Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Halle in der Litteratur.

entrüstet und Anlaß zu gewaltigen Strafreden gegeben hatte, so sollte er bald
überboten werden. Denn von 1779 an ließ sich Doktor Karl Friedrich Bahrdt,
bereits der berüchtigtste aller berüchtigten Aufklärer, dauernd in Halle nieder,
um von hier aus eine Reihe neuer Offenbarungen ausgehen zu lassen, die dem
Rationalismus auf sein schwärzestes Sündenregister gesetzt wurden. Ein ver¬
wüstetes und verlottertes Leben hinter sich, von Haus ans ein seichter Gesell
und durch seine selbstverschuldeten Schicksale immer platter geworden, hielt
Bahrdt das aufgeklärte Halle für seine Domäne, indem er über alles Mögliche,
über Philosophie und Philologie, über Moral und Theorie der Deklamation
zu lesen begann, wobei es ihm auch an Zulauf nicht fehlte, indem er nach den
Worten des Ministers von Zedlitz vom Stallmeister bis zum Professor der
Mathematik oder der Anatomie jeden leer werdenden Platz bei der Universität
für sich forderte und, freilich von der bittersten Not des Lebens gedrängt,
unbarmherzig darauf los schmierte. Er übersetzte Tncitus und Juvenal, schrieb
eine Logik und Metaphysik, gab Gedichte eines Naturalisten (ein Jahrhundert
vor Bleibtreu und Friedrichs!) eine Redekunst für geistliche Redner und ein
Sittenbuch fürs Gesinde heraus, verfaßte zwischendurch Pasquille und Pamphlete
und verkündigte in immer neuen Büchern sein aufgeklärtes Christentum, dessen
Christus schließlich nichts andres war als ein Aufklärer vou dem Schlage des
Herrn Doktor Bahrdt selber. Während allmählich seine im seichtesten Geschwätz
versandende theologische Schriftstellern kaum noch ernsthaft genommen wurde,
wußte er durch seine giftigen Ausfälle gegen zeitgenössische Theologen wenigstens
noch zeitweilig von sich reden zu machen und damit zugleich sein Bedürfnis
nach Skandal und Persvnalklatsch zu befriedigen. Seinerseits sorgte er gründlich
dafür, auch auf seine Kosten das gesamte Publikum mit Skandal und Klatsch
zu bewirten, so als er in holder Gemeinsamkeit mit seiner Dienstmagd eine
Schankwirtschaft auf seinem Weinbergsgrundstück bei Halle aufthat, so als er
es durch fortgesetzte Opposition gegen Wöllner dahin brachte, ein Jahr Festungs¬
arrest in Magdeburg zu erhalten, so als er seine eigne Lebensgeschichte hinter¬
ließ, in der er, wie Kawerau sagt, durch das Bestreben, die Schande von sich
abzuwälzen, sich ein Denkmal seiner Schande errichtet hat.

Eine Bahrdt verwandte, nur durch stärkeren Cynismus und größeres
Pech, aber auch durch bessere Selbsterkenntnis von ihm unterschiedene Natur
war jener Magister Friedrich Christian Laukhard, welcher als gemeiner Soldat
im preußischen Regiment Thadden die Muskete trug und nebenbei aufgeklärte
Romane schrieb. Laukhard, dessen Kawerau am Schlüsse seines Buches ge¬
denkt, bezeichnet eine der äußersten Spitzen der verliederlichten Freigeisterei, die mit
der verliederlichten Naturschwärmerci gewisser Stürmer und Dränger der Zeit
nach wie den Resultaten nach zusammentraf. Ein geborner Pfälzer, der in Gießen,
Jena und Halle Mark, Halt und Habe im rohesten und wüstesten Studenten¬
leben verpraßt hatte, den die äußerste Hilflosigkeit den preußischen Werbern


Halle in der Litteratur.

