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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Halle in der Litteratur.

in die Hände trieb und an dem auch die fiir allmächtig gehaltene preußische
Disziplin nichts zu bessern vermochte, nahm Laukhard nicht bloß in der viel¬
bändigen Erzählung seines Lebens und seiner Schicksale, die er "zur Warnung
für Eltern und studirende Jünglinge" niedergeschrieben haben wollte, sondern
mich in den brutalen Romanen "Franz Wolfstein" und "Leben und Thaten
des Rheiugrafen Karl Magnus" die Maske des Mentors und Patrioten an,
die ihm jämmerlich schlecht zu Gesichte stand. Bemerkt zu werden aber ver¬
dient, daß diese Bücher erst hervortraten und Leser fanden, als Schillers
"Wallenstein" und Goethe's "Hermann und Dorothea" eben ihre Laufbahn
begannen.

Imi Vergleich mit Gestalten wie Bahrdt und Lauckhard, welche die Litte¬
raturgeschichte des aufgeklärten Halle verunzieren, liegt ein gewisser blasser
Glanz über der Erscheinung des am Ende des vorigen Jahrhunderts so ge¬
priesenen, allgelcsenen und gegenwärtig gänzlich vergessenen August Lafontaine.
Auch Kawerau, ohne sich über die Mängel seiner Schriftstellerei zu täuschen,
kann nicht umhin, ihm eine wärmere Teilnahme zu widmen als den vorange¬
gangenen Erscheinungen. Er rühmt die persönliche Liebenswürdigkeit, hebt mit
Recht hervor, daß man sich hüten müsse, "hinterher, nachdem die Litteratur¬
geschichte ihr Verdikt gefällt, die geistigen Qualitäten dieser vergessenen Mode¬
schriftsteller allzugcring anzuschlagen. Auch in Lafontaines Massenproduktion
steckte ohne Frage Talent, in seinen Erstlingswerken sogar eine ganz ansehn¬
liche Summe, aber in seiner fahrigen Vielschreiberei mußte allmählich das durch
keine Selbstzucht gezügelte Talent elendiglich zu Grunde gehen. Es fehlte dem
von Haus aus aufs glücklichste begabten Manne jeder künstlerische Ehrgeiz."
Grade das hat dem Hallischen Romanschriftsteller seine großen Erfolge ver¬
schafft, daß sich natürliches Talent und die flachste Benutzung desselben in ihm
verbanden, die "immer fertige Selbstgenügsamkeit, für die keine Fragen und
keine Probleme mehr vorhanden sind," entspricht auch heute noch den Neigungen,
den Lese- und Lebensgewohnheiten des mittleren Publikums, und der Schrift¬
steller, der sich empfehlen will, kann das gar nicht zweckmäßiger thun, als in¬
dem er weder Ansprüche an sich selbst noch an das Publikum macht. Dem
tiefern Zusammenhang der weichlichen oder rührseligen Romane Lafontaines mit
der Aufklärung legt Kawerau mit Recht kulturgeschichtliche Bedeutung bei, weil
man kaum irgendwo sonst die breiten Wirkungen des Rationalismus deutlicher
erkennen kann. "Lafontaine ist durchaus ein Geistesverwandter Friedr. Nikolais, nur
mit einem starken Zusätze von Sentimentalität, die dem mehr kritisch beanlagten
Berliner Aufklärer fremd war. Beide, der Geistliche wie der Buchhändler,
standen auf der äußerste" Linken des Rationalismus, beider Geistesart genügte
völlig "eine natürliche Geschichte des großen Propheten von Nazareth", ihr
ganzes Christentum hatte sich in eine seichte Popularphilosophie mit moralischer
Tendenz aufgelöst. Beider religiöse Bedürfnisse waren die denkbar bescheidensten;


Halle in der Litteratur.

in die Hände trieb und an dem auch die fiir allmächtig gehaltene preußische
Disziplin nichts zu bessern vermochte, nahm Laukhard nicht bloß in der viel¬
bändigen Erzählung seines Lebens und seiner Schicksale, die er „zur Warnung
für Eltern und studirende Jünglinge" niedergeschrieben haben wollte, sondern
mich in den brutalen Romanen „Franz Wolfstein" und „Leben und Thaten
des Rheiugrafen Karl Magnus" die Maske des Mentors und Patrioten an,
die ihm jämmerlich schlecht zu Gesichte stand. Bemerkt zu werden aber ver¬
dient, daß diese Bücher erst hervortraten und Leser fanden, als Schillers
„Wallenstein" und Goethe's „Hermann und Dorothea" eben ihre Laufbahn
begannen.

