Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen. auch nicht, aus diesen Sätzen, die das Wesen des Staates feststellen, sofort Bei aller Neigung Friedrichs für theoretische Auseinandersetzung überwiegt In dem fast gleichzeitig mit seiner Thronbesteigung veröffentlichten "Anti- Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen. auch nicht, aus diesen Sätzen, die das Wesen des Staates feststellen, sofort Bei aller Neigung Friedrichs für theoretische Auseinandersetzung überwiegt In dem fast gleichzeitig mit seiner Thronbesteigung veröffentlichten „Anti- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203494"/> <fw type="header" place="top"> Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_119" prev="#ID_118"> auch nicht, aus diesen Sätzen, die das Wesen des Staates feststellen, sofort<lb/> die praktische Nutzanwendung zu ziehen. Den Schüler Epiknrs widerlegend,<lb/> der es als Grundsatz der Lebensklugheit preist, sich der Übernahme staatlicher<lb/> Pflichten zu entziehen, schreibt er: „Ist es nicht klar, daß jeder Einzelne die<lb/> ihm zufallende Aufgabe erfüllen muß, wenn die Gesamtheit gedeihen soll?<lb/> Was wird also aus der glücklichen Unabhängigkeit, zu deren Lobredner du dich<lb/> machst? Sie macht dich zu einem lahmen und unnützen Gliede des Körpers,<lb/> dem du angehörst." Die Sprache, in der ja die instinktive Weisheit eines<lb/> ganzen Volkes nicht selten den Schatz ihrer tiefsten und feinsten Erkenntnis<lb/> niederlegt, hat sich das Bild vom Staatskörper längst angeeignet und bezeichnet<lb/> den Fürsten als Staatsoberhaupt. Friedrich erläutert dies kurz dahin: „Der<lb/> Fürst ist das oberste Prinzip der Thätigkeit im Staatskörper." (Oeuvres VIII, 71.)</p><lb/> <p xml:id="ID_120"> Bei aller Neigung Friedrichs für theoretische Auseinandersetzung überwiegt<lb/> doch bei ihm der Herrscher den Forscher. Unterscheidungen und Untersuchungen,<lb/> die nicht zu einer klarern Erfassung der Gegenwart und ihrer Aufgaben führen,<lb/> reizen ihn nicht. Er überschaut die ganze Fülle verschiedenartigster Staats¬<lb/> formen, welche die Geschichte ausweist, aber sein Denken bleibt vorzugsweise auf<lb/> die absolute Monarchie gerichtet. Namentlich an der Feudalverfassung geht er<lb/> kurz vorüber. Sie ist ihm barbarisch, polnisch. Das Recht der Souveränität<lb/> ergiebt sich für einen Staat, also namentlich auch für den brandenburgisch-<lb/> preußischen, aus der eignen Natur desselben. Wo ein Staatswesen thatsächlich<lb/> seine Unabhängigkeit behauptet, da ist es berechtigt, als souverän zu gelten.<lb/> Den grundwesentlichen Unterschied der dem preußischen Staate eigenen<lb/> und noch weiter zu verwirklichenden Souveränität von der Scheinsouveränität<lb/> der Kleinstaaten mit voller Klarheit erfaßt zu haben, war unter den politischen<lb/> Einsichten, die sich dem Geiste des jungen Fürsten erschlossen, die folgenreichste.<lb/> Wahrheit an Stelle des Scheines zu setzen, wurde für ihn Aufgabe des Lebens.<lb/> In den Lehrbüchern, welche die allgemeine Lehre vom Staate vortragen, pflegt<lb/> hervorgehoben zu werden, daß zum Begriffe desselben ein bestimmt abgegrenztes<lb/> Land gehöre. Friedrich fügt treffend hinzu, daß ein wahrer und wirklicher<lb/> Staat nur der Großstaat sei. Welcher Umfang für einen solchen erfordert<lb/> wird, beimißt sich allerdings nicht ein für allemal nach der Quadratmeilenzahl,<lb/> sondern hängt wesentlich ab von der Größe der übrigen Staaten, die mit ihm<lb/> zu einem politischen System verflochten sind. „Krieg führen, Schlachten liefern,<lb/> Festungen angreifen oder verteidigen, das ist ausschließlich Sache der großen<lb/> Souveräne. Wer sie nachahmen will, ohne dazu die Macht zu haben, gleicht<lb/> dem Manne, der das Geräusch des Donners nachmachte und sich dann ein¬<lb/> bildete, Juppiter zu sein." (Oeuvres VIII, 96.)</p><lb/> <p xml:id="ID_121" next="#ID_122"> In dem fast gleichzeitig mit seiner Thronbesteigung veröffentlichten „Anti-<lb/> machiavel" wird Friedrich nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, daß<lb/> die Kleinstaaterei kein normaler oder etwa gar ein idealer Zustand sei, sondern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.
