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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

wie nur jemals im Jahre 1880. Es gelang damals den Vertretern Hamburgs
nicht, ein so offnes Ohr bei den Vertretern der Reichsgewalt zu finden, eine
so objektive Erwägung der wichtigsten Verhältnisse des Hamburger Handels,
als es in den jüngsten Tagen der Fall gewesen ist, und man ist damals sehr
nahe daran gewesen, der ganzen Freihafenstellung ein gründliches Ende zu be¬
reiten. Nachdem in den fünfziger Jahren infolge des allgemeinen Darnieder-
liegens des politischen Lebens auch die Anschlußfrage in der öffentlichen Be¬
sprechung zurückgetreten war, ist sie dann wieder in den sechziger Jahren seit
der Schleswig-Holsteinischen Bewegung gleichsam zu einer Tagesfrage geworden
und nicht wieder zur Ruhe gekommen. In allen volkswirtschaftlichen Abhand¬
lungen wurden seitdem die Freihafen als eine Regelwidrigkeit behandelt, als
eine Einrichtung, die man sobald als möglich beseitigen müsse. Die Ratschläge
der Zeitungen aller Parteien gingen darauf hinaus, Hamburg möge sich be¬
streben, eine Ausgleichung der Interessen herbeizuführen, eine technische Lösung
für diese Frage zu finden, die den berechtigten Forderungen Deutschlands Genüge
leiste und doch die eignen wirtschaftlichen Interessen ausreichend sicher stellte.
Alle, die aus Hamburger Kreisen an Kongressen und öffentlichen Versamm¬
lungen in Deutschland teilnahmen, mußten übereinstimmend die Ansicht mit
nach Hause bringen, daß es unmöglich sei, den Freihafen in seiner dermaligen
Gestalt zu einer organischen Einrichtung des deutschen Wirtschaftslebens zu
machen, und daß die Mehrheit der deutschen Nation die Freihafenstellung der
Hansestädte niemals, wie es die Hamburger Publizisten forderten, für ein na¬
tionales Bedürfnis erachten würde.

Wenn aber Hamburg seine Pflichten gegen das Vaterland vergaß, so ver¬
gaß sie doch nicht der große Staatsmann, der es sich zur Lebensaufgabe ge¬
macht hatte, die deutsche Einheit zu schmieden. Nachdem er das Reich mit
seinem erhabenen Monarchen in großen Kriegen gegründet, nachdem er es über
die Gefahren übermächtiger Koalitionen hinweggeleitet und mit Osterreich ein
neues Bundesverhältnis herbeigeführt hatte, viel inniger, als es jemals zur Zeit
des Frankfurter Bundestages bestanden hatte, hielt er es für seine patriotische
Pflicht, den Rest seiner Tage dazu zu verwenden, vor allem die bestehenden Neichs-
einrichtungen zu vollenden und zu befestigen. Nicht zuletzt um dem Reiche
dauernder sichere Einnahmequellen zu verschaffen, hatte er seine neue Wirth¬
schaftspolitik begonnen. Um den sozialen Unfrieden imReiche zu bannen, hatte er in
Übereinstimmung mit der Meinung seines kaiserlichen Herrn, daß der deutsche Kaiser,
wie die früheren Könige von Preußen, ein König der Bettler bleiben müsse,
durch seine sozialen Reformen die Mühseligen und Beladenen eingeladen, Ver¬
trauen zu fassen zur deutschen Nationalmonarchie. Nicht unter dem Drucke
einer berechtigten oder unberechtigten, öffentlichen Meinung, sondern in dem
festen Glauben, daß er seine Augen den auf innerm Gebiete erwachsenden Auf¬
gaben nicht mehr verschließen dürfe, daß das Reich und der größte Staat,


Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

wie nur jemals im Jahre 1880. Es gelang damals den Vertretern Hamburgs
nicht, ein so offnes Ohr bei den Vertretern der Reichsgewalt zu finden, eine
so objektive Erwägung der wichtigsten Verhältnisse des Hamburger Handels,
als es in den jüngsten Tagen der Fall gewesen ist, und man ist damals sehr
nahe daran gewesen, der ganzen Freihafenstellung ein gründliches Ende zu be¬
reiten. Nachdem in den fünfziger Jahren infolge des allgemeinen Darnieder-
liegens des politischen Lebens auch die Anschlußfrage in der öffentlichen Be¬
sprechung zurückgetreten war, ist sie dann wieder in den sechziger Jahren seit
der Schleswig-Holsteinischen Bewegung gleichsam zu einer Tagesfrage geworden
und nicht wieder zur Ruhe gekommen. In allen volkswirtschaftlichen Abhand¬
lungen wurden seitdem die Freihafen als eine Regelwidrigkeit behandelt, als
eine Einrichtung, die man sobald als möglich beseitigen müsse. Die Ratschläge
der Zeitungen aller Parteien gingen darauf hinaus, Hamburg möge sich be¬
streben, eine Ausgleichung der Interessen herbeizuführen, eine technische Lösung
für diese Frage zu finden, die den berechtigten Forderungen Deutschlands Genüge
leiste und doch die eignen wirtschaftlichen Interessen ausreichend sicher stellte.
Alle, die aus Hamburger Kreisen an Kongressen und öffentlichen Versamm¬
lungen in Deutschland teilnahmen, mußten übereinstimmend die Ansicht mit
nach Hause bringen, daß es unmöglich sei, den Freihafen in seiner dermaligen
Gestalt zu einer organischen Einrichtung des deutschen Wirtschaftslebens zu
machen, und daß die Mehrheit der deutschen Nation die Freihafenstellung der
Hansestädte niemals, wie es die Hamburger Publizisten forderten, für ein na¬
tionales Bedürfnis erachten würde.

