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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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lvoermanns Geschichte der Malerei.

entwickelt hätte, so wäre auch ohne die Romantik kein Naturalismus entstanden.
In ihm haben wir nur den äußersten Grad jener litterarischen Reaktion zu
erkennen, die in der Mitte unsers Jahrhunderts gegen die Romantik hervor¬
brach, und die gewöhnlich mit dem nichtssagenden, aber um so bequemeren
Worte "Realismus" bezeichnet wird.




lVoermanns Geschichte der Malerei.

s ach zwölfjähriger Arbeit ist jetzt endlich ein umfassendes kunst¬
geschichtliches Werk zum Abschluß gekommen, das in der Geschichte
einer Entstehung zugleich die Entwicklung der Kunstwissenschaft
während des gleichen Zeitraumes widerspiegelt*). Als Alfred
Woltmann im Jahre 1875 dieses Werk in Angriff nahm, lag es
in seiner Absicht, einen Ersatz für das in der dritten Auflage durch die un¬
geschickte Mitwirkung eines Dilettanten zu Grunde gerichtete Handbuch von
Franz Kugler zu schaffen. Obwohl sich Woltmann auf verschiedenen Gebieten
der Spezialforschung bewährt und bahnbrechend gewirkt hatte, war doch sein
wissenschaftlicher Standpunkt im allgemeinen von dem Kuglcrs, Schnaases und
Lübkes nicht weit entfernt. Er war in erster Linie Geschichtsschreiber, verlor
eine abgerundete künstlerische Darstellung als eines seiner Hauptziele niemals
aus den Angen und schloß die kritischen Einzelheiten ans dem Nahmen seiner
Darstellung aus, soweit es die Klarheit derselben irgendwie zuließ. Es soll
damit nicht etwa gesagt sein, daß Woltmann zu seiner Zeit nicht auf der Höhe
der Kunstwissenschaft gestanden habe. Der Fortsetzer seines Werkes, Karl Woermann,
hat in den Nachträgen zu den von Woltmann vollendeten Teilen nur selten
Ursache gehabt, eine Meinung seines Vorgängers zu berichtigen oder seine
Darstellung durch wesentliche neue Züge zu erweitern. Aber die zu Woltmanns
Zeiten erreichte Höhe der Kunstwissenschaft scheint nicht die richtige gewesen
zu sein, da die kritische Methode dieser Wissenschaft inzwischen einen andern
Weg eingeschlagen hat. Die Denkmälerkritik und die Urkundenforschung sind
bei den zünftigen Gelehrten so sehr das A und O der kunstwissenschaftlicher
Arbeit geworden, daß die geschichtliche und vollends die ästhetische Betrachtung
darüber fast ganz in den Hintergrund getreten sind. Es wäre müßig, darüber



*) Geschichte der Malerei von Alfred Woltmann und Karl Woermann.
Mit vielen Illustrationen in Holzschnitt. Vier Blinde. Leipzig, E. A, Seemann, 1L7S--18LL,
lvoermanns Geschichte der Malerei.

entwickelt hätte, so wäre auch ohne die Romantik kein Naturalismus entstanden.
In ihm haben wir nur den äußersten Grad jener litterarischen Reaktion zu
erkennen, die in der Mitte unsers Jahrhunderts gegen die Romantik hervor¬
brach, und die gewöhnlich mit dem nichtssagenden, aber um so bequemeren
Worte „Realismus" bezeichnet wird.




lVoermanns Geschichte der Malerei.