auch nicht, aus diesen Sätzen, die das Wesen des Staates feststellen, sofort
die praktische Nutzanwendung zu ziehen. Den Schüler Epiknrs widerlegend,
der es als Grundsatz der Lebensklugheit preist, sich der Übernahme staatlicher
Pflichten zu entziehen, schreibt er: „Ist es nicht klar, daß jeder Einzelne die
ihm zufallende Aufgabe erfüllen muß, wenn die Gesamtheit gedeihen soll?
Was wird also aus der glücklichen Unabhängigkeit, zu deren Lobredner du dich
machst? Sie macht dich zu einem lahmen und unnützen Gliede des Körpers,
dem du angehörst." Die Sprache, in der ja die instinktive Weisheit eines
ganzen Volkes nicht selten den Schatz ihrer tiefsten und feinsten Erkenntnis
niederlegt, hat sich das Bild vom Staatskörper längst angeeignet und bezeichnet
den Fürsten als Staatsoberhaupt. Friedrich erläutert dies kurz dahin: „Der
Fürst ist das oberste Prinzip der Thätigkeit im Staatskörper." (Oeuvres VIII, 71.)
Bei aller Neigung Friedrichs für theoretische Auseinandersetzung überwiegt
doch bei ihm der Herrscher den Forscher. Unterscheidungen und Untersuchungen,
die nicht zu einer klarern Erfassung der Gegenwart und ihrer Aufgaben führen,
reizen ihn nicht. Er überschaut die ganze Fülle verschiedenartigster Staats¬
formen, welche die Geschichte ausweist, aber sein Denken bleibt vorzugsweise auf
die absolute Monarchie gerichtet. Namentlich an der Feudalverfassung geht er
kurz vorüber. Sie ist ihm barbarisch, polnisch. Das Recht der Souveränität
ergiebt sich für einen Staat, also namentlich auch für den brandenburgisch-
preußischen, aus der eignen Natur desselben. Wo ein Staatswesen thatsächlich
seine Unabhängigkeit behauptet, da ist es berechtigt, als souverän zu gelten.
Den grundwesentlichen Unterschied der dem preußischen Staate eigenen
und noch weiter zu verwirklichenden Souveränität von der Scheinsouveränität
der Kleinstaaten mit voller Klarheit erfaßt zu haben, war unter den politischen
Einsichten, die sich dem Geiste des jungen Fürsten erschlossen, die folgenreichste.
Wahrheit an Stelle des Scheines zu setzen, wurde für ihn Aufgabe des Lebens.
In den Lehrbüchern, welche die allgemeine Lehre vom Staate vortragen, pflegt
hervorgehoben zu werden, daß zum Begriffe desselben ein bestimmt abgegrenztes
Land gehöre. Friedrich fügt treffend hinzu, daß ein wahrer und wirklicher
Staat nur der Großstaat sei. Welcher Umfang für einen solchen erfordert
wird, beimißt sich allerdings nicht ein für allemal nach der Quadratmeilenzahl,
sondern hängt wesentlich ab von der Größe der übrigen Staaten, die mit ihm
zu einem politischen System verflochten sind. „Krieg führen, Schlachten liefern,
Festungen angreifen oder verteidigen, das ist ausschließlich Sache der großen
Souveräne. Wer sie nachahmen will, ohne dazu die Macht zu haben, gleicht
dem Manne, der das Geräusch des Donners nachmachte und sich dann ein¬
bildete, Juppiter zu sein." (Oeuvres VIII, 96.)
In dem fast gleichzeitig mit seiner Thronbesteigung veröffentlichten „Anti-
machiavel" wird Friedrich nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, daß
die Kleinstaaterei kein normaler oder etwa gar ein idealer Zustand sei, sondern
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