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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Hermann von Gilm.

Die schneidige Ironie eines überlegenen Geistes, ein c>n Pascals I^ettros i)ro-
VEnoalk" erinnernder Ton spricht im folgenden Sonett:


Was doch ein Jesuit kann alles wissen!
Er predigte: der Mensch kann nichts vollbringen.
Wenn ich und du auf diesen Rasen springen,
So hat es Gott gethan mit unsern Füßen.
Und wenn wir etwas thun von bösen Dingen,
Zum Beispiel stehlen, raufen oder küssen --
Was wir uns aber niemals unterfingen --
Hat Gott im Himmel mit uns stehlen müssen.
Daraus ergab sich nun der Sünden Schwere,
Weil Gott, der Reinste, Lob der Engelzungeu,
Vom Sünder wird zum Sündigen gezwungen.
Der Jesuit bringt dich zu großer Ehre:
Nicht ich -- nach dieser orthodoxen Lehre --
Gott selbst hat die Sonette dir gesungen.

Den nichtigsten Ausdruck aber hat Gilm seiner Leidenschaft in jenem Gedicht
gegeben, das er zur Grundsteinlegung des Jesuitcnkollegiums in Innsbruck 1843
geschrieben hat: mit seinem eignen Leben will der Dichter die Befreiung seiner
geliebten Tiroler von der Geistesknechtschaft erkaufen. Er schließt mit den
Versen:


[Beginn Spaltensatz]
Verweile noch! noch einmal nimm die Kelle!
Ich weiß, ihr haßt den Dichter und das Lied.
Nehmt mich und legt mich an des Steines
Stelle,
Der Abend naht, ich bin des Lebens müd':
[Spaltenumbruch]
Wenn diese Mauern fallen und wenn wieder
Ein Morgensturm euch fegt aus diesem Land,
Die Toten auferstehn -- dann sind die Lieder,
Wie sie die Freiheit braucht, gleich bei der
Hand.
[Ende Spaltensatz]

Damit kommen wir wieder auf jene echt vormärzlichen Töne bei Gilm zurück,
von denen wir ausgegangen sind. Es ist ein tragischer Idealismus, der ihn
in seinem politischen Kampfe beseelte, als er hoffte, "den Feind mit seinem
Reime" erschlagen zu können; oder als er mit Erinnerung an die Freiheits¬
kriege sang:


O kämen sie zur Brücke von Lorenzen!
Dort siel der erste Schuß! von dorther schalte
Das erste Lied, sie geistig zu vernichten.

Das Jesuitenkollegium steht noch immer fest auf seinem zu Gnus Zeit
gelegten Grundstein zu Innsbruck, es hat die theologische Fakultät der dortigen
Universität ganz zu seiner Verfügung, schreibt auch nicht bloß theologische
Bücher, sondern trachtet mit seinem Geist alle Wissenschaften zu durchtränken,
und es verlautet sogar, daß es auch das Innsbrucker Gymnasium gern in
seine Verwaltung übernähme. Aber auch Gnus Gedichte sind auferstanden,


Hermann von Gilm.

Die schneidige Ironie eines überlegenen Geistes, ein c>n Pascals I^ettros i)ro-
VEnoalk« erinnernder Ton spricht im folgenden Sonett:


Was doch ein Jesuit kann alles wissen!
Er predigte: der Mensch kann nichts vollbringen.
Wenn ich und du auf diesen Rasen springen,
So hat es Gott gethan mit unsern Füßen.
Und wenn wir etwas thun von bösen Dingen,
Zum Beispiel stehlen, raufen oder küssen —
Was wir uns aber niemals unterfingen —
Hat Gott im Himmel mit uns stehlen müssen.
Daraus ergab sich nun der Sünden Schwere,
Weil Gott, der Reinste, Lob der Engelzungeu,
Vom Sünder wird zum Sündigen gezwungen.
Der Jesuit bringt dich zu großer Ehre:
Nicht ich — nach dieser orthodoxen Lehre —
Gott selbst hat die Sonette dir gesungen.

Den nichtigsten Ausdruck aber hat Gilm seiner Leidenschaft in jenem Gedicht
gegeben, das er zur Grundsteinlegung des Jesuitcnkollegiums in Innsbruck 1843
geschrieben hat: mit seinem eignen Leben will der Dichter die Befreiung seiner
geliebten Tiroler von der Geistesknechtschaft erkaufen. Er schließt mit den
Versen:


[Beginn Spaltensatz]
Verweile noch! noch einmal nimm die Kelle!
Ich weiß, ihr haßt den Dichter und das Lied.
Nehmt mich und legt mich an des Steines
Stelle,
Der Abend naht, ich bin des Lebens müd':
[Spaltenumbruch]
Wenn diese Mauern fallen und wenn wieder
Ein Morgensturm euch fegt aus diesem Land,
Die Toten auferstehn — dann sind die Lieder,
Wie sie die Freiheit braucht, gleich bei der
Hand.
[Ende Spaltensatz]

Damit kommen wir wieder auf jene echt vormärzlichen Töne bei Gilm zurück,
von denen wir ausgegangen sind. Es ist ein tragischer Idealismus, der ihn
in seinem politischen Kampfe beseelte, als er hoffte, „den Feind mit seinem
Reime" erschlagen zu können; oder als er mit Erinnerung an die Freiheits¬
kriege sang:


O kämen sie zur Brücke von Lorenzen!
Dort siel der erste Schuß! von dorther schalte
Das erste Lied, sie geistig zu vernichten.

Das Jesuitenkollegium steht noch immer fest auf seinem zu Gnus Zeit
gelegten Grundstein zu Innsbruck, es hat die theologische Fakultät der dortigen
Universität ganz zu seiner Verfügung, schreibt auch nicht bloß theologische
Bücher, sondern trachtet mit seinem Geist alle Wissenschaften zu durchtränken,
und es verlautet sogar, daß es auch das Innsbrucker Gymnasium gern in
seine Verwaltung übernähme. Aber auch Gnus Gedichte sind auferstanden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/605>, abgerufen am 06.02.2025.