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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Hermann von Gilm.

entscheiden. In einem seiner schönsten Gedichte, "Das Gnadenbild," kommt
diese Entscheidung zum rührendsten poetischen Ausdruck.


Auf einem goldgestickten Purpurthrone
Im Edelstein-besätcn Atlaskleide,
Im goldnen Haar die pcrlcnreiche Krone,
Maria sitzt, die Hochgebenedeite.
Es strömt mit Plagen jeder Art beladen
Herbei das Volk aus allen fremden Landen;
Man sagt, es hab' ihr Auge voller Gnaden
Noch jede Bitte huldvoll zugestanden.
Doch wenn des Nachts die Palmenblätter dunkeln,
Die an der Kirche Säulen aufgeschossen,
Die runden Scheiben glühen gleich Karfunkeln,
Und nun der Küster hat die Thür geschlossen:
Dann kommt ihr wohl die Thrän' ins Aug' geflogen,
Sie denkt der Zeit, wo sie die Welt, die weite,
Am Wanderstab als Bettlerin durchzogen,
Ein Kind im Arm und einen Mann zur Seite.
Und wie sie dort im Sandmeer von Ägypten
Im Schatten eines Palmenbaums geschlafen,
Und wie den Thau der Aloe sie nippten,
Wenn in der Wüste sie kein Wasser trafen.

Es ist die alte homerische Gesinnung, die Gilm hier ausspricht: lieber ein
Bettler auf der Oberwelt, als ein Fürst im Reiche der Schatten. Von ähn¬
lichem Geiste erfüllt ist ein zweites Gedicht Gnus, "Der heilige Johannes".
Es führt eine gerade Linie von Gnus religiös-erotischer Lyrik zu den berühmten
"Sieben Legenden" Gottfried Kellers; gemeinsam ist ihnen die durchaus von
jeder aufklärerischen Tendenz freie, rein künstlerische Verwendung altchristlicher
Vorstellungen zu weltlich-poetischen Zwecken.

Nicht aber diese hervorragenden dichterischen Gaben haben Gnus Ruhm
zu seinen Lebzeiten in Tirol und ein wenig auch in Deutschland begründet,
sondern seine Jesuitenlieder, von denen wir nun zu sprechen haben.

Im August des Jahres 1837 wanderten fünfhundert Zillerthaler mit
Weib und Kind aus ihrer Heimat nach Schlesien aus, wo ihnen der König
von Preußen einen Erdenwinkel einräumte, auf dem sie sich neu ansiedeln
durften. Ein Dekret des Kaisers Ferdinand hatte sie aus der Heimat verbannt,
weil sie es gewagt hatten, die Bitte auszusprechen, Jesus nach evangelischem
und nicht mehr nach katholischem Ritus verehren zu dürfen. Diese Ziller¬
thaler waren teilweise Verwandte jener Salzburger, die der Erzbischof Graf
Firnnan aus demselben Grunde hundert Jahre früher (1731) von Haus und


Mrcnzboten IV. 1888. 7Ü
Hermann von Gilm.

entscheiden. In einem seiner schönsten Gedichte, „Das Gnadenbild," kommt
diese Entscheidung zum rührendsten poetischen Ausdruck.


Auf einem goldgestickten Purpurthrone
Im Edelstein-besätcn Atlaskleide,
Im goldnen Haar die pcrlcnreiche Krone,
Maria sitzt, die Hochgebenedeite.
Es strömt mit Plagen jeder Art beladen
Herbei das Volk aus allen fremden Landen;
Man sagt, es hab' ihr Auge voller Gnaden
Noch jede Bitte huldvoll zugestanden.
Doch wenn des Nachts die Palmenblätter dunkeln,
Die an der Kirche Säulen aufgeschossen,
Die runden Scheiben glühen gleich Karfunkeln,
Und nun der Küster hat die Thür geschlossen:
Dann kommt ihr wohl die Thrän' ins Aug' geflogen,
Sie denkt der Zeit, wo sie die Welt, die weite,
Am Wanderstab als Bettlerin durchzogen,
Ein Kind im Arm und einen Mann zur Seite.
Und wie sie dort im Sandmeer von Ägypten
Im Schatten eines Palmenbaums geschlafen,
Und wie den Thau der Aloe sie nippten,
Wenn in der Wüste sie kein Wasser trafen.

