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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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ZVcihnachtsfest in einem Pfarrhause.

Rothschilds, der jüdische Bankier August Belmont (Schönberg) Jahrzehnte lang
der Vorsitzende und Schatzmeister des demokratischen Nationalausschusses seiner
Zeit war. Und es ist jedenfalls eine Wirkung dieser langjährigen Bekleidung
des wichtigsten Amtes in der Leitung der demokratischen Partei, daß sein Sohn,
Perry Belmont, schon vor Jahren nicht allein von einem der korrupten Tammany
Hall-Wahlbezirke New-Aorks in den Kongreß geschickt und an die Spitze des
Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten erhoben wurde, sondern daß er
eben jetzt, trotz der Niederlage seiner Partei, als Vertreter der Vereinigten
Staaten an den stolzen Hof von Madrid gehen wird, um dort einige Monate
wenigstens seiner Eitelkeit Befriedigung zuzufächeln. Der Sohn des Roth-
schildschen Finanzjuden wird von den ältesten Adelsgeschlechtern Europas auf
gleichem Fuße mit den übrigen Gesandten der Großmächte empfangen werden
müssen!




lveihnachtsfest in einem Pfarrhause.
L. Butte. von
(Schluß.)

ut der Sommer verrann. Fritz kehrte wieder in die Hauptstadt
zurück, und bei seiner Abreise hatte der Pfarrer finster und ver¬
schlossen dreingeschaut. Jetzt saß er einsam in seiner Studierstube
und wurde grau und alt. Um seine Augen legten sich tiefe
Furchen, und der Ausdruck seines Gesichts war nicht mehr so
fest und bestimmt, es war, als spielte sich ein heimlicher Kampf in seinem
Innern ab und machte ihn unsicher.

Lise ging still und bleich im Hanse umher. Der Vater konnte oft schweigend
dasitzen und sie bekümmert anschauen. Plötzlich stand er auf, trat an sie heran
und streichelte ihre Wange mit einem Ausdruck, als sehnte er sich darnach, ihr
etwas zu sagen, aber es kam stets das eine oder das andre dazwischen und
schloß ihm den Mund. Dann wandte er sich wieder ab und ging nicht wie
sonst gen Osten, sondern nach Westen auf den Friedhof. Dort konnte er
stundenlang sitzen, den Blick in die Ferne gerichtet, auf das unendliche Meer,
in das die Sonne versank.

Unten im Garten schössen die jungen Bäume wilde Triebe, Nesseln und
Unkraut wucherten üppig, und die Blumen der Pfarrerin erstickten darunter.


ZVcihnachtsfest in einem Pfarrhause.

Rothschilds, der jüdische Bankier August Belmont (Schönberg) Jahrzehnte lang
der Vorsitzende und Schatzmeister des demokratischen Nationalausschusses seiner
Zeit war. Und es ist jedenfalls eine Wirkung dieser langjährigen Bekleidung
des wichtigsten Amtes in der Leitung der demokratischen Partei, daß sein Sohn,
Perry Belmont, schon vor Jahren nicht allein von einem der korrupten Tammany
Hall-Wahlbezirke New-Aorks in den Kongreß geschickt und an die Spitze des
Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten erhoben wurde, sondern daß er
eben jetzt, trotz der Niederlage seiner Partei, als Vertreter der Vereinigten
Staaten an den stolzen Hof von Madrid gehen wird, um dort einige Monate
wenigstens seiner Eitelkeit Befriedigung zuzufächeln. Der Sohn des Roth-
schildschen Finanzjuden wird von den ältesten Adelsgeschlechtern Europas auf
gleichem Fuße mit den übrigen Gesandten der Großmächte empfangen werden
müssen!




lveihnachtsfest in einem Pfarrhause.
L. Butte. von
(Schluß.)

ut der Sommer verrann. Fritz kehrte wieder in die Hauptstadt
zurück, und bei seiner Abreise hatte der Pfarrer finster und ver¬
schlossen dreingeschaut. Jetzt saß er einsam in seiner Studierstube
und wurde grau und alt. Um seine Augen legten sich tiefe
Furchen, und der Ausdruck seines Gesichts war nicht mehr so
fest und bestimmt, es war, als spielte sich ein heimlicher Kampf in seinem
Innern ab und machte ihn unsicher.

Lise ging still und bleich im Hanse umher. Der Vater konnte oft schweigend
dasitzen und sie bekümmert anschauen. Plötzlich stand er auf, trat an sie heran
und streichelte ihre Wange mit einem Ausdruck, als sehnte er sich darnach, ihr
etwas zu sagen, aber es kam stets das eine oder das andre dazwischen und
schloß ihm den Mund. Dann wandte er sich wieder ab und ging nicht wie
sonst gen Osten, sondern nach Westen auf den Friedhof. Dort konnte er
stundenlang sitzen, den Blick in die Ferne gerichtet, auf das unendliche Meer,
in das die Sonne versank.

Unten im Garten schössen die jungen Bäume wilde Triebe, Nesseln und
Unkraut wucherten üppig, und die Blumen der Pfarrerin erstickten darunter.


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[0632] ZVcihnachtsfest in einem Pfarrhause. Rothschilds, der jüdische Bankier August Belmont (Schönberg) Jahrzehnte lang der Vorsitzende und Schatzmeister des demokratischen Nationalausschusses seiner Zeit war. Und es ist jedenfalls eine Wirkung dieser langjährigen Bekleidung des wichtigsten Amtes in der Leitung der demokratischen Partei, daß sein Sohn, Perry Belmont, schon vor Jahren nicht allein von einem der korrupten Tammany Hall-Wahlbezirke New-Aorks in den Kongreß geschickt und an die Spitze des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten erhoben wurde, sondern daß er eben jetzt, trotz der Niederlage seiner Partei, als Vertreter der Vereinigten Staaten an den stolzen Hof von Madrid gehen wird, um dort einige Monate wenigstens seiner Eitelkeit Befriedigung zuzufächeln. Der Sohn des Roth- schildschen Finanzjuden wird von den ältesten Adelsgeschlechtern Europas auf gleichem Fuße mit den übrigen Gesandten der Großmächte empfangen werden müssen! lveihnachtsfest in einem Pfarrhause. L. Butte. von (Schluß.) ut der Sommer verrann. Fritz kehrte wieder in die Hauptstadt zurück, und bei seiner Abreise hatte der Pfarrer finster und ver¬ schlossen dreingeschaut. Jetzt saß er einsam in seiner Studierstube und wurde grau und alt. Um seine Augen legten sich tiefe Furchen, und der Ausdruck seines Gesichts war nicht mehr so fest und bestimmt, es war, als spielte sich ein heimlicher Kampf in seinem Innern ab und machte ihn unsicher. Lise ging still und bleich im Hanse umher. Der Vater konnte oft schweigend dasitzen und sie bekümmert anschauen. Plötzlich stand er auf, trat an sie heran und streichelte ihre Wange mit einem Ausdruck, als sehnte er sich darnach, ihr etwas zu sagen, aber es kam stets das eine oder das andre dazwischen und schloß ihm den Mund. Dann wandte er sich wieder ab und ging nicht wie sonst gen Osten, sondern nach Westen auf den Friedhof. Dort konnte er stundenlang sitzen, den Blick in die Ferne gerichtet, auf das unendliche Meer, in das die Sonne versank. Unten im Garten schössen die jungen Bäume wilde Triebe, Nesseln und Unkraut wucherten üppig, und die Blumen der Pfarrerin erstickten darunter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/632>, abgerufen am 22.07.2024.