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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Vie Gebietsentwicklnng der Linzelstaaten Deutschlands.

aus dem engeren politischen Verbände mit Deutschland ausgeschieden. Wir
dürfen aber nicht etwa glauben, daß wir aus diesen beiden Gründen es uns nun
sparen könnten, die Gebietsentwicklung dieses Reiches in den Kreis unsrer
Betrachtung zu ziehen. Denn, wie schon angedeutet, diese beiden Thatsachen
selbst lassen sich erst völlig erklären und begreifen aus der eigentümlichen Um¬
wandlung der Gebietsverhältnisse, die dieser Staat durchgemacht hat. Ferner
hat Österreich doch allzulange zu Deutschland gehört, Und zwar nicht bloß
als Glied, sondern als Haupt des deutschen Rcichskörpers, sein Einfluß in
jeder Beziehung ist gar zu groß und nachhaltig gewesen, als daß wir es über¬
gehen könnten. Drittens aber ist die Gebietsentwicklung der wichtigsten
deutschen Staaten, Preußens, Baierns, Sachsens, Württembergs, Badens, so
sehr durch diejenige Österreichs beeinflußt worden, daß, ohne eine genauere
Kenntnis der letztern, auch die erstere nicht völlig verstanden werden kann.

Wir wollen jedoch bei diesem Staate ebensowenig, wie bei den andern,
die in Frage kommen, allzuweit in die Vergangenheit zurückgreifen. Der Grund
zu dem Reiche der Habsburger, zu der Macht dieses Hauses wurde gelegt auf
jenem weiten Blachfelde zwischen March und Donau, wo im Jahre 1278 am
26. August der tschechische König Ottokar von Böhmen aus dem Hause der
Przemysliden gegen den deutschen König Rudolf I. Krone und Leben verlor,
Infolge dieses Sieges kamen Österreich, Steiermark, Krain und die windische
Mark an das Haus Habsburg, und der Anfall von Kärnthen und Tirol wurde
damals bereits gesichert. Kärnthen fiel schon 1335 an Österreich mit dem Tode
des letzten Herzogs Heinrich; der Anfall von Tirol erfolgte im Jahre 1363,
als die letzte selbständige Gräfin dieses Landes, die Tochter jenes Herzogs
Heinrich, Margaret", von einem Schlosse in der Nähe von Terlan Margaret"
Maultasch genannt, sie an Österreich abtrat; damit zugleich vermachte sie dem
Hause Habsburg ihre Ansprüche auf die Grafschaft Görz. Die Versuche der
Fürsten dieses so rasch emporgestiegenen Hauses, die schweizerischen Urkantone,
über die ihren Vorfahren schon seit alters die Reichsvogtei zugestanden hatte, sich
ganz zu unterwerfen, mißlangen völlig. Die ältesten Stammlande des Geschlechts
im Kanton Aargau, der Wülpelsberg mit den Trümmern des Schlosses Habsburg
(Habichtsburg, oder nach einer andern Erklärung Burg in der Habe, im Eignen)
gingen ebenfalls an die Eidgenossen verloren. Dennoch gab das Gebiet, das dieses
Fürstengeschlecht beherrschte, Österreich mit den oben bezeichneten Nebenländern,
die sogenannten vorderösterreichischen Lande in der oberrheinischen Tiefebene,
die Besitzungen in Schwaben und dem heutigen Baiern, ihm eine so bedeutende
Machtstellung, daß der Herzog Rudolf (f 1365) seit dem Jahre 1359 den
Titel Erzherzog (ArolMux) annahm. Der Anspruch auf diesen einzig dastehenden
Titel wurde hergeleitet aus einem angeblichen Ausspruche Kaiser Friedrichs I.
Barbarossa aus dem Jahre 1156, wodurch die Herzöge von Österreich den
Kurfürsten des Reiches gleichgestellt worden wären. In der That übertrafen


