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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Aollcmschluß Hamburgs und Bremens.

in Deutschland der Freihandel. Fürst Bismarck sprach sich selbst noch für ein
Finanzzollsystem aus. Die in der Wissenschaft damals zum Gemeinplatz ge¬
wordene Erkenntnis, daß nur eine kleine Minderzahl der Waarenzölle einen
erheblichen Reinertrag bringe, hatte in den Bureaux der Handelsministerien
mehr und mehr Eingang gefunden. Hätten die Hanseaten damals ernsthaft
den Willen gezeigt, in die deutsche Zollgemeinschaft einzutreten, so würden sie
nicht bloß imstande gewesen sein, die bisherige freihändlerische Richtung der
Preußischen Wirthschaftspolitik zu stärken, sondern auch vielleicht eine Verein¬
fachung des Reichszolltarifs herbeizuführen. Statt dessen warteten sie, daß
zuvor die Zollerhebung in Deutschland, wie in England, auf 13 oder 13 Ar¬
tikel beschränkt würde, und ließen die für ihren Anschluß günstige Zeit des deut¬
schen Freihandels ungenützt verstreichen, bis eines Tages die Mehrheit der
Nation sich dahin erklärte, mit ihrem neuen schutzzöllnerischen Zolltarif eine
ehrliche mehrjährige Probe machen zu wollen.

Wenn man nach den Gründen und Ursachen dieses passiven Widerstandes
der Hanseaten fragt, so ist es unmöglich, sie in irgend einer Gleichgiltigkeit
gegen das große Vaterland und in einem Mangel an Nationalsinn zu suchen.
Im Gegenteil, die Hanseaten sind seit der Gründung des norddeutschen Bundes
den politischen Anschauungen ihrer binnenländischen Landsleute ersichtlich näher
getreten; der weltbürgerliche, Staatlose Kaufmannssinn ist mehr und mehr durch
einen kräftigen Nationalstolz verdrängt worden; beide Hansestädte haben, seitdem
sie die hohenzollernsche National-Monarchie haben kennen gelernt, wett¬
eifernd und beinahe eifersüchtig auf einander, ihre Anhänglichkeit an Kaiser und
Reich oft bewiesen. Nirgends mehr als in den Hansestädten ist man froh
darüber, daß die Zeiten für immer vorbei sind, wo die Stellung der Deutschen
im Auslande mehr auf einer wohlwollenden Duldung als auf der Achtung
beruhte, die eine große Nation in Anspruch nehmen darf und muß. Es giebt
keinen Hanseaten, dem nicht die Erinnerung an die blühende Uankeephrase,
die einst der Präsident der Union, Mr. Jackson, dem hanseatischen Agenten
ins Gesicht zu schleudern wagte: "Die Hansestädte sind Hühner, die das Pferd
der Vereinigten Staaten nur aus Mitleid nicht zertritt!" die Zorn und Scham¬
röte in die Wangen triebe. Die einst im konstituirenden Reichstage von einem
hanseatischen Staatsmanne ausgesprochene Befürchtung, daß eine deutsche Kriegs¬
flotte ihren Handel schädigen könne, würde heute kaum noch in den Hansestädten
verstanden werden. Jedes Kind in Hamburg weiß, daß die Hamburgischen
Faktoreien und Plantagen in Afrika und in der Südsee nur durch das ebenso
besonnene, als energische Vorgehen der Reichsregierung vor den zugreifenden
Händen andrer Nationen gerettet werden konnten. Insbesondere unsre mili¬
tärischen Einrichtungen, die den Hanseaten ursprünglich so fremd erscheinen
mußten, als wenn sie heute in England eingeführt würden, haben sich über¬
raschend schnell eingebürgert. Die Stadt Bremen freut sich der Heldenthaten


Der Aollcmschluß Hamburgs und Bremens.

in Deutschland der Freihandel. Fürst Bismarck sprach sich selbst noch für ein
Finanzzollsystem aus. Die in der Wissenschaft damals zum Gemeinplatz ge¬
wordene Erkenntnis, daß nur eine kleine Minderzahl der Waarenzölle einen
erheblichen Reinertrag bringe, hatte in den Bureaux der Handelsministerien
mehr und mehr Eingang gefunden. Hätten die Hanseaten damals ernsthaft
den Willen gezeigt, in die deutsche Zollgemeinschaft einzutreten, so würden sie
nicht bloß imstande gewesen sein, die bisherige freihändlerische Richtung der
Preußischen Wirthschaftspolitik zu stärken, sondern auch vielleicht eine Verein¬
fachung des Reichszolltarifs herbeizuführen. Statt dessen warteten sie, daß
zuvor die Zollerhebung in Deutschland, wie in England, auf 13 oder 13 Ar¬
tikel beschränkt würde, und ließen die für ihren Anschluß günstige Zeit des deut¬
schen Freihandels ungenützt verstreichen, bis eines Tages die Mehrheit der
Nation sich dahin erklärte, mit ihrem neuen schutzzöllnerischen Zolltarif eine
ehrliche mehrjährige Probe machen zu wollen.

