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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

Politik, durch beiderseitige Zurückhaltung in Bezug auf Wünsche und Forderungen,
die nicht erfüllbar waren, und durch beiderseitiges Eingehen auf gegenseitige
Interessen, wie es bei einer Verständigung unter den Gliedern derselben Familie
zu gemeinsamem Nutzen natürlich ist. Die extremsten Schutzzöllner hatten eine
vollständige Hereinziehung Hamburgs in die deutsche Wirtschaftsgemeinschaft
unter gänzlicher Aufhebung seines Freihafens gefordert, indem sie sich einredeten,
wenn man die Hamburger Kaufleute hindere, mit ausländischen Erzeugnissen
Geschäfte zu macheu, werde man auch das Ausland zwingen, fortan statt
ausländischem deutsches Gut zu kaufen. Nach jenem Maivertrage sollte die
ganze Wohnstadt und die gesamte Bevölkerung Hamburgs an einem von dem
Reichskanzler näher zu bestimmenden Tage nach dem ersten Oktober 1888 dem
Zollgebiete angeschlossen werden. Dagegen erklärte sich die Reichsregierung damit
einverstanden, daß der Stadt Hamburg am nördlichen Ufer der Elbe, auf dem
besten Teile des Flusses selbst und auf deu der Stadt gegenüber liegenden
Inseln für alle Zeiten ein neu abzugrenzendes Freihafengebiet von solcher Aus¬
dehnung zu belassen sei, daß die Hamburger, da keine Wohnungen darin auf¬
geschlagen und kein Einzelhandel betrieben werden darf, schwerlich jemals ganz
davon Gebrauch machen werden. Und nicht genug, daß in diesem neuen Frei¬
hafengebiet die fremden Waren anch fernerhin ihren Markt finden werden: die
Reichsregieruug gestattete den Hamburger Exporteuren, um zugleich von einem
Lager aus das Ausland und das Inland versorgen zu können, aus ihren
Kontirnngslagern in der Zollinland gewordenen Wohnstadt, also gewissermaßen
in Freihafcnexklaven, zollausläudische und zollinländische Artikel neben einander
nnter Erfüllung gewisser Zollformalitäten zur freien Verfügung zu halten.
Eine Unterwerfung der aus der See nach dem Freihafengebiete und von diesem
nach der See gehenden Schiffe unter die gewöhnlichen Zollkontrollen würde
bei den von Ebbe und Flut abhängigen Schifffahrtsverhültuissen auf der Unter¬
elbe gleichbedeutend gewesen sein mit der Vernichtung aller derjenigen Vorteile,
welche Hamburg durch die Zusicherung des Freihafeubezirks gewährt wordeu
waren. Nach dem Maivertragc wird der gesamte durch das Zollgebiet der
Uutcrelbc hindurchgehende Schiffsverkehr vou jeder zollamtlichen Behandlung
und Abfertigung befreit bleiben, sobald die Fahrzeuge einen auf die Wahrung
des Zollinteresfes verpflichteten Lotsen an Bord haben und bei Tage die
Zvllflagge, bei Nacht die Zollleuchte führen. Die deutschen Spiritusbrenner
und gewisse andre Fabrikantenkreise hatten sich immer vor allem über jene
eigentümliche Exportindustrie beklagt, die sich uach ihrer Meinung wie eine
Schmarotzerpflanze an den kräftigen Baum des Hamburgischen Zwischenhandels
angeklammert habe und durch die "Veredlung" der zollfrei eingeführten aus¬
ländischen Waren den deutschen Produzenten im Auslande eine ungleiche Kon¬
kurrenz bereite. Ein Teil dieser Freihasenindustrie verdiente ohnehin kein Mitleid.
Die Menschheit würde nichts verloren haben, wenn gewisse Hamburger Fabrikanten


Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

Politik, durch beiderseitige Zurückhaltung in Bezug auf Wünsche und Forderungen,
die nicht erfüllbar waren, und durch beiderseitiges Eingehen auf gegenseitige
Interessen, wie es bei einer Verständigung unter den Gliedern derselben Familie
zu gemeinsamem Nutzen natürlich ist. Die extremsten Schutzzöllner hatten eine
vollständige Hereinziehung Hamburgs in die deutsche Wirtschaftsgemeinschaft
unter gänzlicher Aufhebung seines Freihafens gefordert, indem sie sich einredeten,
wenn man die Hamburger Kaufleute hindere, mit ausländischen Erzeugnissen
Geschäfte zu macheu, werde man auch das Ausland zwingen, fortan statt
ausländischem deutsches Gut zu kaufen. Nach jenem Maivertrage sollte die
ganze Wohnstadt und die gesamte Bevölkerung Hamburgs an einem von dem
Reichskanzler näher zu bestimmenden Tage nach dem ersten Oktober 1888 dem
Zollgebiete angeschlossen werden. Dagegen erklärte sich die Reichsregierung damit
einverstanden, daß der Stadt Hamburg am nördlichen Ufer der Elbe, auf dem
besten Teile des Flusses selbst und auf deu der Stadt gegenüber liegenden
Inseln für alle Zeiten ein neu abzugrenzendes Freihafengebiet von solcher Aus¬
dehnung zu belassen sei, daß die Hamburger, da keine Wohnungen darin auf¬
geschlagen und kein Einzelhandel betrieben werden darf, schwerlich jemals ganz
davon Gebrauch machen werden. Und nicht genug, daß in diesem neuen Frei¬
hafengebiet die fremden Waren anch fernerhin ihren Markt finden werden: die
Reichsregieruug gestattete den Hamburger Exporteuren, um zugleich von einem
Lager aus das Ausland und das Inland versorgen zu können, aus ihren
Kontirnngslagern in der Zollinland gewordenen Wohnstadt, also gewissermaßen
in Freihafcnexklaven, zollausläudische und zollinländische Artikel neben einander
nnter Erfüllung gewisser Zollformalitäten zur freien Verfügung zu halten.
Eine Unterwerfung der aus der See nach dem Freihafengebiete und von diesem
nach der See gehenden Schiffe unter die gewöhnlichen Zollkontrollen würde
bei den von Ebbe und Flut abhängigen Schifffahrtsverhültuissen auf der Unter¬
elbe gleichbedeutend gewesen sein mit der Vernichtung aller derjenigen Vorteile,
welche Hamburg durch die Zusicherung des Freihafeubezirks gewährt wordeu
waren. Nach dem Maivertragc wird der gesamte durch das Zollgebiet der
Uutcrelbc hindurchgehende Schiffsverkehr vou jeder zollamtlichen Behandlung
und Abfertigung befreit bleiben, sobald die Fahrzeuge einen auf die Wahrung
des Zollinteresfes verpflichteten Lotsen an Bord haben und bei Tage die
Zvllflagge, bei Nacht die Zollleuchte führen. Die deutschen Spiritusbrenner
und gewisse andre Fabrikantenkreise hatten sich immer vor allem über jene
eigentümliche Exportindustrie beklagt, die sich uach ihrer Meinung wie eine
Schmarotzerpflanze an den kräftigen Baum des Hamburgischen Zwischenhandels
angeklammert habe und durch die „Veredlung" der zollfrei eingeführten aus¬
ländischen Waren den deutschen Produzenten im Auslande eine ungleiche Kon¬
kurrenz bereite. Ein Teil dieser Freihasenindustrie verdiente ohnehin kein Mitleid.
Die Menschheit würde nichts verloren haben, wenn gewisse Hamburger Fabrikanten


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[0619] Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens. Politik, durch beiderseitige Zurückhaltung in Bezug auf Wünsche und Forderungen, die nicht erfüllbar waren, und durch beiderseitiges Eingehen auf gegenseitige Interessen, wie es bei einer Verständigung unter den Gliedern derselben Familie zu gemeinsamem Nutzen natürlich ist. Die extremsten Schutzzöllner hatten eine vollständige Hereinziehung Hamburgs in die deutsche Wirtschaftsgemeinschaft unter gänzlicher Aufhebung seines Freihafens gefordert, indem sie sich einredeten, wenn man die Hamburger Kaufleute hindere, mit ausländischen Erzeugnissen Geschäfte zu macheu, werde man auch das Ausland zwingen, fortan statt ausländischem deutsches Gut zu kaufen. Nach jenem Maivertrage sollte die ganze Wohnstadt und die gesamte Bevölkerung Hamburgs an einem von dem Reichskanzler näher zu bestimmenden Tage nach dem ersten Oktober 1888 dem Zollgebiete angeschlossen werden. Dagegen erklärte sich die Reichsregierung damit einverstanden, daß der Stadt Hamburg am nördlichen Ufer der Elbe, auf dem besten Teile des Flusses selbst und auf deu der Stadt gegenüber liegenden Inseln für alle Zeiten ein neu abzugrenzendes Freihafengebiet von solcher Aus¬ dehnung zu belassen sei, daß die Hamburger, da keine Wohnungen darin auf¬ geschlagen und kein Einzelhandel betrieben werden darf, schwerlich jemals ganz davon Gebrauch machen werden. Und nicht genug, daß in diesem neuen Frei¬ hafengebiet die fremden Waren anch fernerhin ihren Markt finden werden: die Reichsregieruug gestattete den Hamburger Exporteuren, um zugleich von einem Lager aus das Ausland und das Inland versorgen zu können, aus ihren Kontirnngslagern in der Zollinland gewordenen Wohnstadt, also gewissermaßen in Freihafcnexklaven, zollausläudische und zollinländische Artikel neben einander nnter Erfüllung gewisser Zollformalitäten zur freien Verfügung zu halten. Eine Unterwerfung der aus der See nach dem Freihafengebiete und von diesem nach der See gehenden Schiffe unter die gewöhnlichen Zollkontrollen würde bei den von Ebbe und Flut abhängigen Schifffahrtsverhültuissen auf der Unter¬ elbe gleichbedeutend gewesen sein mit der Vernichtung aller derjenigen Vorteile, welche Hamburg durch die Zusicherung des Freihafeubezirks gewährt wordeu waren. Nach dem Maivertragc wird der gesamte durch das Zollgebiet der Uutcrelbc hindurchgehende Schiffsverkehr vou jeder zollamtlichen Behandlung und Abfertigung befreit bleiben, sobald die Fahrzeuge einen auf die Wahrung des Zollinteresfes verpflichteten Lotsen an Bord haben und bei Tage die Zvllflagge, bei Nacht die Zollleuchte führen. Die deutschen Spiritusbrenner und gewisse andre Fabrikantenkreise hatten sich immer vor allem über jene eigentümliche Exportindustrie beklagt, die sich uach ihrer Meinung wie eine Schmarotzerpflanze an den kräftigen Baum des Hamburgischen Zwischenhandels angeklammert habe und durch die „Veredlung" der zollfrei eingeführten aus¬ ländischen Waren den deutschen Produzenten im Auslande eine ungleiche Kon¬ kurrenz bereite. Ein Teil dieser Freihasenindustrie verdiente ohnehin kein Mitleid. Die Menschheit würde nichts verloren haben, wenn gewisse Hamburger Fabrikanten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/619>, abgerufen am 23.07.2024.