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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

500,000, London, Liverpool, Glasgow und Dublin bei einem Hinterkante mit
kaum 30 Millionen Menschen deren fast 4 Millionen besaßen. Selbst in der
rührigsten der Hansestädte, in Bremen, hat die Bevölkerung kaum halb so rasch
zugenommen wie in Berlin, und sogar die unvergleichlich ungünstiger gelegenen
preußischen Ostseeplätze sehen ihre Volkszahl weit schneller wachsen. Zwischen
1855 und 1864 hat sich die bremische Bevölkerung nur um 17,5. die aller
größern preußischen Städte um 22 bis 50 Prozent vermehrt. Begreiflich genug,
da die Vorteile der Freizügigkeit und Gewerbefreiheit den Hauptstädten wegen
der trennenden Zollscheidewände nur in geringem Maße zu gute kamen.

In Hamburg und Bremen blieben trotzdem die großen Wohnstätte selbst
dem Vaterlande gegenüber Ausland; nur die Zollvereinsniederlagen, wo die
deutscheu Fabrikanten zollvereinsländische Artikel unter Zollverschluß zu lagern
berechtigt waren, um sie, wenn sich die Voraussetzungen des Exports nicht er¬
füllten, zollfrei ins Binnenland zurückzuführen, gehörten zum Inlande. Und
in unsern beiden großen Seeplätzen fuhren die Wortführer der handelspolitischen
Sonderstellung der Hansestädte fort, die angeblich ganz unerhörte Blüte der¬
selben allein aus ihrer Freihafenstellung herzuleiten. Nur weil sie ihre Frei¬
hafenstellung sich bewahrt hätten, sei das Geschäft mit Nohtabaken aus den
großen Londoner Entrepots nach dem kleinen Bremen, und das mit Cassia
und Kopai aus den Docks von New-Iork nach Hamburg übergegangen. Nur
weil Bremen in seiner Freihafenstellung so unbeengt und unbeschränkt sei, könne
es den ostindischen Neis in Bremen schälen und dann nach demselben Amerika
ausführen, von woher noch vor 30 Jahren aller Reis gekommen sei. Nur so
lange das Hamburger Geschäft in seinem alten Wohnungskörper bleibe, in den
es einmal hineingewachsen sei, und der sich dann seinerseits den Anforderungen
des Handels angelegt und angeschmiegt habe, und solange sich neben jedem
Kondor in jedem Hause und in jeder Straße und an allen Flecken die Speicher
erhöben, sei Hamburg imstande, mit der unvergleichlichen Billigkeit das Aus¬
land mit fremden Waren zu versorgen und seine ungeheure Rolle im Seever¬
kehr aufrecht zu erhalten. Nur solange die Hamburger dank ihrem Freihafen
sich so leicht nach Hamburg fremde Erzeugnisse kommen lassen könnten, ver¬
möchten sie ihre großen Aussendungen nach ihren überseeischen Etablissements
zugleich mit deutschen und fremden Fabrikaten von Hamburg aus zu machen.
Möge immerhin Hamburg an die Größe des Handels von London nicht im
entferntesten hinanreichen, so sei doch London nur ein Weltmarkt in einzelnen
großen Artikeln, die sich in den Entrepots niederlegen und von dort versenden
ließen. Dagegen ziehe es der kleine Großhändler aus dem ganzen Norden vor,
sich in Hamburg zu versorgen, weil er, indem er von einem Speicher zum
andern gehe, nicht einen, sondern alle Artikel kaufen könne. Nur weil es in¬
folge seiner Freihafenstellung neben Hamburg keinen zweiten Ort in der Welt
gebe, wo sie imstande wären, alle Waren, ausländische sowohl wie deutsche,


Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

500,000, London, Liverpool, Glasgow und Dublin bei einem Hinterkante mit
kaum 30 Millionen Menschen deren fast 4 Millionen besaßen. Selbst in der
rührigsten der Hansestädte, in Bremen, hat die Bevölkerung kaum halb so rasch
zugenommen wie in Berlin, und sogar die unvergleichlich ungünstiger gelegenen
preußischen Ostseeplätze sehen ihre Volkszahl weit schneller wachsen. Zwischen
1855 und 1864 hat sich die bremische Bevölkerung nur um 17,5. die aller
größern preußischen Städte um 22 bis 50 Prozent vermehrt. Begreiflich genug,
da die Vorteile der Freizügigkeit und Gewerbefreiheit den Hauptstädten wegen
der trennenden Zollscheidewände nur in geringem Maße zu gute kamen.

