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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzolstaaten Deutschlands.

beinahe an Selbstvergötterung krankte, sollten durch neue Gebietszuweisungen
ausgeglichen werden. Baden erhielt die Landgrafschaft Nellenburg mit Nadolfzell,
den größern Teil des Oberamtes Hornberg mit Se. Georgen, Teile der Ober¬
ämter Tuttlingen, Maulbronn, Giiglingen, des Gebiets von Rottweil, der
Deutsch-Ordens-Kommende Mergentheim, der obern Grafschaft Hohenberg.
Dafür wurden die Ämter Amorbach, Miltenberg, Hünbach-Wertheim, die
Gemeinden Laudenbach und Umpfenbach an Hessen abgetreten.

Der Großherzog Karl Friedrich, unter dessen Regierung sich die eben ge¬
schilderte, großartige Gebictsumgestaltnng vollzogen hatte, starb im Jahre 1811.
Wegen übergroßer Schwäche, die fortwährend zunahm, hatte er bereits
drei Jahre vorher seinen Enkel, den Erbprinzen Karl, zum Mitregenten an¬
genommen. Der Vater dieses Prinzen, der älteste Sohn Karl Friedrichs,
war auf einer Neise in Schweden, in der Nähe von Arboga, verunglückt und
hatte in fernem, fremdem Lande seinen Tod gefunden (1801). Noch schwerer
und drückender als das Leid über den Verlust dieses Thronerben war aber
für den alten Markgrafen der Kummer darüber, daß die Not und der Druck,
unter denen die Bevölkerung feines vergrößerten Landes seufzte, immer schwerer
wurde. Immer von neuem mußte die Jugend des Landes für den Franzosen¬
kaiser zur Schlachtbank geliefert werden, und die Gebeine der badischen Krieger
bleichten auf allen Schlachtfeldern desselben von den dürren, sonnenverbrannten
Sierren Spaniens bis zu den eisigen Wüsteneien Rußlands. Dazu kam die
unaussprechliche Geldbedrängnis des Landes; das Volk erlag unter den un¬
geheuern Steuern, welche die beständigen Kriege Napoleons nötig machten.
Man glaubte damals allgemein, und sicher nicht mit Unrecht, daß der Schmerz
über das Elend seines Landes mehr als sonstige Ursachen zu der Auflösung
der Kräfte des edeln Fürsten beigetragen hätten.

Sein Nachfolger, Großherzog Karl, 1811--1818, hielt, allerdings Wohl
mehr gezwungen, an dem Bündnisse mit Napoleon fest und trat erst nach der
Schlacht bei Leipzig, am 12. November 1813, zu den Verbündeten über. Im
folgenden Jahre fiel ihm das im ersten Pariser Frieden abgetretene Kehl mit
seinem Gebiete zu. Daß Baden erst spät, nachdem die Schlacht bei Belle-
Allicmce den zweiten Befreiungskrieg entschieden hatte, dem deutschen Bunde
beitrat, ist schon früher erwähnt worden. Der Grund hierfür lag wesentlich
darin, daß der Wiener Kongreß sich weigerte, die Unabhängigkeit und die
Integrität des Gebietes von Baden anzuerkennen. Österreich sowohl, wie
namentlich Baiern, machte Anspruch auf jetzt badische Landesteile. Dazu
kam noch, daß die Unsicherheit der Erbfolge das Bestehen des ganzen Staates
in Frage stellte. Dem Großherzog Karl waren allerdings in seiner Ehe mit
der Prinzessin Stephanie von Beauharnais außer drei Töchtern auch zwei
Söhne geboren worden. Beide starben jedoch vor dem Vater. Der unbestrittene
Thronerbe, der Oheim des Großherzogs, der als Ludwig I. von 1818--1830


Die Gebietsentwicklung der Linzolstaaten Deutschlands.

beinahe an Selbstvergötterung krankte, sollten durch neue Gebietszuweisungen
ausgeglichen werden. Baden erhielt die Landgrafschaft Nellenburg mit Nadolfzell,
den größern Teil des Oberamtes Hornberg mit Se. Georgen, Teile der Ober¬
ämter Tuttlingen, Maulbronn, Giiglingen, des Gebiets von Rottweil, der
Deutsch-Ordens-Kommende Mergentheim, der obern Grafschaft Hohenberg.
Dafür wurden die Ämter Amorbach, Miltenberg, Hünbach-Wertheim, die
Gemeinden Laudenbach und Umpfenbach an Hessen abgetreten.

Der Großherzog Karl Friedrich, unter dessen Regierung sich die eben ge¬
schilderte, großartige Gebictsumgestaltnng vollzogen hatte, starb im Jahre 1811.
Wegen übergroßer Schwäche, die fortwährend zunahm, hatte er bereits
drei Jahre vorher seinen Enkel, den Erbprinzen Karl, zum Mitregenten an¬
genommen. Der Vater dieses Prinzen, der älteste Sohn Karl Friedrichs,
war auf einer Neise in Schweden, in der Nähe von Arboga, verunglückt und
hatte in fernem, fremdem Lande seinen Tod gefunden (1801). Noch schwerer
und drückender als das Leid über den Verlust dieses Thronerben war aber
für den alten Markgrafen der Kummer darüber, daß die Not und der Druck,
unter denen die Bevölkerung feines vergrößerten Landes seufzte, immer schwerer
wurde. Immer von neuem mußte die Jugend des Landes für den Franzosen¬
kaiser zur Schlachtbank geliefert werden, und die Gebeine der badischen Krieger
bleichten auf allen Schlachtfeldern desselben von den dürren, sonnenverbrannten
Sierren Spaniens bis zu den eisigen Wüsteneien Rußlands. Dazu kam die
unaussprechliche Geldbedrängnis des Landes; das Volk erlag unter den un¬
geheuern Steuern, welche die beständigen Kriege Napoleons nötig machten.
Man glaubte damals allgemein, und sicher nicht mit Unrecht, daß der Schmerz
über das Elend seines Landes mehr als sonstige Ursachen zu der Auflösung
der Kräfte des edeln Fürsten beigetragen hätten.