Es ist die alte homerische Gesinnung, die Gilm hier ausspricht: lieber ein
Bettler auf der Oberwelt, als ein Fürst im Reiche der Schatten. Von ähn¬
lichem Geiste erfüllt ist ein zweites Gedicht Gnus, „Der heilige Johannes".
Es führt eine gerade Linie von Gnus religiös-erotischer Lyrik zu den berühmten
„Sieben Legenden" Gottfried Kellers; gemeinsam ist ihnen die durchaus von
jeder aufklärerischen Tendenz freie, rein künstlerische Verwendung altchristlicher
Vorstellungen zu weltlich-poetischen Zwecken.

Nicht aber diese hervorragenden dichterischen Gaben haben Gnus Ruhm
zu seinen Lebzeiten in Tirol und ein wenig auch in Deutschland begründet,
sondern seine Jesuitenlieder, von denen wir nun zu sprechen haben.

Im August des Jahres 1837 wanderten fünfhundert Zillerthaler mit
Weib und Kind aus ihrer Heimat nach Schlesien aus, wo ihnen der König
von Preußen einen Erdenwinkel einräumte, auf dem sie sich neu ansiedeln
durften. Ein Dekret des Kaisers Ferdinand hatte sie aus der Heimat verbannt,
weil sie es gewagt hatten, die Bitte auszusprechen, Jesus nach evangelischem
und nicht mehr nach katholischem Ritus verehren zu dürfen. Diese Ziller¬
thaler waren teilweise Verwandte jener Salzburger, die der Erzbischof Graf
Firnnan aus demselben Grunde hundert Jahre früher (1731) von Haus und


Mrcnzboten IV. 1888. 7Ü
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[0601] Hermann von Gilm. entscheiden. In einem seiner schönsten Gedichte, „Das Gnadenbild," kommt diese Entscheidung zum rührendsten poetischen Ausdruck. Auf einem goldgestickten Purpurthrone Im Edelstein-besätcn Atlaskleide, Im goldnen Haar die pcrlcnreiche Krone, Maria sitzt, die Hochgebenedeite. Es strömt mit Plagen jeder Art beladen Herbei das Volk aus allen fremden Landen; Man sagt, es hab' ihr Auge voller Gnaden Noch jede Bitte huldvoll zugestanden. Doch wenn des Nachts die Palmenblätter dunkeln, Die an der Kirche Säulen aufgeschossen, Die runden Scheiben glühen gleich Karfunkeln, Und nun der Küster hat die Thür geschlossen: Dann kommt ihr wohl die Thrän' ins Aug' geflogen, Sie denkt der Zeit, wo sie die Welt, die weite, Am Wanderstab als Bettlerin durchzogen, Ein Kind im Arm und einen Mann zur Seite. Und wie sie dort im Sandmeer von Ägypten Im Schatten eines Palmenbaums geschlafen, Und wie den Thau der Aloe sie nippten, Wenn in der Wüste sie kein Wasser trafen. Es ist die alte homerische Gesinnung, die Gilm hier ausspricht: lieber ein Bettler auf der Oberwelt, als ein Fürst im Reiche der Schatten. Von ähn¬ lichem Geiste erfüllt ist ein zweites Gedicht Gnus, „Der heilige Johannes". Es führt eine gerade Linie von Gnus religiös-erotischer Lyrik zu den berühmten „Sieben Legenden" Gottfried Kellers; gemeinsam ist ihnen die durchaus von jeder aufklärerischen Tendenz freie, rein künstlerische Verwendung altchristlicher Vorstellungen zu weltlich-poetischen Zwecken. Nicht aber diese hervorragenden dichterischen Gaben haben Gnus Ruhm zu seinen Lebzeiten in Tirol und ein wenig auch in Deutschland begründet, sondern seine Jesuitenlieder, von denen wir nun zu sprechen haben. Im August des Jahres 1837 wanderten fünfhundert Zillerthaler mit Weib und Kind aus ihrer Heimat nach Schlesien aus, wo ihnen der König von Preußen einen Erdenwinkel einräumte, auf dem sie sich neu ansiedeln durften. Ein Dekret des Kaisers Ferdinand hatte sie aus der Heimat verbannt, weil sie es gewagt hatten, die Bitte auszusprechen, Jesus nach evangelischem und nicht mehr nach katholischem Ritus verehren zu dürfen. Diese Ziller¬ thaler waren teilweise Verwandte jener Salzburger, die der Erzbischof Graf Firnnan aus demselben Grunde hundert Jahre früher (1731) von Haus und Mrcnzboten IV. 1888. 7Ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/601>, abgerufen am 25.07.2024.