In Hamburg und Bremen blieben trotzdem die großen Wohnstätte selbst
dem Vaterlande gegenüber Ausland; nur die Zollvereinsniederlagen, wo die
deutscheu Fabrikanten zollvereinsländische Artikel unter Zollverschluß zu lagern
berechtigt waren, um sie, wenn sich die Voraussetzungen des Exports nicht er¬
füllten, zollfrei ins Binnenland zurückzuführen, gehörten zum Inlande. Und
in unsern beiden großen Seeplätzen fuhren die Wortführer der handelspolitischen
Sonderstellung der Hansestädte fort, die angeblich ganz unerhörte Blüte der¬
selben allein aus ihrer Freihafenstellung herzuleiten. Nur weil sie ihre Frei¬
hafenstellung sich bewahrt hätten, sei das Geschäft mit Nohtabaken aus den
großen Londoner Entrepots nach dem kleinen Bremen, und das mit Cassia
und Kopai aus den Docks von New-Iork nach Hamburg übergegangen. Nur
weil Bremen in seiner Freihafenstellung so unbeengt und unbeschränkt sei, könne
es den ostindischen Neis in Bremen schälen und dann nach demselben Amerika
ausführen, von woher noch vor 30 Jahren aller Reis gekommen sei. Nur so
lange das Hamburger Geschäft in seinem alten Wohnungskörper bleibe, in den
es einmal hineingewachsen sei, und der sich dann seinerseits den Anforderungen
des Handels angelegt und angeschmiegt habe, und solange sich neben jedem
Kondor in jedem Hause und in jeder Straße und an allen Flecken die Speicher
erhöben, sei Hamburg imstande, mit der unvergleichlichen Billigkeit das Aus¬
land mit fremden Waren zu versorgen und seine ungeheure Rolle im Seever¬
kehr aufrecht zu erhalten. Nur solange die Hamburger dank ihrem Freihafen
sich so leicht nach Hamburg fremde Erzeugnisse kommen lassen könnten, ver¬
möchten sie ihre großen Aussendungen nach ihren überseeischen Etablissements
zugleich mit deutschen und fremden Fabrikaten von Hamburg aus zu machen.
Möge immerhin Hamburg an die Größe des Handels von London nicht im
entferntesten hinanreichen, so sei doch London nur ein Weltmarkt in einzelnen
großen Artikeln, die sich in den Entrepots niederlegen und von dort versenden
ließen. Dagegen ziehe es der kleine Großhändler aus dem ganzen Norden vor,
sich in Hamburg zu versorgen, weil er, indem er von einem Speicher zum
andern gehe, nicht einen, sondern alle Artikel kaufen könne. Nur weil es in¬
folge seiner Freihafenstellung neben Hamburg keinen zweiten Ort in der Welt
gebe, wo sie imstande wären, alle Waren, ausländische sowohl wie deutsche,


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[0502] Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens. 500,000, London, Liverpool, Glasgow und Dublin bei einem Hinterkante mit kaum 30 Millionen Menschen deren fast 4 Millionen besaßen. Selbst in der rührigsten der Hansestädte, in Bremen, hat die Bevölkerung kaum halb so rasch zugenommen wie in Berlin, und sogar die unvergleichlich ungünstiger gelegenen preußischen Ostseeplätze sehen ihre Volkszahl weit schneller wachsen. Zwischen 1855 und 1864 hat sich die bremische Bevölkerung nur um 17,5. die aller größern preußischen Städte um 22 bis 50 Prozent vermehrt. Begreiflich genug, da die Vorteile der Freizügigkeit und Gewerbefreiheit den Hauptstädten wegen der trennenden Zollscheidewände nur in geringem Maße zu gute kamen. In Hamburg und Bremen blieben trotzdem die großen Wohnstätte selbst dem Vaterlande gegenüber Ausland; nur die Zollvereinsniederlagen, wo die deutscheu Fabrikanten zollvereinsländische Artikel unter Zollverschluß zu lagern berechtigt waren, um sie, wenn sich die Voraussetzungen des Exports nicht er¬ füllten, zollfrei ins Binnenland zurückzuführen, gehörten zum Inlande. Und in unsern beiden großen Seeplätzen fuhren die Wortführer der handelspolitischen Sonderstellung der Hansestädte fort, die angeblich ganz unerhörte Blüte der¬ selben allein aus ihrer Freihafenstellung herzuleiten. Nur weil sie ihre Frei¬ hafenstellung sich bewahrt hätten, sei das Geschäft mit Nohtabaken aus den großen Londoner Entrepots nach dem kleinen Bremen, und das mit Cassia und Kopai aus den Docks von New-Iork nach Hamburg übergegangen. Nur weil Bremen in seiner Freihafenstellung so unbeengt und unbeschränkt sei, könne es den ostindischen Neis in Bremen schälen und dann nach demselben Amerika ausführen, von woher noch vor 30 Jahren aller Reis gekommen sei. Nur so lange das Hamburger Geschäft in seinem alten Wohnungskörper bleibe, in den es einmal hineingewachsen sei, und der sich dann seinerseits den Anforderungen des Handels angelegt und angeschmiegt habe, und solange sich neben jedem Kondor in jedem Hause und in jeder Straße und an allen Flecken die Speicher erhöben, sei Hamburg imstande, mit der unvergleichlichen Billigkeit das Aus¬ land mit fremden Waren zu versorgen und seine ungeheure Rolle im Seever¬ kehr aufrecht zu erhalten. Nur solange die Hamburger dank ihrem Freihafen sich so leicht nach Hamburg fremde Erzeugnisse kommen lassen könnten, ver¬ möchten sie ihre großen Aussendungen nach ihren überseeischen Etablissements zugleich mit deutschen und fremden Fabrikaten von Hamburg aus zu machen. Möge immerhin Hamburg an die Größe des Handels von London nicht im entferntesten hinanreichen, so sei doch London nur ein Weltmarkt in einzelnen großen Artikeln, die sich in den Entrepots niederlegen und von dort versenden ließen. Dagegen ziehe es der kleine Großhändler aus dem ganzen Norden vor, sich in Hamburg zu versorgen, weil er, indem er von einem Speicher zum andern gehe, nicht einen, sondern alle Artikel kaufen könne. Nur weil es in¬ folge seiner Freihafenstellung neben Hamburg keinen zweiten Ort in der Welt gebe, wo sie imstande wären, alle Waren, ausländische sowohl wie deutsche,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/502>, abgerufen am 22.07.2024.