Wenn aber Hamburg seine Pflichten gegen das Vaterland vergaß, so ver¬
gaß sie doch nicht der große Staatsmann, der es sich zur Lebensaufgabe ge¬
macht hatte, die deutsche Einheit zu schmieden. Nachdem er das Reich mit
seinem erhabenen Monarchen in großen Kriegen gegründet, nachdem er es über
die Gefahren übermächtiger Koalitionen hinweggeleitet und mit Osterreich ein
neues Bundesverhältnis herbeigeführt hatte, viel inniger, als es jemals zur Zeit
des Frankfurter Bundestages bestanden hatte, hielt er es für seine patriotische
Pflicht, den Rest seiner Tage dazu zu verwenden, vor allem die bestehenden Neichs-
einrichtungen zu vollenden und zu befestigen. Nicht zuletzt um dem Reiche
dauernder sichere Einnahmequellen zu verschaffen, hatte er seine neue Wirth¬
schaftspolitik begonnen. Um den sozialen Unfrieden imReiche zu bannen, hatte er in
Übereinstimmung mit der Meinung seines kaiserlichen Herrn, daß der deutsche Kaiser,
wie die früheren Könige von Preußen, ein König der Bettler bleiben müsse,
durch seine sozialen Reformen die Mühseligen und Beladenen eingeladen, Ver¬
trauen zu fassen zur deutschen Nationalmonarchie. Nicht unter dem Drucke
einer berechtigten oder unberechtigten, öffentlichen Meinung, sondern in dem
festen Glauben, daß er seine Augen den auf innerm Gebiete erwachsenden Auf¬
gaben nicht mehr verschließen dürfe, daß das Reich und der größte Staat,


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[0504] Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens. wie nur jemals im Jahre 1880. Es gelang damals den Vertretern Hamburgs nicht, ein so offnes Ohr bei den Vertretern der Reichsgewalt zu finden, eine so objektive Erwägung der wichtigsten Verhältnisse des Hamburger Handels, als es in den jüngsten Tagen der Fall gewesen ist, und man ist damals sehr nahe daran gewesen, der ganzen Freihafenstellung ein gründliches Ende zu be¬ reiten. Nachdem in den fünfziger Jahren infolge des allgemeinen Darnieder- liegens des politischen Lebens auch die Anschlußfrage in der öffentlichen Be¬ sprechung zurückgetreten war, ist sie dann wieder in den sechziger Jahren seit der Schleswig-Holsteinischen Bewegung gleichsam zu einer Tagesfrage geworden und nicht wieder zur Ruhe gekommen. In allen volkswirtschaftlichen Abhand¬ lungen wurden seitdem die Freihafen als eine Regelwidrigkeit behandelt, als eine Einrichtung, die man sobald als möglich beseitigen müsse. Die Ratschläge der Zeitungen aller Parteien gingen darauf hinaus, Hamburg möge sich be¬ streben, eine Ausgleichung der Interessen herbeizuführen, eine technische Lösung für diese Frage zu finden, die den berechtigten Forderungen Deutschlands Genüge leiste und doch die eignen wirtschaftlichen Interessen ausreichend sicher stellte. Alle, die aus Hamburger Kreisen an Kongressen und öffentlichen Versamm¬ lungen in Deutschland teilnahmen, mußten übereinstimmend die Ansicht mit nach Hause bringen, daß es unmöglich sei, den Freihafen in seiner dermaligen Gestalt zu einer organischen Einrichtung des deutschen Wirtschaftslebens zu machen, und daß die Mehrheit der deutschen Nation die Freihafenstellung der Hansestädte niemals, wie es die Hamburger Publizisten forderten, für ein na¬ tionales Bedürfnis erachten würde. Wenn aber Hamburg seine Pflichten gegen das Vaterland vergaß, so ver¬ gaß sie doch nicht der große Staatsmann, der es sich zur Lebensaufgabe ge¬ macht hatte, die deutsche Einheit zu schmieden. Nachdem er das Reich mit seinem erhabenen Monarchen in großen Kriegen gegründet, nachdem er es über die Gefahren übermächtiger Koalitionen hinweggeleitet und mit Osterreich ein neues Bundesverhältnis herbeigeführt hatte, viel inniger, als es jemals zur Zeit des Frankfurter Bundestages bestanden hatte, hielt er es für seine patriotische Pflicht, den Rest seiner Tage dazu zu verwenden, vor allem die bestehenden Neichs- einrichtungen zu vollenden und zu befestigen. Nicht zuletzt um dem Reiche dauernder sichere Einnahmequellen zu verschaffen, hatte er seine neue Wirth¬ schaftspolitik begonnen. Um den sozialen Unfrieden imReiche zu bannen, hatte er in Übereinstimmung mit der Meinung seines kaiserlichen Herrn, daß der deutsche Kaiser, wie die früheren Könige von Preußen, ein König der Bettler bleiben müsse, durch seine sozialen Reformen die Mühseligen und Beladenen eingeladen, Ver¬ trauen zu fassen zur deutschen Nationalmonarchie. Nicht unter dem Drucke einer berechtigten oder unberechtigten, öffentlichen Meinung, sondern in dem festen Glauben, daß er seine Augen den auf innerm Gebiete erwachsenden Auf¬ gaben nicht mehr verschließen dürfe, daß das Reich und der größte Staat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/504>, abgerufen am 25.08.2024.