entrüstet und Anlaß zu gewaltigen Strafreden gegeben hatte, so sollte er bald
überboten werden. Denn von 1779 an ließ sich Doktor Karl Friedrich Bahrdt,
bereits der berüchtigtste aller berüchtigten Aufklärer, dauernd in Halle nieder,
um von hier aus eine Reihe neuer Offenbarungen ausgehen zu lassen, die dem
Rationalismus auf sein schwärzestes Sündenregister gesetzt wurden. Ein ver¬
wüstetes und verlottertes Leben hinter sich, von Haus ans ein seichter Gesell
und durch seine selbstverschuldeten Schicksale immer platter geworden, hielt
Bahrdt das aufgeklärte Halle für seine Domäne, indem er über alles Mögliche,
über Philosophie und Philologie, über Moral und Theorie der Deklamation
zu lesen begann, wobei es ihm auch an Zulauf nicht fehlte, indem er nach den
Worten des Ministers von Zedlitz vom Stallmeister bis zum Professor der
Mathematik oder der Anatomie jeden leer werdenden Platz bei der Universität
für sich forderte und, freilich von der bittersten Not des Lebens gedrängt,
unbarmherzig darauf los schmierte. Er übersetzte Tncitus und Juvenal, schrieb
eine Logik und Metaphysik, gab Gedichte eines Naturalisten (ein Jahrhundert
vor Bleibtreu und Friedrichs!) eine Redekunst für geistliche Redner und ein
Sittenbuch fürs Gesinde heraus, verfaßte zwischendurch Pasquille und Pamphlete
und verkündigte in immer neuen Büchern sein aufgeklärtes Christentum, dessen
Christus schließlich nichts andres war als ein Aufklärer vou dem Schlage des
Herrn Doktor Bahrdt selber. Während allmählich seine im seichtesten Geschwätz
versandende theologische Schriftstellern kaum noch ernsthaft genommen wurde,
wußte er durch seine giftigen Ausfälle gegen zeitgenössische Theologen wenigstens
noch zeitweilig von sich reden zu machen und damit zugleich sein Bedürfnis
nach Skandal und Persvnalklatsch zu befriedigen. Seinerseits sorgte er gründlich
dafür, auch auf seine Kosten das gesamte Publikum mit Skandal und Klatsch
zu bewirten, so als er in holder Gemeinsamkeit mit seiner Dienstmagd eine
Schankwirtschaft auf seinem Weinbergsgrundstück bei Halle aufthat, so als er
es durch fortgesetzte Opposition gegen Wöllner dahin brachte, ein Jahr Festungs¬
arrest in Magdeburg zu erhalten, so als er seine eigne Lebensgeschichte hinter¬
ließ, in der er, wie Kawerau sagt, durch das Bestreben, die Schande von sich
abzuwälzen, sich ein Denkmal seiner Schande errichtet hat.

Eine Bahrdt verwandte, nur durch stärkeren Cynismus und größeres
Pech, aber auch durch bessere Selbsterkenntnis von ihm unterschiedene Natur
war jener Magister Friedrich Christian Laukhard, welcher als gemeiner Soldat
im preußischen Regiment Thadden die Muskete trug und nebenbei aufgeklärte
Romane schrieb. Laukhard, dessen Kawerau am Schlüsse seines Buches ge¬
denkt, bezeichnet eine der äußersten Spitzen der verliederlichten Freigeisterei, die mit
der verliederlichten Naturschwärmerci gewisser Stürmer und Dränger der Zeit
nach wie den Resultaten nach zusammentraf. Ein geborner Pfälzer, der in Gießen,
Jena und Halle Mark, Halt und Habe im rohesten und wüstesten Studenten¬
leben verpraßt hatte, den die äußerste Hilflosigkeit den preußischen Werbern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0562" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203997"/>
          <fw type="header" place="top"> Halle in der Litteratur.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1440" prev="#ID_1439"> entrüstet und Anlaß zu gewaltigen Strafreden gegeben hatte, so sollte er bald<lb/>
