Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Hermann von Gilm. zu seinen originellsten Wendungen kam, wie
Oder in einem andern Bilde:
Der Dichter selbst ist die ungläubige Tanne, die auf dem Wege der Natur¬
Aber sehr bald ist er sich klar geworden, daß "unsre Kirch' und die Natur"
Er sah, daß die Kirche auf ein Jenseits verweise, uns mit der Natur entzweie, Hermann von Gilm. zu seinen originellsten Wendungen kam, wie
Oder in einem andern Bilde:
Der Dichter selbst ist die ungläubige Tanne, die auf dem Wege der Natur¬
Aber sehr bald ist er sich klar geworden, daß „unsre Kirch' und die Natur"
Er sah, daß die Kirche auf ein Jenseits verweise, uns mit der Natur entzweie, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0600" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204035"/> <fw type="header" place="top"> Hermann von Gilm.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1576" prev="#ID_1575" next="#ID_1577"> zu seinen originellsten Wendungen kam, wie<lb/> des Mädchens aus Natters:B. in dem folgenden Gedichte</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_37" type="poem"> <l><cb type="start"/> Ich habe drei Kränze gewunden<lb/> Gleich einer Schäferin<lb/> Und Will sie nun verteilen<lb/> Nach meinem thörichten Sinn. Den ersten aus Eichenblättern,,<lb/> Den drück' ich dir auf das Haupt;<lb/> Es liegt eine Kraft in der Eiche,<lb/> An die man vertraut und glaubt. <cb/> Den zweiten aus wilden Rasen<lb/> Geb' ich dem Bächlein im Wald;<lb/> Das färbt mit rosigen Leben<lb/> Die Wangen von Jung und All. Den dritten aus Blumen des Feldes<lb/> Leg' ich dem Heiland aufs Haar —<lb/> Er soll keinen Dornenkranz tragen<lb/> In meinem seligsten Jahr. <cb type="end"/> </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1577" prev="#ID_1576" next="#ID_1578"> Oder in einem andern Bilde:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_38" type="poem"> <l><cb type="start"/> Es singen die Vögel im Walde,<lb/> Es raucht und dampft de^ Altar,<lb/> Und oben an seidner Decke,<lb/> Da schwebt der Engel Schar. <cb/> Bis jetzt ein Priester, ein hoher,<lb/> Empor die Hostie hält,<lb/> Umgeben von goldnen Strahlen:<lb/> Da leuchtet die Lieb' in die Welt. <cb type="end"/> Da schweigen die Vögel im Walde,<lb/> Da neigen die Blumen das Haupt,<lb/> Da haben nnglnubge Tannen<lb/> An Jesus Christus geglaubt. </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1578" prev="#ID_1577" next="#ID_1579"> Der Dichter selbst ist die ungläubige Tanne, die auf dem Wege der Natur¬<lb/> verehrung den Weg zum Heiland gefunden hat. Er treibt ein künstlerisch freies<lb/> Spiel mit den katholischen Kirchenformen. Ein wahrhaft Gläubiger hätte nie<lb/> diese Einfälle gehabt. Man kann zusehends Gnus Wachstum in seiner Freiheit<lb/> beobachten. Noch in den „Märzenveilchen" ist er nicht ganz frei, wenn er, etwas<lb/> pretiös allerdings, singt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_39" type="poem"> <l><cb type="start"/> Des Heilands Liebe, — seine Wunden,<lb/> Sind heute bis zur Osterzeit<lb/> Mit veilchenblauen Tuch umbunden<lb/> In allen Kirchen weit und breit. <cb/> Und draußen deckt die junge Erde<lb/> Nach langem Schlaf, nach langer Ruh,<lb/> Daß sie nicht ausgespottet werde,<lb/> Mit Veilchen ihre Liebe zu. <cb type="end"/> Und wenn ich meine Lieder dichte<lb/> Von diesen Veilchen, ist es nur<lb/> Die alte heilige Geschichte<lb/> Von unsrer Kirch' und der Natur. </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1579" prev="#ID_1578" next="#ID_1580"> Aber sehr bald ist er sich klar geworden, daß „unsre Kirch' und die Natur"<lb/> nicht so harmonisch zusammengehen. Schon in den „Sommerfrischliedern"<lb/> heißt es:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_40" type="poem"> <l> Sieh, dort zeigen sie dem Volke<lb/> Sein und seines Gotts Verhängnis:<lb/> Eine trübe Wcihrauchwolke<lb/> Und ein ewiges Gefängnis.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1580" prev="#ID_1579" next="#ID_1581"> Er sah, daß die Kirche auf ein Jenseits verweise, uns mit der Natur entzweie,<lb/> seine Verehrung der Natur aber drängte ihn, sich ganz für das Diesseits zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0600]
Hermann von Gilm.
zu seinen originellsten Wendungen kam, wie
des Mädchens aus Natters:B. in dem folgenden Gedichte
Ich habe drei Kränze gewunden
Gleich einer Schäferin
Und Will sie nun verteilen
Nach meinem thörichten Sinn. Den ersten aus Eichenblättern,,
Den drück' ich dir auf das Haupt;
Es liegt eine Kraft in der Eiche,
An die man vertraut und glaubt.
Den zweiten aus wilden Rasen
Geb' ich dem Bächlein im Wald;
Das färbt mit rosigen Leben
Die Wangen von Jung und All. Den dritten aus Blumen des Feldes
Leg' ich dem Heiland aufs Haar —
Er soll keinen Dornenkranz tragen
In meinem seligsten Jahr.
Oder in einem andern Bilde:
Es singen die Vögel im Walde,
Es raucht und dampft de^ Altar,
Und oben an seidner Decke,
Da schwebt der Engel Schar.
Bis jetzt ein Priester, ein hoher,
Empor die Hostie hält,
Umgeben von goldnen Strahlen:
Da leuchtet die Lieb' in die Welt.
Da schweigen die Vögel im Walde,
Da neigen die Blumen das Haupt,
Da haben nnglnubge Tannen
An Jesus Christus geglaubt.
Der Dichter selbst ist die ungläubige Tanne, die auf dem Wege der Natur¬
verehrung den Weg zum Heiland gefunden hat. Er treibt ein künstlerisch freies
Spiel mit den katholischen Kirchenformen. Ein wahrhaft Gläubiger hätte nie
diese Einfälle gehabt. Man kann zusehends Gnus Wachstum in seiner Freiheit
beobachten. Noch in den „Märzenveilchen" ist er nicht ganz frei, wenn er, etwas
pretiös allerdings, singt:
Des Heilands Liebe, — seine Wunden,
Sind heute bis zur Osterzeit
Mit veilchenblauen Tuch umbunden
In allen Kirchen weit und breit.
Und draußen deckt die junge Erde
Nach langem Schlaf, nach langer Ruh,
Daß sie nicht ausgespottet werde,
Mit Veilchen ihre Liebe zu.
Und wenn ich meine Lieder dichte
Von diesen Veilchen, ist es nur
Die alte heilige Geschichte
Von unsrer Kirch' und der Natur.
Aber sehr bald ist er sich klar geworden, daß „unsre Kirch' und die Natur"
nicht so harmonisch zusammengehen. Schon in den „Sommerfrischliedern"
heißt es:
Sieh, dort zeigen sie dem Volke
Sein und seines Gotts Verhängnis:
Eine trübe Wcihrauchwolke
Und ein ewiges Gefängnis.
Er sah, daß die Kirche auf ein Jenseits verweise, uns mit der Natur entzweie,
seine Verehrung der Natur aber drängte ihn, sich ganz für das Diesseits zu
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