Sein Nachfolger, Großherzog Karl, 1811—1818, hielt, allerdings Wohl
mehr gezwungen, an dem Bündnisse mit Napoleon fest und trat erst nach der
Schlacht bei Leipzig, am 12. November 1813, zu den Verbündeten über. Im
folgenden Jahre fiel ihm das im ersten Pariser Frieden abgetretene Kehl mit
seinem Gebiete zu. Daß Baden erst spät, nachdem die Schlacht bei Belle-
Allicmce den zweiten Befreiungskrieg entschieden hatte, dem deutschen Bunde
beitrat, ist schon früher erwähnt worden. Der Grund hierfür lag wesentlich
darin, daß der Wiener Kongreß sich weigerte, die Unabhängigkeit und die
Integrität des Gebietes von Baden anzuerkennen. Österreich sowohl, wie
namentlich Baiern, machte Anspruch auf jetzt badische Landesteile. Dazu
kam noch, daß die Unsicherheit der Erbfolge das Bestehen des ganzen Staates
in Frage stellte. Dem Großherzog Karl waren allerdings in seiner Ehe mit
der Prinzessin Stephanie von Beauharnais außer drei Töchtern auch zwei
Söhne geboren worden. Beide starben jedoch vor dem Vater. Der unbestrittene
Thronerbe, der Oheim des Großherzogs, der als Ludwig I. von 1818—1830


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[0509] Die Gebietsentwicklung der Linzolstaaten Deutschlands. beinahe an Selbstvergötterung krankte, sollten durch neue Gebietszuweisungen ausgeglichen werden. Baden erhielt die Landgrafschaft Nellenburg mit Nadolfzell, den größern Teil des Oberamtes Hornberg mit Se. Georgen, Teile der Ober¬ ämter Tuttlingen, Maulbronn, Giiglingen, des Gebiets von Rottweil, der Deutsch-Ordens-Kommende Mergentheim, der obern Grafschaft Hohenberg. Dafür wurden die Ämter Amorbach, Miltenberg, Hünbach-Wertheim, die Gemeinden Laudenbach und Umpfenbach an Hessen abgetreten. Der Großherzog Karl Friedrich, unter dessen Regierung sich die eben ge¬ schilderte, großartige Gebictsumgestaltnng vollzogen hatte, starb im Jahre 1811. Wegen übergroßer Schwäche, die fortwährend zunahm, hatte er bereits drei Jahre vorher seinen Enkel, den Erbprinzen Karl, zum Mitregenten an¬ genommen. Der Vater dieses Prinzen, der älteste Sohn Karl Friedrichs, war auf einer Neise in Schweden, in der Nähe von Arboga, verunglückt und hatte in fernem, fremdem Lande seinen Tod gefunden (1801). Noch schwerer und drückender als das Leid über den Verlust dieses Thronerben war aber für den alten Markgrafen der Kummer darüber, daß die Not und der Druck, unter denen die Bevölkerung feines vergrößerten Landes seufzte, immer schwerer wurde. Immer von neuem mußte die Jugend des Landes für den Franzosen¬ kaiser zur Schlachtbank geliefert werden, und die Gebeine der badischen Krieger bleichten auf allen Schlachtfeldern desselben von den dürren, sonnenverbrannten Sierren Spaniens bis zu den eisigen Wüsteneien Rußlands. Dazu kam die unaussprechliche Geldbedrängnis des Landes; das Volk erlag unter den un¬ geheuern Steuern, welche die beständigen Kriege Napoleons nötig machten. Man glaubte damals allgemein, und sicher nicht mit Unrecht, daß der Schmerz über das Elend seines Landes mehr als sonstige Ursachen zu der Auflösung der Kräfte des edeln Fürsten beigetragen hätten. Sein Nachfolger, Großherzog Karl, 1811—1818, hielt, allerdings Wohl mehr gezwungen, an dem Bündnisse mit Napoleon fest und trat erst nach der Schlacht bei Leipzig, am 12. November 1813, zu den Verbündeten über. Im folgenden Jahre fiel ihm das im ersten Pariser Frieden abgetretene Kehl mit seinem Gebiete zu. Daß Baden erst spät, nachdem die Schlacht bei Belle- Allicmce den zweiten Befreiungskrieg entschieden hatte, dem deutschen Bunde beitrat, ist schon früher erwähnt worden. Der Grund hierfür lag wesentlich darin, daß der Wiener Kongreß sich weigerte, die Unabhängigkeit und die Integrität des Gebietes von Baden anzuerkennen. Österreich sowohl, wie namentlich Baiern, machte Anspruch auf jetzt badische Landesteile. Dazu kam noch, daß die Unsicherheit der Erbfolge das Bestehen des ganzen Staates in Frage stellte. Dem Großherzog Karl waren allerdings in seiner Ehe mit der Prinzessin Stephanie von Beauharnais außer drei Töchtern auch zwei Söhne geboren worden. Beide starben jedoch vor dem Vater. Der unbestrittene Thronerbe, der Oheim des Großherzogs, der als Ludwig I. von 1818—1830

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/509>, abgerufen am 22.07.2024.