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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

Ostsee schaffe, der Travestadt die Massengüter bringen werde, deren sie für
ihren skandinavischen Handel so dringend bedarf.

Auch in Bremen, dem schon Friedrich Barbarossa die Reichstreue nachrühmte,
gab es stets eine große Anschlußpartei. Zwar stand der Bürgermeister Johann
Smidt von Bremen, als sich in den Jahren 1823 und 1829 der sogenannte
Mitteldeutsche Handelsverein bildete, der lediglich den Zweck verfolgte, die weitere
Ausbreitung des preußischen Zollvereins zu verhindern, mit unter den Leitern
des verfehlten Unternehmens. Triumvhirend wies man in Bremen darauf hin,
daß auch, nachdem am 1. Januar 1854 der hannövcrisch-oldenburgische Steuer¬
verein dem Zollvereine beigetreten, nach einer Selbstschätzung der Bremer Be¬
völkerung deren Vermögen von 80 Millionen Thalern im Jahre 18S4 auf
127 Millionen Thaler im Jahre 1863 gestiegen sei. Aber auf der andern
Seite haben die Bremer Kleinhändler, die Gewerbtreibenden und die Kaufleute,
die den zollvereinsländischen Handel betrieben, niemals aufgehört, den Beitritt
zum Zollverein zu wünschen. Man erlebte sogar das wunderbare Schauspiel,
daß ein Stadtteil von Bremen den Anschluß verlangte, sodaß Bremen dadurch
in zwei Teile zerrissen worden wäre. Wenn jene Wünsche nicht durchgedrungen sind,
so geschah es nur aus dem Grunde, weil auch die Anschlußpartei gewissermaßen
zweiseelig war, weil sie den Rhedern, den Großhändlern, den Großkapitalisten
zugestehen mußte, daß, wenn sich Bremen allein dem Zollverein anschließe, sein
Zwischenhandel ohne Zweifel an das reichere Hamburg übergehen werde.

So wurde denn die hanseatische Frage zur hamburgischen Frage. Aber
obwohl das gute Beispiel Lübecks und das neue Aufblühen desselben im Zoll¬
verein Hamburg über sein eigenes Bestes hätte belehren sollen, so that es doch
nicht das geringste, um seine Verhältnisse zu ordnen und um durch Verhand¬
lungen mit Preußen die Modalitäten des Zollanschlusses festzustellen. Es
lebte weiter, als ob Preußen für alle Zeiten dazu verpflichtet sei, den ganzen
Binnenverkehr von Hamburg bis zur Elbmündung links- und rechtsseitig durch
die peinlichsten Zollmaßregeln zu binden, und als ob die Schleswig-holsteinischen
und hannöverischen Anwohner der Unterelbe dazu bestimmt seien, ihren schönen Fluß
für immer als Deutschlands Grenze, nicht als Deutschlands Strom zu betrachten.
Namentlich nachdem im Jahre 1868 das Zollparlament in Hamburg zu Gaste
gewesen war, und nachdem im Jahre 1871 die Artikel 30 und 31 der nord¬
deutschen Bundesverfassung als Artikel 33 und 34 in die deutsche Reichsver-
fassung übergegangen waren, ward von den hamburgischen Rhedern und Groß-
kaufleutcn unumwunden ausgesprochen, diese zeitweilige Ausnahmestellung sei
ein dauernder Zustand für alle Zukunft. Die Hamburger haben damit nicht
allein dem Vertrauen, das ihnen der konstituirende Reichstag erwiesen hatte,
schlecht entsprochen, sondern sie begingen zugleich, objectiv genommen, eine
schwere Unterlassungssünde gegen die Interessen des Freihandels. Zur Zeit
des norddeutschen Bundes und in den ersten Jahren des Reichs herrschte noch


Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

Ostsee schaffe, der Travestadt die Massengüter bringen werde, deren sie für
ihren skandinavischen Handel so dringend bedarf.

Auch in Bremen, dem schon Friedrich Barbarossa die Reichstreue nachrühmte,
gab es stets eine große Anschlußpartei. Zwar stand der Bürgermeister Johann
Smidt von Bremen, als sich in den Jahren 1823 und 1829 der sogenannte
Mitteldeutsche Handelsverein bildete, der lediglich den Zweck verfolgte, die weitere
Ausbreitung des preußischen Zollvereins zu verhindern, mit unter den Leitern
des verfehlten Unternehmens. Triumvhirend wies man in Bremen darauf hin,
daß auch, nachdem am 1. Januar 1854 der hannövcrisch-oldenburgische Steuer¬
verein dem Zollvereine beigetreten, nach einer Selbstschätzung der Bremer Be¬
völkerung deren Vermögen von 80 Millionen Thalern im Jahre 18S4 auf
127 Millionen Thaler im Jahre 1863 gestiegen sei. Aber auf der andern
Seite haben die Bremer Kleinhändler, die Gewerbtreibenden und die Kaufleute,
die den zollvereinsländischen Handel betrieben, niemals aufgehört, den Beitritt
zum Zollverein zu wünschen. Man erlebte sogar das wunderbare Schauspiel,
daß ein Stadtteil von Bremen den Anschluß verlangte, sodaß Bremen dadurch
in zwei Teile zerrissen worden wäre. Wenn jene Wünsche nicht durchgedrungen sind,
so geschah es nur aus dem Grunde, weil auch die Anschlußpartei gewissermaßen
zweiseelig war, weil sie den Rhedern, den Großhändlern, den Großkapitalisten
zugestehen mußte, daß, wenn sich Bremen allein dem Zollverein anschließe, sein
Zwischenhandel ohne Zweifel an das reichere Hamburg übergehen werde.

So wurde denn die hanseatische Frage zur hamburgischen Frage. Aber
obwohl das gute Beispiel Lübecks und das neue Aufblühen desselben im Zoll¬
verein Hamburg über sein eigenes Bestes hätte belehren sollen, so that es doch
nicht das geringste, um seine Verhältnisse zu ordnen und um durch Verhand¬
lungen mit Preußen die Modalitäten des Zollanschlusses festzustellen. Es
lebte weiter, als ob Preußen für alle Zeiten dazu verpflichtet sei, den ganzen
Binnenverkehr von Hamburg bis zur Elbmündung links- und rechtsseitig durch
die peinlichsten Zollmaßregeln zu binden, und als ob die Schleswig-holsteinischen
und hannöverischen Anwohner der Unterelbe dazu bestimmt seien, ihren schönen Fluß
für immer als Deutschlands Grenze, nicht als Deutschlands Strom zu betrachten.
Namentlich nachdem im Jahre 1868 das Zollparlament in Hamburg zu Gaste
gewesen war, und nachdem im Jahre 1871 die Artikel 30 und 31 der nord¬
deutschen Bundesverfassung als Artikel 33 und 34 in die deutsche Reichsver-
fassung übergegangen waren, ward von den hamburgischen Rhedern und Groß-
kaufleutcn unumwunden ausgesprochen, diese zeitweilige Ausnahmestellung sei
ein dauernder Zustand für alle Zukunft. Die Hamburger haben damit nicht
allein dem Vertrauen, das ihnen der konstituirende Reichstag erwiesen hatte,
schlecht entsprochen, sondern sie begingen zugleich, objectiv genommen, eine
schwere Unterlassungssünde gegen die Interessen des Freihandels. Zur Zeit
des norddeutschen Bundes und in den ersten Jahren des Reichs herrschte noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/498>, abgerufen am 24.08.2024.