s ach zwölfjähriger Arbeit ist jetzt endlich ein umfassendes kunst¬
geschichtliches Werk zum Abschluß gekommen, das in der Geschichte
einer Entstehung zugleich die Entwicklung der Kunstwissenschaft
während des gleichen Zeitraumes widerspiegelt*). Als Alfred
Woltmann im Jahre 1875 dieses Werk in Angriff nahm, lag es
in seiner Absicht, einen Ersatz für das in der dritten Auflage durch die un¬
geschickte Mitwirkung eines Dilettanten zu Grunde gerichtete Handbuch von
Franz Kugler zu schaffen. Obwohl sich Woltmann auf verschiedenen Gebieten
der Spezialforschung bewährt und bahnbrechend gewirkt hatte, war doch sein
wissenschaftlicher Standpunkt im allgemeinen von dem Kuglcrs, Schnaases und
Lübkes nicht weit entfernt. Er war in erster Linie Geschichtsschreiber, verlor
eine abgerundete künstlerische Darstellung als eines seiner Hauptziele niemals
aus den Angen und schloß die kritischen Einzelheiten ans dem Nahmen seiner
Darstellung aus, soweit es die Klarheit derselben irgendwie zuließ. Es soll
damit nicht etwa gesagt sein, daß Woltmann zu seiner Zeit nicht auf der Höhe
der Kunstwissenschaft gestanden habe. Der Fortsetzer seines Werkes, Karl Woermann,
hat in den Nachträgen zu den von Woltmann vollendeten Teilen nur selten
Ursache gehabt, eine Meinung seines Vorgängers zu berichtigen oder seine
Darstellung durch wesentliche neue Züge zu erweitern. Aber die zu Woltmanns
Zeiten erreichte Höhe der Kunstwissenschaft scheint nicht die richtige gewesen
zu sein, da die kritische Methode dieser Wissenschaft inzwischen einen andern
Weg eingeschlagen hat. Die Denkmälerkritik und die Urkundenforschung sind
bei den zünftigen Gelehrten so sehr das A und O der kunstwissenschaftlicher
Arbeit geworden, daß die geschichtliche und vollends die ästhetische Betrachtung
darüber fast ganz in den Hintergrund getreten sind. Es wäre müßig, darüber



*) Geschichte der Malerei von Alfred Woltmann und Karl Woermann.
Mit vielen Illustrationen in Holzschnitt. Vier Blinde. Leipzig, E. A, Seemann, 1L7S—18LL,
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[0519] lvoermanns Geschichte der Malerei. entwickelt hätte, so wäre auch ohne die Romantik kein Naturalismus entstanden. In ihm haben wir nur den äußersten Grad jener litterarischen Reaktion zu erkennen, die in der Mitte unsers Jahrhunderts gegen die Romantik hervor¬ brach, und die gewöhnlich mit dem nichtssagenden, aber um so bequemeren Worte „Realismus" bezeichnet wird. lVoermanns Geschichte der Malerei. s ach zwölfjähriger Arbeit ist jetzt endlich ein umfassendes kunst¬ geschichtliches Werk zum Abschluß gekommen, das in der Geschichte einer Entstehung zugleich die Entwicklung der Kunstwissenschaft während des gleichen Zeitraumes widerspiegelt*). Als Alfred Woltmann im Jahre 1875 dieses Werk in Angriff nahm, lag es in seiner Absicht, einen Ersatz für das in der dritten Auflage durch die un¬ geschickte Mitwirkung eines Dilettanten zu Grunde gerichtete Handbuch von Franz Kugler zu schaffen. Obwohl sich Woltmann auf verschiedenen Gebieten der Spezialforschung bewährt und bahnbrechend gewirkt hatte, war doch sein wissenschaftlicher Standpunkt im allgemeinen von dem Kuglcrs, Schnaases und Lübkes nicht weit entfernt. Er war in erster Linie Geschichtsschreiber, verlor eine abgerundete künstlerische Darstellung als eines seiner Hauptziele niemals aus den Angen und schloß die kritischen Einzelheiten ans dem Nahmen seiner Darstellung aus, soweit es die Klarheit derselben irgendwie zuließ. Es soll damit nicht etwa gesagt sein, daß Woltmann zu seiner Zeit nicht auf der Höhe der Kunstwissenschaft gestanden habe. Der Fortsetzer seines Werkes, Karl Woermann, hat in den Nachträgen zu den von Woltmann vollendeten Teilen nur selten Ursache gehabt, eine Meinung seines Vorgängers zu berichtigen oder seine Darstellung durch wesentliche neue Züge zu erweitern. Aber die zu Woltmanns Zeiten erreichte Höhe der Kunstwissenschaft scheint nicht die richtige gewesen zu sein, da die kritische Methode dieser Wissenschaft inzwischen einen andern Weg eingeschlagen hat. Die Denkmälerkritik und die Urkundenforschung sind bei den zünftigen Gelehrten so sehr das A und O der kunstwissenschaftlicher Arbeit geworden, daß die geschichtliche und vollends die ästhetische Betrachtung darüber fast ganz in den Hintergrund getreten sind. Es wäre müßig, darüber *) Geschichte der Malerei von Alfred Woltmann und Karl Woermann. Mit vielen Illustrationen in Holzschnitt. Vier Blinde. Leipzig, E. A, Seemann, 1L7S—18LL,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/519>, abgerufen am 22.07.2024.