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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

ein Übel, ein Zeichen politischer Zerrüttung. Die kleinstaatliche Zersplitterung
Italiens hat wesentlich jenen Zustand sittlicher Verwilderung und Verkommen¬
heit herbeigeführt, aus dem allein die lasterhaften Züge erklärt werden, wodurch
die politischen Lehren des Macchiavelli verunstaltet sind. Der Verfasser des
"Antimachiavcl" neigt sogar der Ansicht zu, daß der Geist des florentinischen
Staatsmannes gelitten habe unter dem Einflüsse der Kleinstaaterei: "Macchia¬
velli," sagt er (Oeuvres VIII, 105), "schrieb nur für kleine Fürsten, und ich
gestehe, daß ich bei ihm fast nur kleine Ideen erblicken kann." Der kleinfürst¬
liche Dünkel aber, der die Blöße seiner politischen Unmacht durch prahlerische
Nachäffung der Formen des Königstums Z. 1". Louis XIV. zu bedecken suchte,
ist von niemand beißender verspottet und unbarmherziger bloßgestellt worden
als von Friedrich. "Die meisten Kleinfürsten", schreibt er (Oeuvres VIII, 95),
"und besonders die deutschen, ruiniren sich durch einen zu ihren Einnahmen
außer Verhältnis stehenden Aufwand, zu dem sie veranlaßt werden durch das
schwindelnde Bewußtsein ihrer eingebildeten Größe; sie richten sich zu Grunde,
um die Ehre ihres Hauses aufrecht zu erhalten, und aus Eitelkeit schlagen sie
einen Weg ein, der sie ins Elend und an den Bettelstab bringt. Jeder Sproß
eines fürstlichen Hauses, bis herab zum jüngern Sohn einer apanagirten Seiten¬
linie, bildet sich ein, etwas in der Art Ludwigs XIV. zu sein: er baut sein
Versailles, er hat seine Mätressen, er unterhält seine Armeen."

Die Ansicht des großen Königs von der Stellung des Monarchen seinem
Volke gegenüber ist vielleicht derjenige Punkt seiner Staatslehre, der es am
meisten bedauern läßt, daß ihr von feiten der Fachwissenschaft so lange nicht
die verdiente Beachtung zu teil geworden ist. Das theokratisirende Königtum
Ludwigs XIV. hatte sich eine Stellung über dem Staate gegeben, das Volk war,
dieser Auffassung zufolge, für seinen Beherrscher da, Staatszweck war der Fürst.
Nach der entgegengesetzten Seite hin ausschweifend, machte die revolutionäre
Staatslehre, die Doktrin von 1789, die Obrigkeit zur Dienerin des herrschenden
Volkes. Diesem kommt von Rechts wegen die Souveränität zu, die Regierenden
handeln nur als seine Beauftragten und nach Maßgabe des ihnen gewordenen
Auftrages. Die von der neuern Staatswissenschaft erst mit vieler Mühe wieder
zur Geltung gebrachte Wahrheit hat schon bei Friedrich ihren klassischen Aus¬
druck gefunden. Die Obrigkeit ist das herrschende Glied im Organismus des
Staates. Der Staat ist der umfassende Zweck, der beides in sich begreift:
Obrigkeit und Unterthanen, Fürst und Volk. Der Fürst ist der erste Diener
des Staates.

Erst einer Zeit, die den Zusammenhang der Rousseauschen Theorie mit
der Praxis der Guillotine kennen gelernt hatte, ist in seiner ganzen Schärfe
der Gegensatz klar geworden, in welchem die sogenannte naturrechtliche Erklärung
der Entstehung des Staates sich jeder historischen Begründung desselben gegen¬
überstellt. So ist es kein Wunder, wenn Friedrich der Große sich arglos


Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

ein Übel, ein Zeichen politischer Zerrüttung. Die kleinstaatliche Zersplitterung
Italiens hat wesentlich jenen Zustand sittlicher Verwilderung und Verkommen¬
heit herbeigeführt, aus dem allein die lasterhaften Züge erklärt werden, wodurch
die politischen Lehren des Macchiavelli verunstaltet sind. Der Verfasser des
„Antimachiavcl" neigt sogar der Ansicht zu, daß der Geist des florentinischen
Staatsmannes gelitten habe unter dem Einflüsse der Kleinstaaterei: „Macchia¬
velli," sagt er (Oeuvres VIII, 105), „schrieb nur für kleine Fürsten, und ich
gestehe, daß ich bei ihm fast nur kleine Ideen erblicken kann." Der kleinfürst¬
liche Dünkel aber, der die Blöße seiner politischen Unmacht durch prahlerische
Nachäffung der Formen des Königstums Z. 1». Louis XIV. zu bedecken suchte,
ist von niemand beißender verspottet und unbarmherziger bloßgestellt worden
als von Friedrich. „Die meisten Kleinfürsten", schreibt er (Oeuvres VIII, 95),
„und besonders die deutschen, ruiniren sich durch einen zu ihren Einnahmen
außer Verhältnis stehenden Aufwand, zu dem sie veranlaßt werden durch das
schwindelnde Bewußtsein ihrer eingebildeten Größe; sie richten sich zu Grunde,
um die Ehre ihres Hauses aufrecht zu erhalten, und aus Eitelkeit schlagen sie
einen Weg ein, der sie ins Elend und an den Bettelstab bringt. Jeder Sproß
eines fürstlichen Hauses, bis herab zum jüngern Sohn einer apanagirten Seiten¬
linie, bildet sich ein, etwas in der Art Ludwigs XIV. zu sein: er baut sein
Versailles, er hat seine Mätressen, er unterhält seine Armeen."

