Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Line Geschichte der Parteien in Rußland. nächste Ziel muß darum die Erkämpfung des Freistaats, die Herrschaft des Das liberalisirende Regiment^des Generals Loris Melikow, dem der Kaiser Line Geschichte der Parteien in Rußland. nächste Ziel muß darum die Erkämpfung des Freistaats, die Herrschaft des Das liberalisirende Regiment^des Generals Loris Melikow, dem der Kaiser <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203990"/> <fw type="header" place="top"> Line Geschichte der Parteien in Rußland.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1428" prev="#ID_1427"> nächste Ziel muß darum die Erkämpfung des Freistaats, die Herrschaft des<lb/> Volkswillens sein. Der dabei verübte politische Mord heißt Hinrichtung, die<lb/> Entwertung öffentlicher Gelder Beschlagnahme. Beide werden nur durch die<lb/> Notlage eines von absolutistischer Willkür geknechteten Volkes gerechtfertigt.<lb/> Verharrt die Regierung auf ihrem ablehnenden Standpunkte, so wird eine<lb/> Revolution dem Lande nicht erspart bleiben können. Die Vorbereitungen zu<lb/> einer solchen sind ohne Verzug in Angriff zu nehmen. Es bedarf für diesen<lb/> Zweck neben der Organisation der den Umsturz ausführenden Arbeilerbataillone<lb/> der Gewinnung eines einflußreichen Anhangs von Offizieren und Zivilbeamten,<lb/> deren Parteinahme im entscheidenden Augenblicke die Regierung entwaffnet. In<lb/> zweiter Linie sind die Sympathien der gesammten Intelligenz, namentlich der<lb/> gebildeten Jugend für eine soziale Revolution zu erstreben. Daß ein unglück¬<lb/> licher Krieg mit dem Westen die Aussichten auf eine solche verstärken werde,<lb/> ist zwar zu hoffen, aber nicht als völlig sicher zu betrachten; vielmehr wird<lb/> man mit einer Reihe terroristischer Thaten, etwa der Hinrichtung von 10 bis<lb/> 15 von den höchstgestellten Staatsdienern, vorzugehen haben, auf die eine<lb/> Volkserhebung folgen wird. Ist diese günstig verlaufen, so wird der Partei-<lb/> Vorstand ein Volksparlament einberufen und diesem die Zügel der Negierung<lb/> übergeben." Das Verfahren des Exkutivwmitss der terroristischen Gruppe<lb/> entsprach jetzt diesem Plane. Mit der bisherigen Politik der massenhaften<lb/> Attentate wurde gebrochen, und alle Kraft ans das nächste Ziel, die Ermordung<lb/> des Kaisers konzentrirt. Die einzige Waffe war jetzt das Dynamik. Am 26. August<lb/> 1879 „verurteilte" das Exekutivkomit6 den Zaren „zum Tode", und es wurde<lb/> beschlossen, ihn, der damals in der Krim weilte, auf der Rückkehr nach Peters¬<lb/> burg in die Luft zu sprengen, zu welchem Zwecke unter der Eisenbahn bei<lb/> Odessa, Alexandrowsk und Moskau Minen gelegt wurden. Der Plan mißlang,<lb/> der Kaiser berührte Odessa gar nicht, die Mine bei Alexandrowsk versagte, und<lb/> die bei Moskau zerstörte nur einen Gepäckzug, der ausnahmsweise dem kaiser¬<lb/> lichen Zuge vorausfuhr. Ebensowenig wurde der Zweck des Planes, den Kaiser<lb/> mit einem Teile des Winterpalastes in die Luft zu sprengen, erreicht, da die<lb/> betreffende Dynamitmine, als sie am 5. Februar 1880 explodirte, nur einen<lb/> großen Teil der Palastwände tötete oder verwundete. Ein Zufall, das verspätete<lb/> Eintreffen des Fürsten von Bulgarien, hatte den Monarchen vom Speisesaale<lb/> ferngehalten, wo er sich nach der Berechnung der Verschwörer im Augenblicke<lb/> der Explosion befinden sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1429" next="#ID_1430"> Das liberalisirende Regiment^des Generals Loris Melikow, dem der Kaiser<lb/> hierauf mit fast diktatorischer Gewalt die Leitung der inneren Angelegenheiten<lb/> übertrug, versöhnte die Terroristen nicht. Sie bereiteten ein neues Attentat<lb/> vor, und am 1. März 1882 fiel Alexander II., nachdem er wenige Stunden<lb/> vorher eine Art von Verfassung unterzeichnet hatte, durch die Sprengstücke<lb/> von Dynamitbomben, die zwei Nihilisten unter seinen Wagen geschleudert hatten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0555]
Line Geschichte der Parteien in Rußland.
