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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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ZVoermcmns Geschichte der Malerei.

der kunstwissenschaftlicher Einzelheiten der von Woltmann vorwiegend betonte
geschichtliche Charakter des Buches verloren gehen und statt einer "Geschichte
der Malerei" eine Aneinanderreihung von Malercharakteristiken nach chrono¬
logischen Gesichtspunkten zu stände kommen. Aber nach dem von Woerman"
auf seinen Reisen gesammelten Studienmaterial war ihm nicht zuzumuten, das?
er sich mit dem wohlfeilen Ruhme, ein lesbares, allgemein verständliches Buch
geschrieben zu haben, begnügen sollte. Hier war einmal die Gelegenheit geboten,
eine Geschichte der Malerei von wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu geben, und
daß Wocrmann mit entschlossener Hand diese Gelegenheit ergriff, ohne sich
ängstlich um den Erfolg des Buches bei der großen Masse der Leser zu
kümmern, kann ihm und dem Verleger, der ans seine Absichten einging, nicht
genug gedankt werden. Wer soviel Ernst und Sammlung besitzt, um sich tiefer
in das Studium der Kunstgeschichte zu versenken, wird an dieser Art kritischer
Behandlung leinen Anstoß nehmen, zumal da der eigentlich wissenschaftliche
Apparat meist in die Anmerkungen verwiesen worden ist und die Geschichts¬
darstellung selbst sich durch jene Klarheit und Faßlichkeit auszeichnet, die dnrch
Schnaase, Kugler und Lübke zur Richtschnur für die Kunstwissenschaft gemacht
worden ist, von der auch das jüngere Geschlecht, in seiner weitaus überwiegenden
Mehrheit, nicht abweicht. Das Märchen vom "Rothwälsch" der Kunstgelehrten
ist nur von Leuten aufgebracht worden, welche die Aufmerksamkeit der urteils¬
losen Menge auf ihre eignen dilettantischen Machwerke lenken wollen, die erst
aus den Vorarbeiten der Kunstgelehrten zusammengeschrieben werden konnten.

Im Vorwort zum zweiten Bande hat Wocrmann nicht nur die Grund¬
sätze bezeichnet, nach denen er verfahren ist, sondern auch eine Art von kunstwissen¬
schaftlichem Glaubensbekenntnis abgelegt. Um sich zunächst mit den verschiedenen
Richtungen der neuern Kunstwissenschaft abzufinden, macht er folgende Bemerkungen:
"Die Bilderkenner, die Urkundenforscher, die Historiker und Ästhetiker haben sich
gelegentlich gelinde befehdet. Man konnte hören, daß die Bilderkenner die Ur¬
kundenforscher "Dokumeutenjäger" nannten, die letztern den erstern die Subjektivität
ihrer Urteile vorwarfen, während die Historiker, welche es für die Hauptaufgabe
der Kunstgeschichte erklärten, den Zusammenhang mit der allgemeinen Welt-
und Kulturgeschichte zu wahren, über den mangelnden historischen Sinn jener
Spezialisten klagten, sich dafür von diesen aber einen Mangel an positiver
Kennerschaft nachsagen lassen mußten, und alle diese gemeinsam mit einer gewissen,
nicht immer von Einseitigkeit freizusprechenden Geringschätzung auf die ästhetische
Richtung innerhalb der Kunstgeschichte herabsahen. Daß die kunstgeschichtliche
Forschung in verschiedene Zweige und Richtungen auseinanderstreben mußte,
erscheint jedoch dem stets anwachsenden Material gegenüber natürlich. .. Anstatt
sich gegenseitig zu befehden oder zu verdächtigen, müssen die verschiedenen
Richtungen einander freundschaftlich in die Hand arbeiten." Eine Gesamtgeschichte
der Malerei hat nach des Verfassers Ansicht die Aufgabe, "die Resultate aller


Grenzboten IV. 1388. H5
ZVoermcmns Geschichte der Malerei.

der kunstwissenschaftlicher Einzelheiten der von Woltmann vorwiegend betonte
geschichtliche Charakter des Buches verloren gehen und statt einer „Geschichte
der Malerei" eine Aneinanderreihung von Malercharakteristiken nach chrono¬
logischen Gesichtspunkten zu stände kommen. Aber nach dem von Woerman»
auf seinen Reisen gesammelten Studienmaterial war ihm nicht zuzumuten, das?
er sich mit dem wohlfeilen Ruhme, ein lesbares, allgemein verständliches Buch
geschrieben zu haben, begnügen sollte. Hier war einmal die Gelegenheit geboten,
eine Geschichte der Malerei von wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu geben, und
daß Wocrmann mit entschlossener Hand diese Gelegenheit ergriff, ohne sich
ängstlich um den Erfolg des Buches bei der großen Masse der Leser zu
kümmern, kann ihm und dem Verleger, der ans seine Absichten einging, nicht
genug gedankt werden. Wer soviel Ernst und Sammlung besitzt, um sich tiefer
in das Studium der Kunstgeschichte zu versenken, wird an dieser Art kritischer
Behandlung leinen Anstoß nehmen, zumal da der eigentlich wissenschaftliche
Apparat meist in die Anmerkungen verwiesen worden ist und die Geschichts¬
darstellung selbst sich durch jene Klarheit und Faßlichkeit auszeichnet, die dnrch
Schnaase, Kugler und Lübke zur Richtschnur für die Kunstwissenschaft gemacht
worden ist, von der auch das jüngere Geschlecht, in seiner weitaus überwiegenden
Mehrheit, nicht abweicht. Das Märchen vom „Rothwälsch" der Kunstgelehrten
ist nur von Leuten aufgebracht worden, welche die Aufmerksamkeit der urteils¬
losen Menge auf ihre eignen dilettantischen Machwerke lenken wollen, die erst
aus den Vorarbeiten der Kunstgelehrten zusammengeschrieben werden konnten.

