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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Frauenfrage des vierten Standes.

Es verbietet sich aus mancherlei Gründen, an dieser Stelle eingehende
statistische Mitteilungen über die Höhe der Arbeiterinnenlöhne zu geben. Nur
so viel sei bemerkt, daß diejenigen Frauen und Mädchen, welche Wochenlöhne
von drei bis fünf Mark (!!) erhalten, namentlich in unsern Großstädten nach vielen
Tausenden zählen.*) Daß aber Wochenlöhne von drei bis fünf Mark, ja selbst höhere
von fünf bis zehn Mark und mehr, nicht ausreichen, den naturgemäßen Lebens¬
unterhalt einer alleinstehenden Person zu decken, bedarf wohl eines Beweises
ebensowenig, wie die traurige Erscheinung einer Erklärung bedarf, daß diejenigen,
welche von ihrer Hände Arbeit nicht leben können und nicht verhungern wollen,
entweder auf die Bahn des Verbrechens gedrängt werden oder einen ergänzen¬
den Erwerbszweig in der Prostitution, in der Preisgebung ihrer Ehre und
ihrer Person zu suchen gezwungen sind. Solchen Zuständen ein Ende zu machen,
ist eine Aufgabe, deren Lösung mit allen Kräften angestrebt werden sollte.
Der ursächliche Zusammenhang zwischen Arbeiterinnenlöhnen und Prostitution
und, wie es neuerdings scheint, zwischen Arbeiterinnenlöhnen und der Zunahme
von Eigentumsvergehen weiblicher Personen bildet einen Schandfleck der
Gegenwart, der mit energischen Mitteln beseitigt zu werden verdient. Staat
und Gesellschaft müssen vereint die Schäden, für deren Bestehen sie verant¬
wortlich zu machen sind, zu heilen suchen. Vor allen Dingen aber mögen
jene Frauen, die mit Wort und Schrift eifrig für Frauenrechte und Frauen-
emanzipation kämpfen, also insbesondre Angehörige der sogenannten bessern
Stände, bei sich selbst Einkehr halten und ihren Schwestern niedern Standes
nach jeder Richtung hin Unterstützung und Hilfe angedeihen lassen. Nur wenn
dies geschieht, wenn die Frau des bessern und des Mittelstandes fernerhin
nicht mehr als gefährliche Konkurrentin der armen Arbeiterin auftritt, vielmehr
den Wert der Arbeit schätzen lernt und den Preis derselben in richtiger Weise
zu bestimmen versteht, nur dann läßt sich eine Besserung der heutigen Mi߬
stände erwarten.

Daß die Lösung der Lohnfrage sehr schwierig ist und nicht etwa in der
Weise erfolgen kann, daß nach sozialistischen Muster vom Staate Minimal¬
löhne festgesetzt werden, bedarf wohl keiner Ausführung. Ebenso leuchtet ein,
daß nur das Aufhören einer starken Volksvermehrung einerseits und eine den
Forderungen der Gerechtigkeit entsprechende Bemessung des Verhältnisses der
Lohnhöhe zur Arbeitsleistung anderseits durchgreifenden Wandel schaffen wird.
Eine Anbahnung der Lösung der Lohnfrage muß aber davon ausgehen, daß
die Unternehmer auf die sittlichen Pflichten, die sie ihren Arbeiterinnen gegen¬
über zu erfüllen haben, in deutlicherer Weise als bisher hingewiesen werden,
daß die Frauen und Mädchen der niedern Stände in der Forderung höherer



*) Leser, welche sich über die LohnbcrhMnissc der Arbeiterinnen näher unterrichten wollen,
gestatte ich mir auf meine im Verlage von Duncker u. Humblot in Leipzig erschienene Schrift
"Die Lage der Arbeiterinnen in den deutschen Großstädten" zu verweisen.
Die Frauenfrage des vierten Standes.

Es verbietet sich aus mancherlei Gründen, an dieser Stelle eingehende
statistische Mitteilungen über die Höhe der Arbeiterinnenlöhne zu geben. Nur
so viel sei bemerkt, daß diejenigen Frauen und Mädchen, welche Wochenlöhne
von drei bis fünf Mark (!!) erhalten, namentlich in unsern Großstädten nach vielen
Tausenden zählen.*) Daß aber Wochenlöhne von drei bis fünf Mark, ja selbst höhere
von fünf bis zehn Mark und mehr, nicht ausreichen, den naturgemäßen Lebens¬
unterhalt einer alleinstehenden Person zu decken, bedarf wohl eines Beweises
ebensowenig, wie die traurige Erscheinung einer Erklärung bedarf, daß diejenigen,
welche von ihrer Hände Arbeit nicht leben können und nicht verhungern wollen,
entweder auf die Bahn des Verbrechens gedrängt werden oder einen ergänzen¬
den Erwerbszweig in der Prostitution, in der Preisgebung ihrer Ehre und
ihrer Person zu suchen gezwungen sind. Solchen Zuständen ein Ende zu machen,
ist eine Aufgabe, deren Lösung mit allen Kräften angestrebt werden sollte.
Der ursächliche Zusammenhang zwischen Arbeiterinnenlöhnen und Prostitution
und, wie es neuerdings scheint, zwischen Arbeiterinnenlöhnen und der Zunahme
von Eigentumsvergehen weiblicher Personen bildet einen Schandfleck der
Gegenwart, der mit energischen Mitteln beseitigt zu werden verdient. Staat
und Gesellschaft müssen vereint die Schäden, für deren Bestehen sie verant¬
wortlich zu machen sind, zu heilen suchen. Vor allen Dingen aber mögen
jene Frauen, die mit Wort und Schrift eifrig für Frauenrechte und Frauen-
emanzipation kämpfen, also insbesondre Angehörige der sogenannten bessern
Stände, bei sich selbst Einkehr halten und ihren Schwestern niedern Standes
nach jeder Richtung hin Unterstützung und Hilfe angedeihen lassen. Nur wenn
dies geschieht, wenn die Frau des bessern und des Mittelstandes fernerhin
nicht mehr als gefährliche Konkurrentin der armen Arbeiterin auftritt, vielmehr
den Wert der Arbeit schätzen lernt und den Preis derselben in richtiger Weise
zu bestimmen versteht, nur dann läßt sich eine Besserung der heutigen Mi߬
stände erwarten.