nächste Ziel muß darum die Erkämpfung des Freistaats, die Herrschaft des
Volkswillens sein. Der dabei verübte politische Mord heißt Hinrichtung, die
Entwertung öffentlicher Gelder Beschlagnahme. Beide werden nur durch die
Notlage eines von absolutistischer Willkür geknechteten Volkes gerechtfertigt.
Verharrt die Regierung auf ihrem ablehnenden Standpunkte, so wird eine
Revolution dem Lande nicht erspart bleiben können. Die Vorbereitungen zu
einer solchen sind ohne Verzug in Angriff zu nehmen. Es bedarf für diesen
Zweck neben der Organisation der den Umsturz ausführenden Arbeilerbataillone
der Gewinnung eines einflußreichen Anhangs von Offizieren und Zivilbeamten,
deren Parteinahme im entscheidenden Augenblicke die Regierung entwaffnet. In
zweiter Linie sind die Sympathien der gesammten Intelligenz, namentlich der
gebildeten Jugend für eine soziale Revolution zu erstreben. Daß ein unglück¬
licher Krieg mit dem Westen die Aussichten auf eine solche verstärken werde,
ist zwar zu hoffen, aber nicht als völlig sicher zu betrachten; vielmehr wird
man mit einer Reihe terroristischer Thaten, etwa der Hinrichtung von 10 bis
15 von den höchstgestellten Staatsdienern, vorzugehen haben, auf die eine
Volkserhebung folgen wird. Ist diese günstig verlaufen, so wird der Partei-
Vorstand ein Volksparlament einberufen und diesem die Zügel der Negierung
übergeben." Das Verfahren des Exkutivwmitss der terroristischen Gruppe
entsprach jetzt diesem Plane. Mit der bisherigen Politik der massenhaften
Attentate wurde gebrochen, und alle Kraft ans das nächste Ziel, die Ermordung
des Kaisers konzentrirt. Die einzige Waffe war jetzt das Dynamik. Am 26. August
1879 „verurteilte" das Exekutivkomit6 den Zaren „zum Tode", und es wurde
beschlossen, ihn, der damals in der Krim weilte, auf der Rückkehr nach Peters¬
burg in die Luft zu sprengen, zu welchem Zwecke unter der Eisenbahn bei
Odessa, Alexandrowsk und Moskau Minen gelegt wurden. Der Plan mißlang,
der Kaiser berührte Odessa gar nicht, die Mine bei Alexandrowsk versagte, und
die bei Moskau zerstörte nur einen Gepäckzug, der ausnahmsweise dem kaiser¬
lichen Zuge vorausfuhr. Ebensowenig wurde der Zweck des Planes, den Kaiser
mit einem Teile des Winterpalastes in die Luft zu sprengen, erreicht, da die
betreffende Dynamitmine, als sie am 5. Februar 1880 explodirte, nur einen
großen Teil der Palastwände tötete oder verwundete. Ein Zufall, das verspätete
Eintreffen des Fürsten von Bulgarien, hatte den Monarchen vom Speisesaale
ferngehalten, wo er sich nach der Berechnung der Verschwörer im Augenblicke
der Explosion befinden sollte.
Das liberalisirende Regiment^des Generals Loris Melikow, dem der Kaiser
hierauf mit fast diktatorischer Gewalt die Leitung der inneren Angelegenheiten
übertrug, versöhnte die Terroristen nicht. Sie bereiteten ein neues Attentat
vor, und am 1. März 1882 fiel Alexander II., nachdem er wenige Stunden
vorher eine Art von Verfassung unterzeichnet hatte, durch die Sprengstücke
von Dynamitbomben, die zwei Nihilisten unter seinen Wagen geschleudert hatten
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