Die Ansicht des großen Königs von der Stellung des Monarchen seinem
Volke gegenüber ist vielleicht derjenige Punkt seiner Staatslehre, der es am
meisten bedauern läßt, daß ihr von feiten der Fachwissenschaft so lange nicht
die verdiente Beachtung zu teil geworden ist. Das theokratisirende Königtum
Ludwigs XIV. hatte sich eine Stellung über dem Staate gegeben, das Volk war,
dieser Auffassung zufolge, für seinen Beherrscher da, Staatszweck war der Fürst.
Nach der entgegengesetzten Seite hin ausschweifend, machte die revolutionäre
Staatslehre, die Doktrin von 1789, die Obrigkeit zur Dienerin des herrschenden
Volkes. Diesem kommt von Rechts wegen die Souveränität zu, die Regierenden
handeln nur als seine Beauftragten und nach Maßgabe des ihnen gewordenen
Auftrages. Die von der neuern Staatswissenschaft erst mit vieler Mühe wieder
zur Geltung gebrachte Wahrheit hat schon bei Friedrich ihren klassischen Aus¬
druck gefunden. Die Obrigkeit ist das herrschende Glied im Organismus des
Staates. Der Staat ist der umfassende Zweck, der beides in sich begreift:
Obrigkeit und Unterthanen, Fürst und Volk. Der Fürst ist der erste Diener
des Staates.

Erst einer Zeit, die den Zusammenhang der Rousseauschen Theorie mit
der Praxis der Guillotine kennen gelernt hatte, ist in seiner ganzen Schärfe
der Gegensatz klar geworden, in welchem die sogenannte naturrechtliche Erklärung
der Entstehung des Staates sich jeder historischen Begründung desselben gegen¬
überstellt. So ist es kein Wunder, wenn Friedrich der Große sich arglos


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[0060] Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen. ein Übel, ein Zeichen politischer Zerrüttung. Die kleinstaatliche Zersplitterung Italiens hat wesentlich jenen Zustand sittlicher Verwilderung und Verkommen¬ heit herbeigeführt, aus dem allein die lasterhaften Züge erklärt werden, wodurch die politischen Lehren des Macchiavelli verunstaltet sind. Der Verfasser des „Antimachiavcl" neigt sogar der Ansicht zu, daß der Geist des florentinischen Staatsmannes gelitten habe unter dem Einflüsse der Kleinstaaterei: „Macchia¬ velli," sagt er (Oeuvres VIII, 105), „schrieb nur für kleine Fürsten, und ich gestehe, daß ich bei ihm fast nur kleine Ideen erblicken kann." Der kleinfürst¬ liche Dünkel aber, der die Blöße seiner politischen Unmacht durch prahlerische Nachäffung der Formen des Königstums Z. 1». Louis XIV. zu bedecken suchte, ist von niemand beißender verspottet und unbarmherziger bloßgestellt worden als von Friedrich. „Die meisten Kleinfürsten", schreibt er (Oeuvres VIII, 95), „und besonders die deutschen, ruiniren sich durch einen zu ihren Einnahmen außer Verhältnis stehenden Aufwand, zu dem sie veranlaßt werden durch das schwindelnde Bewußtsein ihrer eingebildeten Größe; sie richten sich zu Grunde, um die Ehre ihres Hauses aufrecht zu erhalten, und aus Eitelkeit schlagen sie einen Weg ein, der sie ins Elend und an den Bettelstab bringt. Jeder Sproß eines fürstlichen Hauses, bis herab zum jüngern Sohn einer apanagirten Seiten¬ linie, bildet sich ein, etwas in der Art Ludwigs XIV. zu sein: er baut sein Versailles, er hat seine Mätressen, er unterhält seine Armeen." Die Ansicht des großen Königs von der Stellung des Monarchen seinem Volke gegenüber ist vielleicht derjenige Punkt seiner Staatslehre, der es am meisten bedauern läßt, daß ihr von feiten der Fachwissenschaft so lange nicht die verdiente Beachtung zu teil geworden ist. Das theokratisirende Königtum Ludwigs XIV. hatte sich eine Stellung über dem Staate gegeben, das Volk war, dieser Auffassung zufolge, für seinen Beherrscher da, Staatszweck war der Fürst. Nach der entgegengesetzten Seite hin ausschweifend, machte die revolutionäre Staatslehre, die Doktrin von 1789, die Obrigkeit zur Dienerin des herrschenden Volkes. Diesem kommt von Rechts wegen die Souveränität zu, die Regierenden handeln nur als seine Beauftragten und nach Maßgabe des ihnen gewordenen Auftrages. Die von der neuern Staatswissenschaft erst mit vieler Mühe wieder zur Geltung gebrachte Wahrheit hat schon bei Friedrich ihren klassischen Aus¬ druck gefunden. Die Obrigkeit ist das herrschende Glied im Organismus des Staates. Der Staat ist der umfassende Zweck, der beides in sich begreift: Obrigkeit und Unterthanen, Fürst und Volk. Der Fürst ist der erste Diener des Staates. Erst einer Zeit, die den Zusammenhang der Rousseauschen Theorie mit der Praxis der Guillotine kennen gelernt hatte, ist in seiner ganzen Schärfe der Gegensatz klar geworden, in welchem die sogenannte naturrechtliche Erklärung der Entstehung des Staates sich jeder historischen Begründung desselben gegen¬ überstellt. So ist es kein Wunder, wenn Friedrich der Große sich arglos

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/60>, abgerufen am 02.10.2024.