Wenn man nach den Gründen und Ursachen dieses passiven Widerstandes
der Hanseaten fragt, so ist es unmöglich, sie in irgend einer Gleichgiltigkeit
gegen das große Vaterland und in einem Mangel an Nationalsinn zu suchen.
Im Gegenteil, die Hanseaten sind seit der Gründung des norddeutschen Bundes
den politischen Anschauungen ihrer binnenländischen Landsleute ersichtlich näher
getreten; der weltbürgerliche, Staatlose Kaufmannssinn ist mehr und mehr durch
einen kräftigen Nationalstolz verdrängt worden; beide Hansestädte haben, seitdem
sie die hohenzollernsche National-Monarchie haben kennen gelernt, wett¬
eifernd und beinahe eifersüchtig auf einander, ihre Anhänglichkeit an Kaiser und
Reich oft bewiesen. Nirgends mehr als in den Hansestädten ist man froh
darüber, daß die Zeiten für immer vorbei sind, wo die Stellung der Deutschen
im Auslande mehr auf einer wohlwollenden Duldung als auf der Achtung
beruhte, die eine große Nation in Anspruch nehmen darf und muß. Es giebt
keinen Hanseaten, dem nicht die Erinnerung an die blühende Uankeephrase,
die einst der Präsident der Union, Mr. Jackson, dem hanseatischen Agenten
ins Gesicht zu schleudern wagte: „Die Hansestädte sind Hühner, die das Pferd
der Vereinigten Staaten nur aus Mitleid nicht zertritt!" die Zorn und Scham¬
röte in die Wangen triebe. Die einst im konstituirenden Reichstage von einem
hanseatischen Staatsmanne ausgesprochene Befürchtung, daß eine deutsche Kriegs¬
flotte ihren Handel schädigen könne, würde heute kaum noch in den Hansestädten
verstanden werden. Jedes Kind in Hamburg weiß, daß die Hamburgischen
Faktoreien und Plantagen in Afrika und in der Südsee nur durch das ebenso
besonnene, als energische Vorgehen der Reichsregierung vor den zugreifenden
Händen andrer Nationen gerettet werden konnten. Insbesondere unsre mili¬
tärischen Einrichtungen, die den Hanseaten ursprünglich so fremd erscheinen
mußten, als wenn sie heute in England eingeführt würden, haben sich über¬
raschend schnell eingebürgert. Die Stadt Bremen freut sich der Heldenthaten


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[0499] Der Aollcmschluß Hamburgs und Bremens. in Deutschland der Freihandel. Fürst Bismarck sprach sich selbst noch für ein Finanzzollsystem aus. Die in der Wissenschaft damals zum Gemeinplatz ge¬ wordene Erkenntnis, daß nur eine kleine Minderzahl der Waarenzölle einen erheblichen Reinertrag bringe, hatte in den Bureaux der Handelsministerien mehr und mehr Eingang gefunden. Hätten die Hanseaten damals ernsthaft den Willen gezeigt, in die deutsche Zollgemeinschaft einzutreten, so würden sie nicht bloß imstande gewesen sein, die bisherige freihändlerische Richtung der Preußischen Wirthschaftspolitik zu stärken, sondern auch vielleicht eine Verein¬ fachung des Reichszolltarifs herbeizuführen. Statt dessen warteten sie, daß zuvor die Zollerhebung in Deutschland, wie in England, auf 13 oder 13 Ar¬ tikel beschränkt würde, und ließen die für ihren Anschluß günstige Zeit des deut¬ schen Freihandels ungenützt verstreichen, bis eines Tages die Mehrheit der Nation sich dahin erklärte, mit ihrem neuen schutzzöllnerischen Zolltarif eine ehrliche mehrjährige Probe machen zu wollen. Wenn man nach den Gründen und Ursachen dieses passiven Widerstandes der Hanseaten fragt, so ist es unmöglich, sie in irgend einer Gleichgiltigkeit gegen das große Vaterland und in einem Mangel an Nationalsinn zu suchen. Im Gegenteil, die Hanseaten sind seit der Gründung des norddeutschen Bundes den politischen Anschauungen ihrer binnenländischen Landsleute ersichtlich näher getreten; der weltbürgerliche, Staatlose Kaufmannssinn ist mehr und mehr durch einen kräftigen Nationalstolz verdrängt worden; beide Hansestädte haben, seitdem sie die hohenzollernsche National-Monarchie haben kennen gelernt, wett¬ eifernd und beinahe eifersüchtig auf einander, ihre Anhänglichkeit an Kaiser und Reich oft bewiesen. Nirgends mehr als in den Hansestädten ist man froh darüber, daß die Zeiten für immer vorbei sind, wo die Stellung der Deutschen im Auslande mehr auf einer wohlwollenden Duldung als auf der Achtung beruhte, die eine große Nation in Anspruch nehmen darf und muß. Es giebt keinen Hanseaten, dem nicht die Erinnerung an die blühende Uankeephrase, die einst der Präsident der Union, Mr. Jackson, dem hanseatischen Agenten ins Gesicht zu schleudern wagte: „Die Hansestädte sind Hühner, die das Pferd der Vereinigten Staaten nur aus Mitleid nicht zertritt!" die Zorn und Scham¬ röte in die Wangen triebe. Die einst im konstituirenden Reichstage von einem hanseatischen Staatsmanne ausgesprochene Befürchtung, daß eine deutsche Kriegs¬ flotte ihren Handel schädigen könne, würde heute kaum noch in den Hansestädten verstanden werden. Jedes Kind in Hamburg weiß, daß die Hamburgischen Faktoreien und Plantagen in Afrika und in der Südsee nur durch das ebenso besonnene, als energische Vorgehen der Reichsregierung vor den zugreifenden Händen andrer Nationen gerettet werden konnten. Insbesondere unsre mili¬ tärischen Einrichtungen, die den Hanseaten ursprünglich so fremd erscheinen mußten, als wenn sie heute in England eingeführt würden, haben sich über¬ raschend schnell eingebürgert. Die Stadt Bremen freut sich der Heldenthaten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/499>, abgerufen am 22.07.2024.