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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschlus; Hamburgs und Bremens.

Es wird die Aufgabe der Zukunft sein, diese Frage zu beantworten. Jeden¬
falls mehren sich in den Hansestädten die Stimmen, die von dem am 15. Ok¬
tober vollzogenen Zollanschlusfe, nachdem es dadurch den Hanseaten ermöglicht
worden ist, wieder mit Sicherheit ihre Maßregeln zu treffen und in der Zu¬
kunft nicht blos; einhändig, sondern beidhciudig zu eignem Nutzen zu arbeiten,
eine Verjüngung der geliebten Vaterstädte und eine neue glanzvolle Entwick¬
lung derselben hoffen. Besonders die einst so widerspenstigen Hamburger Kauf¬
leute sind in kühler Rechnung vielfach dahin gelangt, sich mit den geschehenen
Umgestaltungen auszusöhnen. Sie sind der Ansicht geworden, daß sie durch
die vollendeten Einrichtungen ihres neuen Hafens künftighin dem Aufschwünge
Antwerpens und andrer europäischer Seeplätze mit Leichtigkeit die Wage halte"
werden. Genaue Kenner der Hamburger Verhältnisse haben es als sehr fraglich
bezeichnet, ob die Hamburger heute, wenn es eine Möglichkeit dazu gäbe, ihren
neuen Freihafenbezirk gegen den alten wieder herausgeben würden. Während
der Abgeordnete Bamberger einst versicherte, es werde hinfort kein guter Deutscher
auf die Hamburger Seewarte hinaufsteigen, um nicht die Zollpallisaden zu sehen,
die man dem schönen deutschen Strome mitten in den Leib hineingetrieben habe,
haben die Hamburger dennoch in den jüngsten Monaten nicht nur ihren jungen
Kaiser, sondern selbst den heimtückischen Reichskanzler eingeladen, um ihnen
das schöne neue Heim zu zeigen, das sie vor ihren Thoren dem Handel bereitet
haben.

Und ebenso erwartet die Bevölkerung des Zollinlandes -- ganz abgesehen
davon, ob die Zinsen der vom Reiche gegebenen 52 Millionen Mark durch
das Aufhören der außerordeutlich beschwerlichen Zollbewachung an den aus¬
gedehnten Grenzen der ehemaligen Freihafengebiete, durch eine Minderung des
Schmuggels und durch eine gleichmäßige Heranziehung der Hanseaten zu den
Steuern und Zöllen im Reichsgebiete nicht überreichlich gedeckt werden -- mehr
denn je von der Einbeziehung der Hansestädte neben sehr wesentlichen Erleich¬
terungen des Personen- und Güterverkehrs einen gesteigerten Verbrauch deutscher
Erzeugnisse in jenen selbst und einen lebhafter" Vertrieb derselben durch die
hanseatischen Exporteure in den überseeischen Ländern. Das deutsche Volk aber
ist sich endlich bewußt, daß, selbst wenn diese materiellen Hoffnungen nicht
erfüllt werden sollten, es dennoch jene verhältnismäßig kleine und unwesentliche
Beihilfe mit gutem Grunde gegeben hat. Als Preußen seine ruhmreiche Zoll¬
vereinspolitik begann, war es der Überzeugung, daß wirtschaftliche Einheit
schließlich auch politische Einheit, und wirtschaftliche Hegemonie schließlich auch
politische Hegemonie bringen müsse. Mit dem größten Erstaunen bemerkte das
Ausland, daß, während im Jahre 1866 die Deutschen zum letztenmale auf
einander schlugen, die Zollbehörden ihre Funktionen im Namen der Gemein¬
schaft fortsetzten und Gelder im Namen derselben einnahmen und gegenseitig
verrechneten. Es ist eine Übertreibung, aber es liegt doch auch mehr als ein


Der Zollanschlus; Hamburgs und Bremens.

Es wird die Aufgabe der Zukunft sein, diese Frage zu beantworten. Jeden¬
falls mehren sich in den Hansestädten die Stimmen, die von dem am 15. Ok¬
tober vollzogenen Zollanschlusfe, nachdem es dadurch den Hanseaten ermöglicht
worden ist, wieder mit Sicherheit ihre Maßregeln zu treffen und in der Zu¬
kunft nicht blos; einhändig, sondern beidhciudig zu eignem Nutzen zu arbeiten,
eine Verjüngung der geliebten Vaterstädte und eine neue glanzvolle Entwick¬
lung derselben hoffen. Besonders die einst so widerspenstigen Hamburger Kauf¬
leute sind in kühler Rechnung vielfach dahin gelangt, sich mit den geschehenen
Umgestaltungen auszusöhnen. Sie sind der Ansicht geworden, daß sie durch
die vollendeten Einrichtungen ihres neuen Hafens künftighin dem Aufschwünge
Antwerpens und andrer europäischer Seeplätze mit Leichtigkeit die Wage halte»
werden. Genaue Kenner der Hamburger Verhältnisse haben es als sehr fraglich
bezeichnet, ob die Hamburger heute, wenn es eine Möglichkeit dazu gäbe, ihren
neuen Freihafenbezirk gegen den alten wieder herausgeben würden. Während
der Abgeordnete Bamberger einst versicherte, es werde hinfort kein guter Deutscher
auf die Hamburger Seewarte hinaufsteigen, um nicht die Zollpallisaden zu sehen,
die man dem schönen deutschen Strome mitten in den Leib hineingetrieben habe,
haben die Hamburger dennoch in den jüngsten Monaten nicht nur ihren jungen
Kaiser, sondern selbst den heimtückischen Reichskanzler eingeladen, um ihnen
das schöne neue Heim zu zeigen, das sie vor ihren Thoren dem Handel bereitet
haben.

