Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Privatklage.

durch die Organe des Staates, herbeizuführen. Aber auch abgesehen von diesem
allgemeinen Gesichtspunkte, der vielfach Anfechtung erfahren dürfte, spricht noch
gegen das Privatklageverfahren, daß es einen sehr verschiedenen Schutz gewährt.
Der geistig oder wirtschaftlich schwache wird in diesem Verfahren im Nachteile
sein gegenüber dem geistig oder wirtschaftlich starken. Der geistig gewandte oder
der für sein Geld durch eiuen geschickten Rechtsanwalt vertretene Angeklagte
wird nach dem ganzen Aufbau des Privatklagcverfahrens, wie er grundsätzlich
kaum zu ändern ist, fast immer einem weniger gewandten Privatkläger, der sich
eines Anwaltes der Kosten wegen nicht bedienen kann, die angestrebte Sühne
der Rechtsverletzung sehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen, und umge¬
kehrt wird unter Umständen ein geistig oder wirtschaftlich starker Privatkläger
eine größere Sühne erlangen können, als es der Lage des Falles entspricht.
Daß ein solches Ergebnis nicht die Ansprüche erfüllt, die man an ein Straf¬
verfahren macht, bedarf wohl keiner weitern Ausführung. Man wende nicht
ein, daß auch beim ordentlichen Strafverfahren eine derartige Überlegenheit des
Angeklagten von Einfluß auf den Ausgang des Strafprozesses sein könne. Es
mag das ja sein und wird sich auch beim besten Strafverfahren niemals ver¬
meiden lassen, allein dort ist doch in andrer Weise und insbesondre auch durch
die Person des Staatsanwalts dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den
Himmel wachsen, während im Privatklageverfahren die schwächere Partei, mag
sie auch die berechtigtere sein, oft schutzlos dasteht. Jeder, der das Privatklage¬
verfahren aus der Praxis kennt, weiß wohl, wie nicht selten derjenige, der einen
Angriff auf seine Ehre durch Erhebung einer Privatklage zurückweisen will, in
der Hauptverhandlung durch seineu Gegner oder dessen geschickten Verteidiger
noch weitere versteckte und offene Angriffe erfährt, die er sich gefallen lassen
muß, und die oft bitterer sind, als der erste Angriff, der zum ganzen Verfahren
Veranlassung gab.

Man sieht, es sprechen gewichtige Gründe gegen das Privatklageverfahren
überhaupt. Sie gelten naturgemäß auch gegen eine weitere Ausdehnung noch
auf andere Strafthaten. Nur die, die dem Staate überhaupt das Recht ab¬
sprechen, der alleinige Hüter der Rechtsordnung zu sein, können sich für ein Ver¬
fahren begeistern, das, nicht Fisch, nicht Fleisch, Strafprozeß und Zivilprozeß
verquickt und -- alle Wissenden werden das bezeugen -- nicht selten einen förm¬
lichen Handel mit Geld und angeblicher Schädigung zur Folge hat. Bezahlst
du zwanzig Mark und trägst die Kosten, so nehme ich die Privatklage zurück --
so hört man es häufig in und vor den Gerichtssälen. Ist solcher Handel nicht
widerwärtig, und wirft nicht schon der Umstand, daß er überhaupt möglich ist,
einen Makel auf das ganze Verfahren?

Dies möge hier genügen. Nur noch ein Punkt soll aus den Verhand¬
lungen des Juristentages hervorgehoben werden. Im Jahre 1876 haben Reichs¬
tag und Bundesrat des Reichs beschlossen, mit Rücksicht auf die zunehmende


Die Privatklage.

durch die Organe des Staates, herbeizuführen. Aber auch abgesehen von diesem
allgemeinen Gesichtspunkte, der vielfach Anfechtung erfahren dürfte, spricht noch
gegen das Privatklageverfahren, daß es einen sehr verschiedenen Schutz gewährt.
Der geistig oder wirtschaftlich schwache wird in diesem Verfahren im Nachteile
sein gegenüber dem geistig oder wirtschaftlich starken. Der geistig gewandte oder
der für sein Geld durch eiuen geschickten Rechtsanwalt vertretene Angeklagte
wird nach dem ganzen Aufbau des Privatklagcverfahrens, wie er grundsätzlich
kaum zu ändern ist, fast immer einem weniger gewandten Privatkläger, der sich
eines Anwaltes der Kosten wegen nicht bedienen kann, die angestrebte Sühne
der Rechtsverletzung sehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen, und umge¬
kehrt wird unter Umständen ein geistig oder wirtschaftlich starker Privatkläger
eine größere Sühne erlangen können, als es der Lage des Falles entspricht.
Daß ein solches Ergebnis nicht die Ansprüche erfüllt, die man an ein Straf¬
verfahren macht, bedarf wohl keiner weitern Ausführung. Man wende nicht
ein, daß auch beim ordentlichen Strafverfahren eine derartige Überlegenheit des
Angeklagten von Einfluß auf den Ausgang des Strafprozesses sein könne. Es
mag das ja sein und wird sich auch beim besten Strafverfahren niemals ver¬
meiden lassen, allein dort ist doch in andrer Weise und insbesondre auch durch
die Person des Staatsanwalts dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den
Himmel wachsen, während im Privatklageverfahren die schwächere Partei, mag
sie auch die berechtigtere sein, oft schutzlos dasteht. Jeder, der das Privatklage¬
verfahren aus der Praxis kennt, weiß wohl, wie nicht selten derjenige, der einen
Angriff auf seine Ehre durch Erhebung einer Privatklage zurückweisen will, in
der Hauptverhandlung durch seineu Gegner oder dessen geschickten Verteidiger
noch weitere versteckte und offene Angriffe erfährt, die er sich gefallen lassen
muß, und die oft bitterer sind, als der erste Angriff, der zum ganzen Verfahren
Veranlassung gab.

