den Knaben,<lb/> Und reget ohn' Ende<lb/> Die fleißigen Hände,<lb/> Und mehrt den Gewinn<lb/> Mit ordnenden Sinn.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_191" prev="#ID_190" next="#ID_192"> Heute aber liegen die Dinge so, daß die feinere „Dame" es einerseits ver¬<lb/> schmäht, sich mit der Führung des Haushaltes und den Sorgen der Kinder¬<lb/> erziehung abzugeben, das alles fremden Händen überläßt, anderseits aber sich<lb/> nicht schämt, als Konkurrentin ihrer ärmern Schwestern weibliche Arbeiten zu<lb/> wahren Schundpreisen auszuführen, um einen Fonds zur Deckung von Luxus¬<lb/> bedürfnissen zu gewinnen. Einem derartigen Unwesen sollte mit allen Kräften</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0088]
Die Frauenfrage des vierten Standes.
Löhne von allen Gebildeten und namentlich von passend organistrten Ver¬
einigungen, insbesondre auch solchen der Frauen höhern Standes, kräftig
unterstützt werden, und endlich, daß die besser gestellten Frauen es verschmähen,
in das Erwerbsgebiet der den untern Volksklassen angehörenden Arbeiterinnen
in einer Weise, welche die letztern schädigt, einzugreifen. Es berührt in der
That befremdend, wenn „Damen" der bessern Kreise, die sonst nur hochmütig
auf die armen Arbeiterinnen herabzusehen Pflegen, mit diesen Arbeiterinnen
koukmriren, nicht etwa um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern um eines
Nebenverdienstes willen, ans welchem Luxusartikel und Toiletteugegeustände
beschafft, Ausgaben für Vergnügen, für Konzerte und Bälle bestritten werden.
Es ist nicht in Abrede zu stellen und für eine Reihe von Orten sogar nach¬
gewiesen worden, daß die Löhne gewisser Klassen von Arbeiterinnen in den
letzten Jahren deshalb erheblich gefallen sind, weil neuerdings die weib¬
lichen Angehörigen wohlhabender Familien den auf Erwerb angewiesenen Frauen
und Mädchen des Arbeiterstandes in höherm Maße Konkurrenz machen, als
es vordem der Fall war. Eine derartige Entwicklung der Dinge, die im
Interesse von Staat und Gesellschaft tief bedauert werden muß, ist natürlicher¬
weise von niemand freudiger begrüßt worden, als von den Arbeitgebern, die
nunmehr in die Lage gekommen sind, den Lohn der an sich schon erbärmlich
bezahlten eigentlichen Arbeiterinnen noch mehr zu schmälern. Es verdient gewiß
Anerkennung, wenn die Frauen und Mädchen aus dem wohlhabenden Mittel¬
stände ein Verlangen nach Beschäftigung und Erwerb bekunden; aber in gleichem
Maße verdient der Beweggrund Verurteilung, dem jenes Verlangen meist
entspringt. Zu wünschen und zu fordern wäre, daß die den bessern Ständen
angehörenden Mädchen eine gründlichere und umfassendere Ausbildung als
bisher erhielten und zu berufs- wie standesgemäßer Arbeit erzogen würden;
es ist zu verlangen, daß auch in wohlhabenden Familien auf die Hausfrau
die Schilderung aus der Glocke passe:
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn' Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnenden Sinn.
Heute aber liegen die Dinge so, daß die feinere „Dame" es einerseits ver¬
schmäht, sich mit der Führung des Haushaltes und den Sorgen der Kinder¬
erziehung abzugeben, das alles fremden Händen überläßt, anderseits aber sich
nicht schämt, als Konkurrentin ihrer ärmern Schwestern weibliche Arbeiten zu
wahren Schundpreisen auszuführen, um einen Fonds zur Deckung von Luxus¬
bedürfnissen zu gewinnen. Einem derartigen Unwesen sollte mit allen Kräften
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