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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die vereinigten Staaten im Lichte der letzten Präsidentenwahl.

Jahres im Hause des Kongresses angenommene Millsvorlage beantragt. Die
Wahlergebnisse des sechsten November beweisen, daß der Norden (mit Ausnahme
der kleinen Staaten New-Jersey und Connecticut) nicht allein wieder republi¬
kanisch geschlossen dem hartnäckig demokratischen Süden gegenübersteht, sondern
daß er sogar in die südliche Phalanx eingebrochen ist und einen Staat, West-
Virginien (mit sechs Wahlstimmen), aus der festen Gliederung herausgesprengt
hat. Benjamin Harrison ist mit 239 Wahlstiminen gegen 162 (bestehend aus
147 der Südstaaten, 9 von New-Jersey und 6 von Connecticut) für Cleveland
abgegebene zum Präsidenten für die Jahre 1889--1893 gewählt worden.

Dieser Ausgang ist ebenso überraschend für die Gegenwart wie beruhigend
für die Zukunft. Schon während des Wahlkampfes zeigte sichs, daß mit Aus¬
nahme der Großstädte (namentlich des Ostens) die Masse der Bevölkerung außer
Stande war, einen scharf ausgeprägten und grundsätzlichen Gegensatz zwischen
den beiden großen Parteien zu erkennen. Es handelte sich ja auf demokratischer Seite
nur um eine Herabsetzung der bestehenden hohen Zollsätze um durchschnittlich sechs
bis sieben Prozent, während auf republikanischer der Boden des Schutzzollsystems
durch die im September endlich durchgedrückte Vorlage der republikanischen Mehr¬
heit des Bundcssenats an mehreren Punkten durchlöchert und verlassen war. Die
für und wider den Schutzzoll gehaltenen Reden ließen namentlich die Bevölkerung
des großen Nordwestens kalt, und daher machte sich schon früh eine Unsicherheit
und Ungewißheit über die Richtung der schließliche" Entscheidung bemerkbar.
Daher die beispiellos lange Session des Kongresses, der geradezu zu der Rolle
eines stets neue Wahlkampfsmnnition beschaffender Lieferanten herabsank. Da-'
her die (freilich nicht zur Annahme gelangten) Gesetzentwürfe zum Schutze der
amerikanischen Arbeiter gegen die Überflutung europäischer Einwanderung. Daher
das fast ohne Debatte durchgejagte, dein eben mit China vereinbarten Vertrage
widersprechende drakonische Gesetz gegen den noch gefährlichern chinesischen Zuzug.
Daher der gesetzgeberische Wettlauf beider Parteien gegen die Übergriffe der
"Trusts", d. h. der Cartelle oder der Verbünde der Großindustriellen, gegen die
systematische Preistreiberei aller möglichen Waren durch die Syndikate des Gro߬
kapitals. Daher die fast ohne Debatte erfolgte Ablehnung des eben zwischen
den Vertretern Englands und den Vereinigten Staaten vereinbarten kanadischen
Fischereivertrages von Seiten des republikanischen Buudesseuats, und die noch
mehr vom Zaune gebrochene Drohung des demokratischen Präsidenten, die
Kanadier durch Ausschluß von der bisherigen Wareudurchfuhrbegünstigung auf
amerikanischem Gebiete zur Nachgiebigkeit zu zwinge". Daher in der letzten
Woche des Oktober jenes schmähliche Gaunerstück eines republikanischen Zeitungs¬
schreibers in Kalifornien, durch welches ein im Grunde harmloser Privatbrief
des englischen Gesandten mittels der üblichen Vergrößerungsgläser einer gierig
darüber herfallenden republikanischen Presse in ein ungeheuerliches Verbrechen,
und was die Hauptsache, in willkommenstes politisches Parteikapital verwandelt


Die vereinigten Staaten im Lichte der letzten Präsidentenwahl.

Jahres im Hause des Kongresses angenommene Millsvorlage beantragt. Die
Wahlergebnisse des sechsten November beweisen, daß der Norden (mit Ausnahme
der kleinen Staaten New-Jersey und Connecticut) nicht allein wieder republi¬
kanisch geschlossen dem hartnäckig demokratischen Süden gegenübersteht, sondern
daß er sogar in die südliche Phalanx eingebrochen ist und einen Staat, West-
Virginien (mit sechs Wahlstimmen), aus der festen Gliederung herausgesprengt
hat. Benjamin Harrison ist mit 239 Wahlstiminen gegen 162 (bestehend aus
147 der Südstaaten, 9 von New-Jersey und 6 von Connecticut) für Cleveland
abgegebene zum Präsidenten für die Jahre 1889—1893 gewählt worden.