Man sieht, es sprechen gewichtige Gründe gegen das Privatklageverfahren
überhaupt. Sie gelten naturgemäß auch gegen eine weitere Ausdehnung noch
auf andere Strafthaten. Nur die, die dem Staate überhaupt das Recht ab¬
sprechen, der alleinige Hüter der Rechtsordnung zu sein, können sich für ein Ver¬
fahren begeistern, das, nicht Fisch, nicht Fleisch, Strafprozeß und Zivilprozeß
verquickt und — alle Wissenden werden das bezeugen — nicht selten einen förm¬
lichen Handel mit Geld und angeblicher Schädigung zur Folge hat. Bezahlst
du zwanzig Mark und trägst die Kosten, so nehme ich die Privatklage zurück —
so hört man es häufig in und vor den Gerichtssälen. Ist solcher Handel nicht
widerwärtig, und wirft nicht schon der Umstand, daß er überhaupt möglich ist,
einen Makel auf das ganze Verfahren?

Dies möge hier genügen. Nur noch ein Punkt soll aus den Verhand¬
lungen des Juristentages hervorgehoben werden. Im Jahre 1876 haben Reichs¬
tag und Bundesrat des Reichs beschlossen, mit Rücksicht auf die zunehmende


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203510"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Privatklage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_157" prev="#ID_156"> durch die Organe des Staates, herbeizuführen. Aber auch abgesehen von diesem<lb/>
allgemeinen Gesichtspunkte, der vielfach Anfechtung erfahren dürfte, spricht noch<lb/>
gegen das Privatklageverfahren, daß es einen sehr verschiedenen Schutz gewährt.<lb/>
Der geistig oder wirtschaftlich schwache wird in diesem Verfahren im Nachteile<lb/>
sein gegenüber dem geistig oder wirtschaftlich starken. Der geistig gewandte oder<lb/>
der für sein Geld durch eiuen geschickten Rechtsanwalt vertretene Angeklagte<lb/>
wird nach dem ganzen Aufbau des Privatklagcverfahrens, wie er grundsätzlich<lb/>
kaum zu ändern ist, fast immer einem weniger gewandten Privatkläger, der sich<lb/>
eines Anwaltes der Kosten wegen nicht bedienen kann, die angestrebte Sühne<lb/>
der Rechtsverletzung sehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen, und umge¬<lb/>
kehrt wird unter Umständen ein geistig oder wirtschaftlich starker Privatkläger<lb/>
eine größere Sühne erlangen können, als es der Lage des Falles entspricht.<lb/>
Daß ein solches Ergebnis nicht die Ansprüche erfüllt, die man an ein Straf¬<lb/>
verfahren macht, bedarf wohl keiner weitern Ausführung. Man wende nicht<lb/>
ein, daß auch beim ordentlichen Strafverfahren eine derartige Überlegenheit des<lb/>
Angeklagten von Einfluß auf den Ausgang des Strafprozesses sein könne. Es<lb/>
mag das ja sein und wird sich auch beim besten Strafverfahren niemals ver¬<lb/>
meiden lassen, allein dort ist doch in andrer Weise und insbesondre auch durch<lb/>
die Person des Staatsanwalts dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den<lb/>
Himmel wachsen, während im Privatklageverfahren die schwächere Partei, mag<lb/>
sie auch die berechtigtere sein, oft schutzlos dasteht. Jeder, der das Privatklage¬<lb/>
verfahren aus der Praxis kennt, weiß wohl, wie nicht selten derjenige, der einen<lb/>
Angriff auf seine Ehre durch Erhebung einer Privatklage zurückweisen will, in<lb/>
der Hauptverhandlung durch seineu Gegner oder dessen geschickten Verteidiger<lb/>
noch weitere versteckte und offene Angriffe erfährt, die er sich gefallen lassen<lb/>
muß, und die oft bitterer sind, als der erste Angriff, der zum ganzen Verfahren<lb/>
Veranlassung gab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_158"> Man sieht, es sprechen gewichtige Gründe gegen das Privatklageverfahren<lb/>
überhaupt. Sie gelten naturgemäß auch gegen eine weitere Ausdehnung noch<lb/>
auf andere Strafthaten. Nur die, die dem Staate überhaupt das Recht ab¬<lb/>
sprechen, der alleinige Hüter der Rechtsordnung zu sein, können sich für ein Ver¬<lb/>
fahren begeistern, das, nicht Fisch, nicht Fleisch, Strafprozeß und Zivilprozeß<lb/>
verquickt und &#x2014; alle Wissenden werden das bezeugen &#x2014; nicht selten einen förm¬<lb/>