Vie Gebietsentwicklnng der Linzelstaaten Deutschlands.

aus dem engeren politischen Verbände mit Deutschland ausgeschieden. Wir
dürfen aber nicht etwa glauben, daß wir aus diesen beiden Gründen es uns nun
sparen könnten, die Gebietsentwicklung dieses Reiches in den Kreis unsrer
Betrachtung zu ziehen. Denn, wie schon angedeutet, diese beiden Thatsachen
selbst lassen sich erst völlig erklären und begreifen aus der eigentümlichen Um¬
wandlung der Gebietsverhältnisse, die dieser Staat durchgemacht hat. Ferner
hat Österreich doch allzulange zu Deutschland gehört, Und zwar nicht bloß
als Glied, sondern als Haupt des deutschen Rcichskörpers, sein Einfluß in
jeder Beziehung ist gar zu groß und nachhaltig gewesen, als daß wir es über¬
gehen könnten. Drittens aber ist die Gebietsentwicklung der wichtigsten
deutschen Staaten, Preußens, Baierns, Sachsens, Württembergs, Badens, so
sehr durch diejenige Österreichs beeinflußt worden, daß, ohne eine genauere
Kenntnis der letztern, auch die erstere nicht völlig verstanden werden kann.

Wir wollen jedoch bei diesem Staate ebensowenig, wie bei den andern,
die in Frage kommen, allzuweit in die Vergangenheit zurückgreifen. Der Grund
zu dem Reiche der Habsburger, zu der Macht dieses Hauses wurde gelegt auf
jenem weiten Blachfelde zwischen March und Donau, wo im Jahre 1278 am
26. August der tschechische König Ottokar von Böhmen aus dem Hause der
Przemysliden gegen den deutschen König Rudolf I. Krone und Leben verlor,
Infolge dieses Sieges kamen Österreich, Steiermark, Krain und die windische
Mark an das Haus Habsburg, und der Anfall von Kärnthen und Tirol wurde
damals bereits gesichert. Kärnthen fiel schon 1335 an Österreich mit dem Tode
des letzten Herzogs Heinrich; der Anfall von Tirol erfolgte im Jahre 1363,
als die letzte selbständige Gräfin dieses Landes, die Tochter jenes Herzogs
Heinrich, Margaret«, von einem Schlosse in der Nähe von Terlan Margaret«
Maultasch genannt, sie an Österreich abtrat; damit zugleich vermachte sie dem
Hause Habsburg ihre Ansprüche auf die Grafschaft Görz. Die Versuche der
Fürsten dieses so rasch emporgestiegenen Hauses, die schweizerischen Urkantone,
über die ihren Vorfahren schon seit alters die Reichsvogtei zugestanden hatte, sich
ganz zu unterwerfen, mißlangen völlig. Die ältesten Stammlande des Geschlechts
im Kanton Aargau, der Wülpelsberg mit den Trümmern des Schlosses Habsburg
(Habichtsburg, oder nach einer andern Erklärung Burg in der Habe, im Eignen)
gingen ebenfalls an die Eidgenossen verloren. Dennoch gab das Gebiet, das dieses
Fürstengeschlecht beherrschte, Österreich mit den oben bezeichneten Nebenländern,
die sogenannten vorderösterreichischen Lande in der oberrheinischen Tiefebene,
die Besitzungen in Schwaben und dem heutigen Baiern, ihm eine so bedeutende
Machtstellung, daß der Herzog Rudolf (f 1365) seit dem Jahre 1359 den
Titel Erzherzog (ArolMux) annahm. Der Anspruch auf diesen einzig dastehenden
Titel wurde hergeleitet aus einem angeblichen Ausspruche Kaiser Friedrichs I.
Barbarossa aus dem Jahre 1156, wodurch die Herzöge von Österreich den
Kurfürsten des Reiches gleichgestellt worden wären. In der That übertrafen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/79>, abgerufen am 25.08.2024.