Dieser Ausgang ist ebenso überraschend für die Gegenwart wie beruhigend
für die Zukunft. Schon während des Wahlkampfes zeigte sichs, daß mit Aus¬
nahme der Großstädte (namentlich des Ostens) die Masse der Bevölkerung außer
Stande war, einen scharf ausgeprägten und grundsätzlichen Gegensatz zwischen
den beiden großen Parteien zu erkennen. Es handelte sich ja auf demokratischer Seite
nur um eine Herabsetzung der bestehenden hohen Zollsätze um durchschnittlich sechs
bis sieben Prozent, während auf republikanischer der Boden des Schutzzollsystems
durch die im September endlich durchgedrückte Vorlage der republikanischen Mehr¬
heit des Bundcssenats an mehreren Punkten durchlöchert und verlassen war. Die
für und wider den Schutzzoll gehaltenen Reden ließen namentlich die Bevölkerung
des großen Nordwestens kalt, und daher machte sich schon früh eine Unsicherheit
und Ungewißheit über die Richtung der schließliche» Entscheidung bemerkbar.
Daher die beispiellos lange Session des Kongresses, der geradezu zu der Rolle
eines stets neue Wahlkampfsmnnition beschaffender Lieferanten herabsank. Da-'
her die (freilich nicht zur Annahme gelangten) Gesetzentwürfe zum Schutze der
amerikanischen Arbeiter gegen die Überflutung europäischer Einwanderung. Daher
das fast ohne Debatte durchgejagte, dein eben mit China vereinbarten Vertrage
widersprechende drakonische Gesetz gegen den noch gefährlichern chinesischen Zuzug.
Daher der gesetzgeberische Wettlauf beider Parteien gegen die Übergriffe der
„Trusts", d. h. der Cartelle oder der Verbünde der Großindustriellen, gegen die
systematische Preistreiberei aller möglichen Waren durch die Syndikate des Gro߬
kapitals. Daher die fast ohne Debatte erfolgte Ablehnung des eben zwischen
den Vertretern Englands und den Vereinigten Staaten vereinbarten kanadischen
Fischereivertrages von Seiten des republikanischen Buudesseuats, und die noch
mehr vom Zaune gebrochene Drohung des demokratischen Präsidenten, die
Kanadier durch Ausschluß von der bisherigen Wareudurchfuhrbegünstigung auf
amerikanischem Gebiete zur Nachgiebigkeit zu zwinge». Daher in der letzten
Woche des Oktober jenes schmähliche Gaunerstück eines republikanischen Zeitungs¬
schreibers in Kalifornien, durch welches ein im Grunde harmloser Privatbrief
des englischen Gesandten mittels der üblichen Vergrößerungsgläser einer gierig
darüber herfallenden republikanischen Presse in ein ungeheuerliches Verbrechen,
und was die Hauptsache, in willkommenstes politisches Parteikapital verwandelt


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[0627] Die vereinigten Staaten im Lichte der letzten Präsidentenwahl. Jahres im Hause des Kongresses angenommene Millsvorlage beantragt. Die Wahlergebnisse des sechsten November beweisen, daß der Norden (mit Ausnahme der kleinen Staaten New-Jersey und Connecticut) nicht allein wieder republi¬ kanisch geschlossen dem hartnäckig demokratischen Süden gegenübersteht, sondern daß er sogar in die südliche Phalanx eingebrochen ist und einen Staat, West- Virginien (mit sechs Wahlstimmen), aus der festen Gliederung herausgesprengt hat. Benjamin Harrison ist mit 239 Wahlstiminen gegen 162 (bestehend aus 147 der Südstaaten, 9 von New-Jersey und 6 von Connecticut) für Cleveland abgegebene zum Präsidenten für die Jahre 1889—1893 gewählt worden. Dieser Ausgang ist ebenso überraschend für die Gegenwart wie beruhigend für die Zukunft. Schon während des Wahlkampfes zeigte sichs, daß mit Aus¬ nahme der Großstädte (namentlich des Ostens) die Masse der Bevölkerung außer Stande war, einen scharf ausgeprägten und grundsätzlichen Gegensatz zwischen den beiden großen Parteien zu erkennen. Es handelte sich ja auf demokratischer Seite nur um eine Herabsetzung der bestehenden hohen Zollsätze um durchschnittlich sechs bis sieben Prozent, während auf republikanischer der Boden des Schutzzollsystems durch die im September endlich durchgedrückte Vorlage der republikanischen Mehr¬ heit des Bundcssenats an mehreren Punkten durchlöchert und verlassen war. Die für und wider den Schutzzoll gehaltenen Reden ließen namentlich die Bevölkerung des großen Nordwestens kalt, und daher machte sich schon früh eine Unsicherheit und Ungewißheit über die Richtung der schließliche» Entscheidung bemerkbar. Daher die beispiellos lange Session des Kongresses, der geradezu zu der Rolle eines stets neue Wahlkampfsmnnition beschaffender Lieferanten herabsank. Da-' her die (freilich nicht zur Annahme gelangten) Gesetzentwürfe zum Schutze der amerikanischen Arbeiter gegen die Überflutung europäischer Einwanderung. Daher das fast ohne Debatte durchgejagte, dein eben mit China vereinbarten Vertrage widersprechende drakonische Gesetz gegen den noch gefährlichern chinesischen Zuzug. Daher der gesetzgeberische Wettlauf beider Parteien gegen die Übergriffe der „Trusts", d. h. der Cartelle oder der Verbünde der Großindustriellen, gegen die systematische Preistreiberei aller möglichen Waren durch die Syndikate des Gro߬ kapitals. Daher die fast ohne Debatte erfolgte Ablehnung des eben zwischen den Vertretern Englands und den Vereinigten Staaten vereinbarten kanadischen Fischereivertrages von Seiten des republikanischen Buudesseuats, und die noch mehr vom Zaune gebrochene Drohung des demokratischen Präsidenten, die Kanadier durch Ausschluß von der bisherigen Wareudurchfuhrbegünstigung auf amerikanischem Gebiete zur Nachgiebigkeit zu zwinge». Daher in der letzten Woche des Oktober jenes schmähliche Gaunerstück eines republikanischen Zeitungs¬ schreibers in Kalifornien, durch welches ein im Grunde harmloser Privatbrief des englischen Gesandten mittels der üblichen Vergrößerungsgläser einer gierig darüber herfallenden republikanischen Presse in ein ungeheuerliches Verbrechen, und was die Hauptsache, in willkommenstes politisches Parteikapital verwandelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/627>, abgerufen am 22.07.2024.