Im Vorwort zum zweiten Bande hat Wocrmann nicht nur die Grund¬
sätze bezeichnet, nach denen er verfahren ist, sondern auch eine Art von kunstwissen¬
schaftlichem Glaubensbekenntnis abgelegt. Um sich zunächst mit den verschiedenen
Richtungen der neuern Kunstwissenschaft abzufinden, macht er folgende Bemerkungen:
„Die Bilderkenner, die Urkundenforscher, die Historiker und Ästhetiker haben sich
gelegentlich gelinde befehdet. Man konnte hören, daß die Bilderkenner die Ur¬
kundenforscher „Dokumeutenjäger" nannten, die letztern den erstern die Subjektivität
ihrer Urteile vorwarfen, während die Historiker, welche es für die Hauptaufgabe
der Kunstgeschichte erklärten, den Zusammenhang mit der allgemeinen Welt-
und Kulturgeschichte zu wahren, über den mangelnden historischen Sinn jener
Spezialisten klagten, sich dafür von diesen aber einen Mangel an positiver
Kennerschaft nachsagen lassen mußten, und alle diese gemeinsam mit einer gewissen,
nicht immer von Einseitigkeit freizusprechenden Geringschätzung auf die ästhetische
Richtung innerhalb der Kunstgeschichte herabsahen. Daß die kunstgeschichtliche
Forschung in verschiedene Zweige und Richtungen auseinanderstreben mußte,
erscheint jedoch dem stets anwachsenden Material gegenüber natürlich. .. Anstatt
sich gegenseitig zu befehden oder zu verdächtigen, müssen die verschiedenen
Richtungen einander freundschaftlich in die Hand arbeiten." Eine Gesamtgeschichte
der Malerei hat nach des Verfassers Ansicht die Aufgabe, „die Resultate aller


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[0521] ZVoermcmns Geschichte der Malerei. der kunstwissenschaftlicher Einzelheiten der von Woltmann vorwiegend betonte geschichtliche Charakter des Buches verloren gehen und statt einer „Geschichte der Malerei" eine Aneinanderreihung von Malercharakteristiken nach chrono¬ logischen Gesichtspunkten zu stände kommen. Aber nach dem von Woerman» auf seinen Reisen gesammelten Studienmaterial war ihm nicht zuzumuten, das? er sich mit dem wohlfeilen Ruhme, ein lesbares, allgemein verständliches Buch geschrieben zu haben, begnügen sollte. Hier war einmal die Gelegenheit geboten, eine Geschichte der Malerei von wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu geben, und daß Wocrmann mit entschlossener Hand diese Gelegenheit ergriff, ohne sich ängstlich um den Erfolg des Buches bei der großen Masse der Leser zu kümmern, kann ihm und dem Verleger, der ans seine Absichten einging, nicht genug gedankt werden. Wer soviel Ernst und Sammlung besitzt, um sich tiefer in das Studium der Kunstgeschichte zu versenken, wird an dieser Art kritischer Behandlung leinen Anstoß nehmen, zumal da der eigentlich wissenschaftliche Apparat meist in die Anmerkungen verwiesen worden ist und die Geschichts¬ darstellung selbst sich durch jene Klarheit und Faßlichkeit auszeichnet, die dnrch Schnaase, Kugler und Lübke zur Richtschnur für die Kunstwissenschaft gemacht worden ist, von der auch das jüngere Geschlecht, in seiner weitaus überwiegenden Mehrheit, nicht abweicht. Das Märchen vom „Rothwälsch" der Kunstgelehrten ist nur von Leuten aufgebracht worden, welche die Aufmerksamkeit der urteils¬ losen Menge auf ihre eignen dilettantischen Machwerke lenken wollen, die erst aus den Vorarbeiten der Kunstgelehrten zusammengeschrieben werden konnten. Im Vorwort zum zweiten Bande hat Wocrmann nicht nur die Grund¬ sätze bezeichnet, nach denen er verfahren ist, sondern auch eine Art von kunstwissen¬ schaftlichem Glaubensbekenntnis abgelegt. Um sich zunächst mit den verschiedenen Richtungen der neuern Kunstwissenschaft abzufinden, macht er folgende Bemerkungen: „Die Bilderkenner, die Urkundenforscher, die Historiker und Ästhetiker haben sich gelegentlich gelinde befehdet. Man konnte hören, daß die Bilderkenner die Ur¬ kundenforscher „Dokumeutenjäger" nannten, die letztern den erstern die Subjektivität ihrer Urteile vorwarfen, während die Historiker, welche es für die Hauptaufgabe der Kunstgeschichte erklärten, den Zusammenhang mit der allgemeinen Welt- und Kulturgeschichte zu wahren, über den mangelnden historischen Sinn jener Spezialisten klagten, sich dafür von diesen aber einen Mangel an positiver Kennerschaft nachsagen lassen mußten, und alle diese gemeinsam mit einer gewissen, nicht immer von Einseitigkeit freizusprechenden Geringschätzung auf die ästhetische Richtung innerhalb der Kunstgeschichte herabsahen. Daß die kunstgeschichtliche Forschung in verschiedene Zweige und Richtungen auseinanderstreben mußte, erscheint jedoch dem stets anwachsenden Material gegenüber natürlich. .. Anstatt sich gegenseitig zu befehden oder zu verdächtigen, müssen die verschiedenen Richtungen einander freundschaftlich in die Hand arbeiten." Eine Gesamtgeschichte der Malerei hat nach des Verfassers Ansicht die Aufgabe, „die Resultate aller Grenzboten IV. 1388. H5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/521>, abgerufen am 22.07.2024.