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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Ginzelstaaten Deutschlands.

seits, Kaiser Maximilian, starb, ging die Herrschaft über Österreich und seine
Nebenländer und über Burgund gleichfalls auf den jugendlichen Fürsten über.
Noch in demselben Jahre wählten ihn die deutschen Kurfürsten zum Kaiser,
nachdem Friedrich der Weise von Sachsen die Wahl abgelehnt hatte, und am
22. Oktober 1520 empfing er in Aachen die Krone des heiligen Reiches. Damit
hatte er die höchste Würde in der Christenheit erlaugt, die sein ehrgeiziger und
ritterlicher Nebenbuhler Franz I. so gern mit der Krone von Frankreich ver¬
einigt hätte. Obwohl bereits durch den Kurverein zu Reuse die Giltigkeit der
Kaiserwahl auch ohne die päpstliche Genehmigung ausgesprochen war, und obwohl
auch sein Vorgänger den Titel: Msows Nom^uorum Jux<zrg,lor feierlich ange¬
nommen hatte, wollte er es dennoch nicht an der geistlichen Weihe fehlen lassen.
Vielleicht dachte er: Luvöi-llua non noosut, und empfing am 24. Februar 1530
zu Bologna die römische Kaiserkrone auch aus den Händen des Papstes, der
letzte unter den deutschen Kaisern, an dem diese Feierlichkeit vollzogen wurde.
So viele Kronen wie er hat vor ihm und nach ihm niemals ein Monarch
getragen, und mit Recht hieß es von dem Reiche, das er beherrschte, daß in
ihm niemals die Sonne untergehe. Mit ihm hatte das Haus Habsburg den
höchsten Gipfel seiner Macht und seines Glanzes erreicht.

Dieses ungeheure Weltreich Karls V. ging jedoch weit über die weitesten
Grenzen hinaus, die das deutsche Reich jemals gehabt hat; seine Zusammen¬
setzung kann daher hier einer eingehenderen Betrachtung nicht unterzogen werden.
Als der gewaltige Monarch, der es beherrscht hatte, gegen das Ende seines
Lebens, verzweifelnd an dem Gelingen seiner weitfliegenden Pläne, alle die
Kronen, die er getragen hatte, freiwillig niederlegte, um den höchsten Platz auf
Erden, den er eingenommen hatte, mit der Stille des Klosters zu vertauschen,
da teilte er seine Lande zwischen seinem Sohne und seinem Bruder. Der erstere,
Philipp, erhielt, außer Spanien und Indien, die oben erwähnten spanischen
Nebenländer in Italien, zu denen unter der Negierung seines Vaters noch
Mailand hinzugekommen war, und Burgund, d. h. die ganzen Niederlande und
die Freigrafschaft Burgund, 1a ?rg,ne.Kö tüonM. Diese letztern Gebiete wurden
damit allerdings noch nicht förmlich von dem Verbände des deutschen Reichs
abgelöst, sondern gehörten dem Namen nach noch lange dazu. Das Band, das
sie mit Deutschland verknüpfte, wurde aber durch diese Verfügung des Kaisers
derartig gelockert, die Entfremdung zwischen den Bewohnern dieser Provinzen
und dem Mutter- und Stammlande infolge der politischen Ereignisse der nächste"
Jahrhunderte so groß, daß man mit Recht behaupten kann, daß damals bereits
fast der ganze burgundische Kreis vom deutschen Reiche thatsächlich abgetrennt
worden sei. Auch als der südliche Teil der Niederlande, das heutige Belgien,
beinahe für ein Jahrhundert unter die Herrschaft der deutschen Linie des Hauses
Habsburg zurückkehrte, wurde an diesem thatsächlichen Verhältnisse im wesent¬
lichen nichts geändert.


Die Gebietsentwicklung der Ginzelstaaten Deutschlands.

seits, Kaiser Maximilian, starb, ging die Herrschaft über Österreich und seine
Nebenländer und über Burgund gleichfalls auf den jugendlichen Fürsten über.
Noch in demselben Jahre wählten ihn die deutschen Kurfürsten zum Kaiser,
nachdem Friedrich der Weise von Sachsen die Wahl abgelehnt hatte, und am
22. Oktober 1520 empfing er in Aachen die Krone des heiligen Reiches. Damit
hatte er die höchste Würde in der Christenheit erlaugt, die sein ehrgeiziger und
ritterlicher Nebenbuhler Franz I. so gern mit der Krone von Frankreich ver¬
einigt hätte. Obwohl bereits durch den Kurverein zu Reuse die Giltigkeit der
Kaiserwahl auch ohne die päpstliche Genehmigung ausgesprochen war, und obwohl
auch sein Vorgänger den Titel: Msows Nom^uorum Jux<zrg,lor feierlich ange¬
nommen hatte, wollte er es dennoch nicht an der geistlichen Weihe fehlen lassen.
Vielleicht dachte er: Luvöi-llua non noosut, und empfing am 24. Februar 1530
zu Bologna die römische Kaiserkrone auch aus den Händen des Papstes, der
letzte unter den deutschen Kaisern, an dem diese Feierlichkeit vollzogen wurde.
So viele Kronen wie er hat vor ihm und nach ihm niemals ein Monarch
getragen, und mit Recht hieß es von dem Reiche, das er beherrschte, daß in
ihm niemals die Sonne untergehe. Mit ihm hatte das Haus Habsburg den
höchsten Gipfel seiner Macht und seines Glanzes erreicht.

Dieses ungeheure Weltreich Karls V. ging jedoch weit über die weitesten
Grenzen hinaus, die das deutsche Reich jemals gehabt hat; seine Zusammen¬
setzung kann daher hier einer eingehenderen Betrachtung nicht unterzogen werden.
Als der gewaltige Monarch, der es beherrscht hatte, gegen das Ende seines
Lebens, verzweifelnd an dem Gelingen seiner weitfliegenden Pläne, alle die
Kronen, die er getragen hatte, freiwillig niederlegte, um den höchsten Platz auf
Erden, den er eingenommen hatte, mit der Stille des Klosters zu vertauschen,
da teilte er seine Lande zwischen seinem Sohne und seinem Bruder. Der erstere,
Philipp, erhielt, außer Spanien und Indien, die oben erwähnten spanischen
Nebenländer in Italien, zu denen unter der Negierung seines Vaters noch
Mailand hinzugekommen war, und Burgund, d. h. die ganzen Niederlande und
die Freigrafschaft Burgund, 1a ?rg,ne.Kö tüonM. Diese letztern Gebiete wurden
damit allerdings noch nicht förmlich von dem Verbände des deutschen Reichs
abgelöst, sondern gehörten dem Namen nach noch lange dazu. Das Band, das
sie mit Deutschland verknüpfte, wurde aber durch diese Verfügung des Kaisers
derartig gelockert, die Entfremdung zwischen den Bewohnern dieser Provinzen
und dem Mutter- und Stammlande infolge der politischen Ereignisse der nächste»
Jahrhunderte so groß, daß man mit Recht behaupten kann, daß damals bereits
fast der ganze burgundische Kreis vom deutschen Reiche thatsächlich abgetrennt
worden sei. Auch als der südliche Teil der Niederlande, das heutige Belgien,
beinahe für ein Jahrhundert unter die Herrschaft der deutschen Linie des Hauses
Habsburg zurückkehrte, wurde an diesem thatsächlichen Verhältnisse im wesent¬
lichen nichts geändert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/82>, abgerufen am 22.07.2024.