überboten werden. Denn von 1779 an ließ sich Doktor Karl Friedrich Bahrdt,<lb/>
bereits der berüchtigtste aller berüchtigten Aufklärer, dauernd in Halle nieder,<lb/>
um von hier aus eine Reihe neuer Offenbarungen ausgehen zu lassen, die dem<lb/>
Rationalismus auf sein schwärzestes Sündenregister gesetzt wurden. Ein ver¬<lb/>
wüstetes und verlottertes Leben hinter sich, von Haus ans ein seichter Gesell<lb/>
und durch seine selbstverschuldeten Schicksale immer platter geworden, hielt<lb/>
Bahrdt das aufgeklärte Halle für seine Domäne, indem er über alles Mögliche,<lb/>
über Philosophie und Philologie, über Moral und Theorie der Deklamation<lb/>
zu lesen begann, wobei es ihm auch an Zulauf nicht fehlte, indem er nach den<lb/>
Worten des Ministers von Zedlitz vom Stallmeister bis zum Professor der<lb/>
Mathematik oder der Anatomie jeden leer werdenden Platz bei der Universität<lb/>
für sich forderte und, freilich von der bittersten Not des Lebens gedrängt,<lb/>
unbarmherzig darauf los schmierte. Er übersetzte Tncitus und Juvenal, schrieb<lb/>
eine Logik und Metaphysik, gab Gedichte eines Naturalisten (ein Jahrhundert<lb/>
vor Bleibtreu und Friedrichs!) eine Redekunst für geistliche Redner und ein<lb/>
Sittenbuch fürs Gesinde heraus, verfaßte zwischendurch Pasquille und Pamphlete<lb/>
und verkündigte in immer neuen Büchern sein aufgeklärtes Christentum, dessen<lb/>
Christus schließlich nichts andres war als ein Aufklärer vou dem Schlage des<lb/>
Herrn Doktor Bahrdt selber. Während allmählich seine im seichtesten Geschwätz<lb/>
versandende theologische Schriftstellern kaum noch ernsthaft genommen wurde,<lb/>
wußte er durch seine giftigen Ausfälle gegen zeitgenössische Theologen wenigstens<lb/>
noch zeitweilig von sich reden zu machen und damit zugleich sein Bedürfnis<lb/>
nach Skandal und Persvnalklatsch zu befriedigen. Seinerseits sorgte er gründlich<lb/>
dafür, auch auf seine Kosten das gesamte Publikum mit Skandal und Klatsch<lb/>
zu bewirten, so als er in holder Gemeinsamkeit mit seiner Dienstmagd eine<lb/>
Schankwirtschaft auf seinem Weinbergsgrundstück bei Halle aufthat, so als er<lb/>
es durch fortgesetzte Opposition gegen Wöllner dahin brachte, ein Jahr Festungs¬<lb/>
arrest in Magdeburg zu erhalten, so als er seine eigne Lebensgeschichte hinter¬<lb/>
ließ, in der er, wie Kawerau sagt, durch das Bestreben, die Schande von sich<lb/>
abzuwälzen, sich ein Denkmal seiner Schande errichtet hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1441" next="#ID_1442"> Eine Bahrdt verwandte, nur durch stärkeren Cynismus und größeres<lb/>
Pech, aber auch durch bessere Selbsterkenntnis von ihm unterschiedene Natur<lb/>
war jener Magister Friedrich Christian Laukhard, welcher als gemeiner Soldat<lb/>
im preußischen Regiment Thadden die Muskete trug und nebenbei aufgeklärte<lb/>
Romane schrieb. Laukhard, dessen Kawerau am Schlüsse seines Buches ge¬<lb/>
denkt, bezeichnet eine der äußersten Spitzen der verliederlichten Freigeisterei, die mit<lb/>
der verliederlichten Naturschwärmerci gewisser Stürmer und Dränger der Zeit<lb/>
nach wie den Resultaten nach zusammentraf. Ein geborner Pfälzer, der in Gießen,<lb/>
Jena und Halle Mark, Halt und Habe im rohesten und wüstesten Studenten¬<lb/>