Daß die Lösung der Lohnfrage sehr schwierig ist und nicht etwa in der
Weise erfolgen kann, daß nach sozialistischen Muster vom Staate Minimal¬
löhne festgesetzt werden, bedarf wohl keiner Ausführung. Ebenso leuchtet ein,
daß nur das Aufhören einer starken Volksvermehrung einerseits und eine den
Forderungen der Gerechtigkeit entsprechende Bemessung des Verhältnisses der
Lohnhöhe zur Arbeitsleistung anderseits durchgreifenden Wandel schaffen wird.
Eine Anbahnung der Lösung der Lohnfrage muß aber davon ausgehen, daß
die Unternehmer auf die sittlichen Pflichten, die sie ihren Arbeiterinnen gegen¬
über zu erfüllen haben, in deutlicherer Weise als bisher hingewiesen werden,
daß die Frauen und Mädchen der niedern Stände in der Forderung höherer



*) Leser, welche sich über die LohnbcrhMnissc der Arbeiterinnen näher unterrichten wollen,
gestatte ich mir auf meine im Verlage von Duncker u. Humblot in Leipzig erschienene Schrift
„Die Lage der Arbeiterinnen in den deutschen Großstädten" zu verweisen.
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[0087] Die Frauenfrage des vierten Standes. Es verbietet sich aus mancherlei Gründen, an dieser Stelle eingehende statistische Mitteilungen über die Höhe der Arbeiterinnenlöhne zu geben. Nur so viel sei bemerkt, daß diejenigen Frauen und Mädchen, welche Wochenlöhne von drei bis fünf Mark (!!) erhalten, namentlich in unsern Großstädten nach vielen Tausenden zählen.*) Daß aber Wochenlöhne von drei bis fünf Mark, ja selbst höhere von fünf bis zehn Mark und mehr, nicht ausreichen, den naturgemäßen Lebens¬ unterhalt einer alleinstehenden Person zu decken, bedarf wohl eines Beweises ebensowenig, wie die traurige Erscheinung einer Erklärung bedarf, daß diejenigen, welche von ihrer Hände Arbeit nicht leben können und nicht verhungern wollen, entweder auf die Bahn des Verbrechens gedrängt werden oder einen ergänzen¬ den Erwerbszweig in der Prostitution, in der Preisgebung ihrer Ehre und ihrer Person zu suchen gezwungen sind. Solchen Zuständen ein Ende zu machen, ist eine Aufgabe, deren Lösung mit allen Kräften angestrebt werden sollte. Der ursächliche Zusammenhang zwischen Arbeiterinnenlöhnen und Prostitution und, wie es neuerdings scheint, zwischen Arbeiterinnenlöhnen und der Zunahme von Eigentumsvergehen weiblicher Personen bildet einen Schandfleck der Gegenwart, der mit energischen Mitteln beseitigt zu werden verdient. Staat und Gesellschaft müssen vereint die Schäden, für deren Bestehen sie verant¬ wortlich zu machen sind, zu heilen suchen. Vor allen Dingen aber mögen jene Frauen, die mit Wort und Schrift eifrig für Frauenrechte und Frauen- emanzipation kämpfen, also insbesondre Angehörige der sogenannten bessern Stände, bei sich selbst Einkehr halten und ihren Schwestern niedern Standes nach jeder Richtung hin Unterstützung und Hilfe angedeihen lassen. Nur wenn dies geschieht, wenn die Frau des bessern und des Mittelstandes fernerhin nicht mehr als gefährliche Konkurrentin der armen Arbeiterin auftritt, vielmehr den Wert der Arbeit schätzen lernt und den Preis derselben in richtiger Weise zu bestimmen versteht, nur dann läßt sich eine Besserung der heutigen Mi߬ stände erwarten. Daß die Lösung der Lohnfrage sehr schwierig ist und nicht etwa in der Weise erfolgen kann, daß nach sozialistischen Muster vom Staate Minimal¬ löhne festgesetzt werden, bedarf wohl keiner Ausführung. Ebenso leuchtet ein, daß nur das Aufhören einer starken Volksvermehrung einerseits und eine den Forderungen der Gerechtigkeit entsprechende Bemessung des Verhältnisses der Lohnhöhe zur Arbeitsleistung anderseits durchgreifenden Wandel schaffen wird. Eine Anbahnung der Lösung der Lohnfrage muß aber davon ausgehen, daß die Unternehmer auf die sittlichen Pflichten, die sie ihren Arbeiterinnen gegen¬ über zu erfüllen haben, in deutlicherer Weise als bisher hingewiesen werden, daß die Frauen und Mädchen der niedern Stände in der Forderung höherer *) Leser, welche sich über die LohnbcrhMnissc der Arbeiterinnen näher unterrichten wollen, gestatte ich mir auf meine im Verlage von Duncker u. Humblot in Leipzig erschienene Schrift „Die Lage der Arbeiterinnen in den deutschen Großstädten" zu verweisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/87>, abgerufen am 22.07.2024.