Imi Vergleich mit Gestalten wie Bahrdt und Lauckhard, welche die Litte¬
raturgeschichte des aufgeklärten Halle verunzieren, liegt ein gewisser blasser
Glanz über der Erscheinung des am Ende des vorigen Jahrhunderts so ge¬
priesenen, allgelcsenen und gegenwärtig gänzlich vergessenen August Lafontaine.
Auch Kawerau, ohne sich über die Mängel seiner Schriftstellerei zu täuschen,
kann nicht umhin, ihm eine wärmere Teilnahme zu widmen als den vorange¬
gangenen Erscheinungen. Er rühmt die persönliche Liebenswürdigkeit, hebt mit
Recht hervor, daß man sich hüten müsse, „hinterher, nachdem die Litteratur¬
geschichte ihr Verdikt gefällt, die geistigen Qualitäten dieser vergessenen Mode¬
schriftsteller allzugcring anzuschlagen. Auch in Lafontaines Massenproduktion
steckte ohne Frage Talent, in seinen Erstlingswerken sogar eine ganz ansehn¬
liche Summe, aber in seiner fahrigen Vielschreiberei mußte allmählich das durch
keine Selbstzucht gezügelte Talent elendiglich zu Grunde gehen. Es fehlte dem
von Haus aus aufs glücklichste begabten Manne jeder künstlerische Ehrgeiz."
Grade das hat dem Hallischen Romanschriftsteller seine großen Erfolge ver¬
schafft, daß sich natürliches Talent und die flachste Benutzung desselben in ihm
verbanden, die „immer fertige Selbstgenügsamkeit, für die keine Fragen und
keine Probleme mehr vorhanden sind," entspricht auch heute noch den Neigungen,
den Lese- und Lebensgewohnheiten des mittleren Publikums, und der Schrift¬
steller, der sich empfehlen will, kann das gar nicht zweckmäßiger thun, als in¬
dem er weder Ansprüche an sich selbst noch an das Publikum macht. Dem
tiefern Zusammenhang der weichlichen oder rührseligen Romane Lafontaines mit
der Aufklärung legt Kawerau mit Recht kulturgeschichtliche Bedeutung bei, weil
man kaum irgendwo sonst die breiten Wirkungen des Rationalismus deutlicher
erkennen kann. „Lafontaine ist durchaus ein Geistesverwandter Friedr. Nikolais, nur
mit einem starken Zusätze von Sentimentalität, die dem mehr kritisch beanlagten
Berliner Aufklärer fremd war. Beide, der Geistliche wie der Buchhändler,
standen auf der äußerste» Linken des Rationalismus, beider Geistesart genügte
völlig »eine natürliche Geschichte des großen Propheten von Nazareth«, ihr
ganzes Christentum hatte sich in eine seichte Popularphilosophie mit moralischer
Tendenz aufgelöst. Beider religiöse Bedürfnisse waren die denkbar bescheidensten;


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[0563] Halle in der Litteratur. in die Hände trieb und an dem auch die fiir allmächtig gehaltene preußische Disziplin nichts zu bessern vermochte, nahm Laukhard nicht bloß in der viel¬ bändigen Erzählung seines Lebens und seiner Schicksale, die er „zur Warnung für Eltern und studirende Jünglinge" niedergeschrieben haben wollte, sondern mich in den brutalen Romanen „Franz Wolfstein" und „Leben und Thaten des Rheiugrafen Karl Magnus" die Maske des Mentors und Patrioten an, die ihm jämmerlich schlecht zu Gesichte stand. Bemerkt zu werden aber ver¬ dient, daß diese Bücher erst hervortraten und Leser fanden, als Schillers „Wallenstein" und Goethe's „Hermann und Dorothea" eben ihre Laufbahn begannen. Imi Vergleich mit Gestalten wie Bahrdt und Lauckhard, welche die Litte¬ raturgeschichte des aufgeklärten Halle verunzieren, liegt ein gewisser blasser Glanz über der Erscheinung des am Ende des vorigen Jahrhunderts so ge¬ priesenen, allgelcsenen und gegenwärtig gänzlich vergessenen August Lafontaine. Auch Kawerau, ohne sich über die Mängel seiner Schriftstellerei zu täuschen, kann nicht umhin, ihm eine wärmere Teilnahme zu widmen als den vorange¬ gangenen Erscheinungen. Er rühmt die persönliche Liebenswürdigkeit, hebt mit Recht hervor, daß man sich hüten müsse, „hinterher, nachdem die Litteratur¬ geschichte ihr Verdikt gefällt, die geistigen Qualitäten dieser vergessenen Mode¬ schriftsteller allzugcring anzuschlagen. Auch in Lafontaines Massenproduktion steckte ohne Frage Talent, in seinen Erstlingswerken sogar eine ganz ansehn¬ liche Summe, aber in seiner fahrigen Vielschreiberei mußte allmählich das durch keine Selbstzucht gezügelte Talent elendiglich zu Grunde gehen. Es fehlte dem von Haus aus aufs glücklichste begabten Manne jeder künstlerische Ehrgeiz." Grade das hat dem Hallischen Romanschriftsteller seine großen Erfolge ver¬ schafft, daß sich natürliches Talent und die flachste Benutzung desselben in ihm verbanden, die „immer fertige Selbstgenügsamkeit, für die keine Fragen und keine Probleme mehr vorhanden sind," entspricht auch heute noch den Neigungen, den Lese- und Lebensgewohnheiten des mittleren Publikums, und der Schrift¬ steller, der sich empfehlen will, kann das gar nicht zweckmäßiger thun, als in¬ dem er weder Ansprüche an sich selbst noch an das Publikum macht. Dem tiefern Zusammenhang der weichlichen oder rührseligen Romane Lafontaines mit der Aufklärung legt Kawerau mit Recht kulturgeschichtliche Bedeutung bei, weil man kaum irgendwo sonst die breiten Wirkungen des Rationalismus deutlicher erkennen kann. „Lafontaine ist durchaus ein Geistesverwandter Friedr. Nikolais, nur mit einem starken Zusätze von Sentimentalität, die dem mehr kritisch beanlagten Berliner Aufklärer fremd war. Beide, der Geistliche wie der Buchhändler, standen auf der äußerste» Linken des Rationalismus, beider Geistesart genügte völlig »eine natürliche Geschichte des großen Propheten von Nazareth«, ihr ganzes Christentum hatte sich in eine seichte Popularphilosophie mit moralischer Tendenz aufgelöst. Beider religiöse Bedürfnisse waren die denkbar bescheidensten;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/563>, abgerufen am 22.07.2024.