lichen Handel mit Geld und angeblicher Schädigung zur Folge hat. Bezahlst<lb/>
du zwanzig Mark und trägst die Kosten, so nehme ich die Privatklage zurück &#x2014;<lb/>
so hört man es häufig in und vor den Gerichtssälen. Ist solcher Handel nicht<lb/>
widerwärtig, und wirft nicht schon der Umstand, daß er überhaupt möglich ist,<lb/>
einen Makel auf das ganze Verfahren?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_159" next="#ID_160"> Dies möge hier genügen. Nur noch ein Punkt soll aus den Verhand¬<lb/>
lungen des Juristentages hervorgehoben werden. Im Jahre 1876 haben Reichs¬<lb/>
tag und Bundesrat des Reichs beschlossen, mit Rücksicht auf die zunehmende</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0075] Die Privatklage. durch die Organe des Staates, herbeizuführen. Aber auch abgesehen von diesem allgemeinen Gesichtspunkte, der vielfach Anfechtung erfahren dürfte, spricht noch gegen das Privatklageverfahren, daß es einen sehr verschiedenen Schutz gewährt. Der geistig oder wirtschaftlich schwache wird in diesem Verfahren im Nachteile sein gegenüber dem geistig oder wirtschaftlich starken. Der geistig gewandte oder der für sein Geld durch eiuen geschickten Rechtsanwalt vertretene Angeklagte wird nach dem ganzen Aufbau des Privatklagcverfahrens, wie er grundsätzlich kaum zu ändern ist, fast immer einem weniger gewandten Privatkläger, der sich eines Anwaltes der Kosten wegen nicht bedienen kann, die angestrebte Sühne der Rechtsverletzung sehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen, und umge¬ kehrt wird unter Umständen ein geistig oder wirtschaftlich starker Privatkläger eine größere Sühne erlangen können, als es der Lage des Falles entspricht. Daß ein solches Ergebnis nicht die Ansprüche erfüllt, die man an ein Straf¬ verfahren macht, bedarf wohl keiner weitern Ausführung. Man wende nicht ein, daß auch beim ordentlichen Strafverfahren eine derartige Überlegenheit des Angeklagten von Einfluß auf den Ausgang des Strafprozesses sein könne. Es mag das ja sein und wird sich auch beim besten Strafverfahren niemals ver¬ meiden lassen, allein dort ist doch in andrer Weise und insbesondre auch durch die Person des Staatsanwalts dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, während im Privatklageverfahren die schwächere Partei, mag sie auch die berechtigtere sein, oft schutzlos dasteht. Jeder, der das Privatklage¬ verfahren aus der Praxis kennt, weiß wohl, wie nicht selten derjenige, der einen Angriff auf seine Ehre durch Erhebung einer Privatklage zurückweisen will, in der Hauptverhandlung durch seineu Gegner oder dessen geschickten Verteidiger noch weitere versteckte und offene Angriffe erfährt, die er sich gefallen lassen muß, und die oft bitterer sind, als der erste Angriff, der zum ganzen Verfahren Veranlassung gab. Man sieht, es sprechen gewichtige Gründe gegen das Privatklageverfahren überhaupt. Sie gelten naturgemäß auch gegen eine weitere Ausdehnung noch auf andere Strafthaten. Nur die, die dem Staate überhaupt das Recht ab¬ sprechen, der alleinige Hüter der Rechtsordnung zu sein, können sich für ein Ver¬ fahren begeistern, das, nicht Fisch, nicht Fleisch, Strafprozeß und Zivilprozeß verquickt und — alle Wissenden werden das bezeugen — nicht selten einen förm¬ lichen Handel mit Geld und angeblicher Schädigung zur Folge hat. Bezahlst du zwanzig Mark und trägst die Kosten, so nehme ich die Privatklage zurück — so hört man es häufig in und vor den Gerichtssälen. Ist solcher Handel nicht widerwärtig, und wirft nicht schon der Umstand, daß er überhaupt möglich ist, einen Makel auf das ganze Verfahren? Dies möge hier genügen. Nur noch ein Punkt soll aus den Verhand¬ lungen des Juristentages hervorgehoben werden. Im Jahre 1876 haben Reichs¬ tag und Bundesrat des Reichs beschlossen, mit Rücksicht auf die zunehmende

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/75
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/75>, abgerufen am 22.07.2024.