leben verpraßt hatte, den die äußerste Hilflosigkeit den preußischen Werbern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0562] Halle in der Litteratur. entrüstet und Anlaß zu gewaltigen Strafreden gegeben hatte, so sollte er bald überboten werden. Denn von 1779 an ließ sich Doktor Karl Friedrich Bahrdt, bereits der berüchtigtste aller berüchtigten Aufklärer, dauernd in Halle nieder, um von hier aus eine Reihe neuer Offenbarungen ausgehen zu lassen, die dem Rationalismus auf sein schwärzestes Sündenregister gesetzt wurden. Ein ver¬ wüstetes und verlottertes Leben hinter sich, von Haus ans ein seichter Gesell und durch seine selbstverschuldeten Schicksale immer platter geworden, hielt Bahrdt das aufgeklärte Halle für seine Domäne, indem er über alles Mögliche, über Philosophie und Philologie, über Moral und Theorie der Deklamation zu lesen begann, wobei es ihm auch an Zulauf nicht fehlte, indem er nach den Worten des Ministers von Zedlitz vom Stallmeister bis zum Professor der Mathematik oder der Anatomie jeden leer werdenden Platz bei der Universität für sich forderte und, freilich von der bittersten Not des Lebens gedrängt, unbarmherzig darauf los schmierte. Er übersetzte Tncitus und Juvenal, schrieb eine Logik und Metaphysik, gab Gedichte eines Naturalisten (ein Jahrhundert vor Bleibtreu und Friedrichs!) eine Redekunst für geistliche Redner und ein Sittenbuch fürs Gesinde heraus, verfaßte zwischendurch Pasquille und Pamphlete und verkündigte in immer neuen Büchern sein aufgeklärtes Christentum, dessen Christus schließlich nichts andres war als ein Aufklärer vou dem Schlage des Herrn Doktor Bahrdt selber. Während allmählich seine im seichtesten Geschwätz versandende theologische Schriftstellern kaum noch ernsthaft genommen wurde, wußte er durch seine giftigen Ausfälle gegen zeitgenössische Theologen wenigstens noch zeitweilig von sich reden zu machen und damit zugleich sein Bedürfnis nach Skandal und Persvnalklatsch zu befriedigen. Seinerseits sorgte er gründlich dafür, auch auf seine Kosten das gesamte Publikum mit Skandal und Klatsch zu bewirten, so als er in holder Gemeinsamkeit mit seiner Dienstmagd eine Schankwirtschaft auf seinem Weinbergsgrundstück bei Halle aufthat, so als er es durch fortgesetzte Opposition gegen Wöllner dahin brachte, ein Jahr Festungs¬ arrest in Magdeburg zu erhalten, so als er seine eigne Lebensgeschichte hinter¬ ließ, in der er, wie Kawerau sagt, durch das Bestreben, die Schande von sich abzuwälzen, sich ein Denkmal seiner Schande errichtet hat. Eine Bahrdt verwandte, nur durch stärkeren Cynismus und größeres Pech, aber auch durch bessere Selbsterkenntnis von ihm unterschiedene Natur war jener Magister Friedrich Christian Laukhard, welcher als gemeiner Soldat im preußischen Regiment Thadden die Muskete trug und nebenbei aufgeklärte Romane schrieb. Laukhard, dessen Kawerau am Schlüsse seines Buches ge¬ denkt, bezeichnet eine der äußersten Spitzen der verliederlichten Freigeisterei, die mit der verliederlichten Naturschwärmerci gewisser Stürmer und Dränger der Zeit nach wie den Resultaten nach zusammentraf. Ein geborner Pfälzer, der in Gießen, Jena und Halle Mark, Halt und Habe im rohesten und wüstesten Studenten¬ leben verpraßt hatte, den die äußerste Hilflosigkeit den preußischen Werbern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/562
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/562>, abgerufen am 22.07.2024.