Und ebenso erwartet die Bevölkerung des Zollinlandes — ganz abgesehen
davon, ob die Zinsen der vom Reiche gegebenen 52 Millionen Mark durch
das Aufhören der außerordeutlich beschwerlichen Zollbewachung an den aus¬
gedehnten Grenzen der ehemaligen Freihafengebiete, durch eine Minderung des
Schmuggels und durch eine gleichmäßige Heranziehung der Hanseaten zu den
Steuern und Zöllen im Reichsgebiete nicht überreichlich gedeckt werden — mehr
denn je von der Einbeziehung der Hansestädte neben sehr wesentlichen Erleich¬
terungen des Personen- und Güterverkehrs einen gesteigerten Verbrauch deutscher
Erzeugnisse in jenen selbst und einen lebhafter» Vertrieb derselben durch die
hanseatischen Exporteure in den überseeischen Ländern. Das deutsche Volk aber
ist sich endlich bewußt, daß, selbst wenn diese materiellen Hoffnungen nicht
erfüllt werden sollten, es dennoch jene verhältnismäßig kleine und unwesentliche
Beihilfe mit gutem Grunde gegeben hat. Als Preußen seine ruhmreiche Zoll¬
vereinspolitik begann, war es der Überzeugung, daß wirtschaftliche Einheit
schließlich auch politische Einheit, und wirtschaftliche Hegemonie schließlich auch
politische Hegemonie bringen müsse. Mit dem größten Erstaunen bemerkte das
Ausland, daß, während im Jahre 1866 die Deutschen zum letztenmale auf
einander schlugen, die Zollbehörden ihre Funktionen im Namen der Gemein¬
schaft fortsetzten und Gelder im Namen derselben einnahmen und gegenseitig
verrechneten. Es ist eine Übertreibung, aber es liegt doch auch mehr als ein


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[0623] Der Zollanschlus; Hamburgs und Bremens. Es wird die Aufgabe der Zukunft sein, diese Frage zu beantworten. Jeden¬ falls mehren sich in den Hansestädten die Stimmen, die von dem am 15. Ok¬ tober vollzogenen Zollanschlusfe, nachdem es dadurch den Hanseaten ermöglicht worden ist, wieder mit Sicherheit ihre Maßregeln zu treffen und in der Zu¬ kunft nicht blos; einhändig, sondern beidhciudig zu eignem Nutzen zu arbeiten, eine Verjüngung der geliebten Vaterstädte und eine neue glanzvolle Entwick¬ lung derselben hoffen. Besonders die einst so widerspenstigen Hamburger Kauf¬ leute sind in kühler Rechnung vielfach dahin gelangt, sich mit den geschehenen Umgestaltungen auszusöhnen. Sie sind der Ansicht geworden, daß sie durch die vollendeten Einrichtungen ihres neuen Hafens künftighin dem Aufschwünge Antwerpens und andrer europäischer Seeplätze mit Leichtigkeit die Wage halte» werden. Genaue Kenner der Hamburger Verhältnisse haben es als sehr fraglich bezeichnet, ob die Hamburger heute, wenn es eine Möglichkeit dazu gäbe, ihren neuen Freihafenbezirk gegen den alten wieder herausgeben würden. Während der Abgeordnete Bamberger einst versicherte, es werde hinfort kein guter Deutscher auf die Hamburger Seewarte hinaufsteigen, um nicht die Zollpallisaden zu sehen, die man dem schönen deutschen Strome mitten in den Leib hineingetrieben habe, haben die Hamburger dennoch in den jüngsten Monaten nicht nur ihren jungen Kaiser, sondern selbst den heimtückischen Reichskanzler eingeladen, um ihnen das schöne neue Heim zu zeigen, das sie vor ihren Thoren dem Handel bereitet haben. Und ebenso erwartet die Bevölkerung des Zollinlandes — ganz abgesehen davon, ob die Zinsen der vom Reiche gegebenen 52 Millionen Mark durch das Aufhören der außerordeutlich beschwerlichen Zollbewachung an den aus¬ gedehnten Grenzen der ehemaligen Freihafengebiete, durch eine Minderung des Schmuggels und durch eine gleichmäßige Heranziehung der Hanseaten zu den Steuern und Zöllen im Reichsgebiete nicht überreichlich gedeckt werden — mehr denn je von der Einbeziehung der Hansestädte neben sehr wesentlichen Erleich¬ terungen des Personen- und Güterverkehrs einen gesteigerten Verbrauch deutscher Erzeugnisse in jenen selbst und einen lebhafter» Vertrieb derselben durch die hanseatischen Exporteure in den überseeischen Ländern. Das deutsche Volk aber ist sich endlich bewußt, daß, selbst wenn diese materiellen Hoffnungen nicht erfüllt werden sollten, es dennoch jene verhältnismäßig kleine und unwesentliche Beihilfe mit gutem Grunde gegeben hat. Als Preußen seine ruhmreiche Zoll¬ vereinspolitik begann, war es der Überzeugung, daß wirtschaftliche Einheit schließlich auch politische Einheit, und wirtschaftliche Hegemonie schließlich auch politische Hegemonie bringen müsse. Mit dem größten Erstaunen bemerkte das Ausland, daß, während im Jahre 1866 die Deutschen zum letztenmale auf einander schlugen, die Zollbehörden ihre Funktionen im Namen der Gemein¬ schaft fortsetzten und Gelder im Namen derselben einnahmen und gegenseitig verrechneten. Es ist eine Übertreibung, aber es liegt doch auch mehr als ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/623>, abgerufen am 22.07.2024.