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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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bei den Deutsch- und Irisch-Amerikanern die wüste Roheit des Kneipcnlebens
zwar nicht entschuldigen, aber doch teilweise erklären, weiß der puritanische
Eifer des Ungko-Amerikaners sich keinen andern Rat, als dem Verkauf aller
berauschenden Getränke den Krieg zu erklären, und von (undurchführbaren) Ver¬
boten die wunderbare Heilung tief eingerissener schlechter Gewohnheiten und
nationaler Sitte oder Unsitte zu erwarten.

Und indem die republikanische Partei diesen trügender Hoffnungen der
Temperenzler und Prohibitivnisteu verschmitzt Vorschub leistet, um nur ihre
möglicherweise den Ausschlag gebenden Stimmen bei Präsidentenwahlen u. s. w.
sich zu sichern, drängt sie gerade dadurch die Bürger europäischer Geburt, und
darunter namentlich die Deutschamerikaner in das demokratische Lager zurück,
wo sie die Verteidiger der sogenannten persönlichen Freiheit zu sehen wähnen
und von ihren zu bloßen Geschäften gewordenen Zeitungen zu sehen belehrt werden.
Das "deutsche Element" kann unter solchen Umständen keinen sonderlich reinigen¬
den Einfluß ans den trüben Strom des politischen Lebens ausüben. Das
"Hemd" der Bierfreiheit ist ihm näher als der "Rock" des amerikanischen
Bürgers, d. h. als die Beteiligung an der wirksamen Bekämpfung der all¬
gemeinen Verderbnis. Und so tragen die Deutschamerikaner durch ihr eng¬
herziges Verhalten und ihr beschränktes Sonderwesen geradezu zur Stärkung
dieser Korruption bei, die in Tammany Hall-Klubs und andern Leithammel¬
verschwörungen ihre Malepartushöhlen seit Jahrzehnten besitzt und zu bewahren
weiß. Dazu kommt die finanzielle Abhängigkeit dieser Schnaps- und Bier¬
wirtschaften von wenigen großen Brauer- und Schnapsfirmen. Von zehntausend
solchen Wirtschaften in der Stadt New-York sind 1908 im Besitz von 20 Schnaps¬
händlern und Bierbrauern, die Hypotheken im Betrage von 1702136 Dollars
darauf haben. Ferner sind 4710 weitere Wirtschaften mit Hypotheken von
nahezu fünf Millionen belastet. Von diesen Schuldfordemngen besitzt eine
einzige Firma, Bernheimer und Schmidt, sechshundert, der Brauer Ehret nicht
weniger als dreihundert. Man begreift die unwiderstehliche Macht, die in den
Händen dieser Grvßgläubiger liegt. Sie können bei Wahlen die Mehrzahl
der zehntausend Wirtschaften mit einem Male in politische Thätigkeitshcerde in
bestimmter Richtung verwandeln. Ohne Zweifel verdankt der korrupte demo¬
kratische Gouverneur Hill seine Wiederwahl im November der vereinten eifrigen
Unterstützung der New-Iorker Brauer, Schnapshündler und ihrer Wirtschafts-
trabcmten. Hatte er doch im Frühjahr durch seineu Einspruch die hohe Be¬
steuerung aller Schankgcschcifte, welche die republikanische Staatsgesetzgebung
beschlossen hatte, glücklich wieder für das Jahr verhindert. Ein solcher Dienst
mußte belohnt werden, und eine schmutzige Hand wäscht die andre noch
schmutzigere.

Zuletzt steigt auch der Einfluß des Judentums allmählich aus deu Tiefen
auf die politische Oberfläche empor. Es ist kein bloßer Zufall, daß der Agent


bei den Deutsch- und Irisch-Amerikanern die wüste Roheit des Kneipcnlebens
zwar nicht entschuldigen, aber doch teilweise erklären, weiß der puritanische
Eifer des Ungko-Amerikaners sich keinen andern Rat, als dem Verkauf aller
berauschenden Getränke den Krieg zu erklären, und von (undurchführbaren) Ver¬
boten die wunderbare Heilung tief eingerissener schlechter Gewohnheiten und
nationaler Sitte oder Unsitte zu erwarten.

Und indem die republikanische Partei diesen trügender Hoffnungen der
Temperenzler und Prohibitivnisteu verschmitzt Vorschub leistet, um nur ihre
möglicherweise den Ausschlag gebenden Stimmen bei Präsidentenwahlen u. s. w.
sich zu sichern, drängt sie gerade dadurch die Bürger europäischer Geburt, und
darunter namentlich die Deutschamerikaner in das demokratische Lager zurück,
wo sie die Verteidiger der sogenannten persönlichen Freiheit zu sehen wähnen
und von ihren zu bloßen Geschäften gewordenen Zeitungen zu sehen belehrt werden.
Das „deutsche Element" kann unter solchen Umständen keinen sonderlich reinigen¬
den Einfluß ans den trüben Strom des politischen Lebens ausüben. Das
„Hemd" der Bierfreiheit ist ihm näher als der „Rock" des amerikanischen
Bürgers, d. h. als die Beteiligung an der wirksamen Bekämpfung der all¬
gemeinen Verderbnis. Und so tragen die Deutschamerikaner durch ihr eng¬
herziges Verhalten und ihr beschränktes Sonderwesen geradezu zur Stärkung
dieser Korruption bei, die in Tammany Hall-Klubs und andern Leithammel¬
verschwörungen ihre Malepartushöhlen seit Jahrzehnten besitzt und zu bewahren
weiß. Dazu kommt die finanzielle Abhängigkeit dieser Schnaps- und Bier¬
wirtschaften von wenigen großen Brauer- und Schnapsfirmen. Von zehntausend
solchen Wirtschaften in der Stadt New-York sind 1908 im Besitz von 20 Schnaps¬
händlern und Bierbrauern, die Hypotheken im Betrage von 1702136 Dollars
darauf haben. Ferner sind 4710 weitere Wirtschaften mit Hypotheken von
nahezu fünf Millionen belastet. Von diesen Schuldfordemngen besitzt eine
einzige Firma, Bernheimer und Schmidt, sechshundert, der Brauer Ehret nicht
weniger als dreihundert. Man begreift die unwiderstehliche Macht, die in den
Händen dieser Grvßgläubiger liegt. Sie können bei Wahlen die Mehrzahl
der zehntausend Wirtschaften mit einem Male in politische Thätigkeitshcerde in
bestimmter Richtung verwandeln. Ohne Zweifel verdankt der korrupte demo¬
kratische Gouverneur Hill seine Wiederwahl im November der vereinten eifrigen
Unterstützung der New-Iorker Brauer, Schnapshündler und ihrer Wirtschafts-
trabcmten. Hatte er doch im Frühjahr durch seineu Einspruch die hohe Be¬
steuerung aller Schankgcschcifte, welche die republikanische Staatsgesetzgebung
beschlossen hatte, glücklich wieder für das Jahr verhindert. Ein solcher Dienst
mußte belohnt werden, und eine schmutzige Hand wäscht die andre noch
schmutzigere.

Zuletzt steigt auch der Einfluß des Judentums allmählich aus deu Tiefen
auf die politische Oberfläche empor. Es ist kein bloßer Zufall, daß der Agent


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/631>, abgerufen am 22.07.2024.