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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Aaiser Max und seine Jäger.

der sogenannte Tummelplatz, in alten Zeiten ein Turnierplatz, jetzt eine Art
von Friedhof, reich besteckt mit schlichten Kreuzen. In den napoleonischen
Kämpfen war der "Tummelplatz" Schauplatz blutiger Gefechte, daher die fromme
Weihe des Ortes, der nebenbei auch ein Walfahrtsort für heiratslustige Mägd¬
lein geworden ist.

Alle Grade ästhetischen Gefühles vermag diese schöne Gegend hervorzu¬
rufen. Steht man im Thale und läßt den Blick schweifen auf den Kranz von
Bergen, der es umrahmt, so hat man das Gefühl der Erhabenheit der Natur
in großem Maße; lieblich anmutig sind die Flußufer, erschreckend wirken die
steilen Bergwände, träumerisch die schattigen Wälder, sentimental schön die
koulissenartig von den Bergen eingeschlossenen Fernblicke ins Ober- und ins
Unterinnthal: eine Sehnsucht in die Ferne wird erregt und man kann sich nicht
von dem Bilde trennen. Zu alledem der reiche historische Boden! Erinnerungen
an wichtige, zuweilen welthistorische Ereignisse werden dort auf Schritt und
Tritt erweckt. Rudolf Baumbach, der uns in seiner neuesten Dichtung in diese
Gegend führt*), ist seinem ganzen Naturell gemäß in den mittlern Regionen
ästhetischen Empfindens verblieben. Das Anmutige der Landschaft hat ihn
vornehmlich angesprochen, die rauhere Seite der Gebirgswelt läßt er zum
schärfern Kontrast nur vereinzelt hineinspielen. In der Wahl des vielbesungenen
Kaiser Max zum Mittelpunkt eines epischen Gedichtes hat er aber eine sehr
glückliche Hand bekundet. Von allen Habsburgischen Kaisern ist dieser Kaiser
Max, der "letzte Ritter," der letzte Herrscher des Mittelalters nach der Ein¬
teilung in unsern Schulbüchern, der Freund Albrecht Dürers und Hans
Sachsens, der Urheber des Theuerdank und des Weißkunig, der glücklichste
Herrscher Österreichs gewesen, der durch Heirat und Erbschaft die Habsburgische
Hausmacht auf ihren Gipfel gebracht hatte. Ein leutseliger Mann, ein Freund
des Volkes und auch ein Freund der schönen Landestöchter, ein kühner Jäger,
nicht bloß auf Gemsen und Rehe, ist Kaiser Max ein prächtiger epischer Held.
Gerade vor Luthers welterschütternden Auftreten stirbt er dahin, er ist der
letzte ganz deutsche Mann unter den Habsburgischen Monarchen, denn nach ihm
kam schon der Spanier Karl V. und die spanische Etikette beherrschte fortan
den deutschen Hof zu Wien. Aber auch auf diese geschichtlich bedeutsamere
Seite seines Stoffes ist Baumbach nur sehr sparsam eingegangen. Ein von
kulturgeschichtlichem Ballast erfülltes Buch zu schreiben liegt zum Glück nicht
in seiner anakreontisch dem Stile des Volksliedes zustrebenden Art. Er führt
zunächst den Kaiser als Jäger, als gemütlichen, leutseligen Herren ein, der auch
seine Freude an prächtigen Schauspielen hat, der Dichter und Künstler jeder
Art gern unterstützt. Ein schönes Kapitel stellt uns eines der derben Ritter-



*) Kaiser Max und seine Jäger. Dichtung von Rudolf Baumbach. Leipzig,
Liebeskind, 1838.
Aaiser Max und seine Jäger.

der sogenannte Tummelplatz, in alten Zeiten ein Turnierplatz, jetzt eine Art
von Friedhof, reich besteckt mit schlichten Kreuzen. In den napoleonischen
Kämpfen war der „Tummelplatz" Schauplatz blutiger Gefechte, daher die fromme
Weihe des Ortes, der nebenbei auch ein Walfahrtsort für heiratslustige Mägd¬
lein geworden ist.

Alle Grade ästhetischen Gefühles vermag diese schöne Gegend hervorzu¬
rufen. Steht man im Thale und läßt den Blick schweifen auf den Kranz von
Bergen, der es umrahmt, so hat man das Gefühl der Erhabenheit der Natur
in großem Maße; lieblich anmutig sind die Flußufer, erschreckend wirken die
steilen Bergwände, träumerisch die schattigen Wälder, sentimental schön die
koulissenartig von den Bergen eingeschlossenen Fernblicke ins Ober- und ins
Unterinnthal: eine Sehnsucht in die Ferne wird erregt und man kann sich nicht
von dem Bilde trennen. Zu alledem der reiche historische Boden! Erinnerungen
an wichtige, zuweilen welthistorische Ereignisse werden dort auf Schritt und
Tritt erweckt. Rudolf Baumbach, der uns in seiner neuesten Dichtung in diese
Gegend führt*), ist seinem ganzen Naturell gemäß in den mittlern Regionen
ästhetischen Empfindens verblieben. Das Anmutige der Landschaft hat ihn
vornehmlich angesprochen, die rauhere Seite der Gebirgswelt läßt er zum
schärfern Kontrast nur vereinzelt hineinspielen. In der Wahl des vielbesungenen
Kaiser Max zum Mittelpunkt eines epischen Gedichtes hat er aber eine sehr
glückliche Hand bekundet. Von allen Habsburgischen Kaisern ist dieser Kaiser
Max, der „letzte Ritter," der letzte Herrscher des Mittelalters nach der Ein¬
teilung in unsern Schulbüchern, der Freund Albrecht Dürers und Hans
Sachsens, der Urheber des Theuerdank und des Weißkunig, der glücklichste
Herrscher Österreichs gewesen, der durch Heirat und Erbschaft die Habsburgische
Hausmacht auf ihren Gipfel gebracht hatte. Ein leutseliger Mann, ein Freund
des Volkes und auch ein Freund der schönen Landestöchter, ein kühner Jäger,
nicht bloß auf Gemsen und Rehe, ist Kaiser Max ein prächtiger epischer Held.
Gerade vor Luthers welterschütternden Auftreten stirbt er dahin, er ist der
letzte ganz deutsche Mann unter den Habsburgischen Monarchen, denn nach ihm
kam schon der Spanier Karl V. und die spanische Etikette beherrschte fortan
den deutschen Hof zu Wien. Aber auch auf diese geschichtlich bedeutsamere
Seite seines Stoffes ist Baumbach nur sehr sparsam eingegangen. Ein von
kulturgeschichtlichem Ballast erfülltes Buch zu schreiben liegt zum Glück nicht
in seiner anakreontisch dem Stile des Volksliedes zustrebenden Art. Er führt
zunächst den Kaiser als Jäger, als gemütlichen, leutseligen Herren ein, der auch
seine Freude an prächtigen Schauspielen hat, der Dichter und Künstler jeder
Art gern unterstützt. Ein schönes Kapitel stellt uns eines der derben Ritter-



*) Kaiser Max und seine Jäger. Dichtung von Rudolf Baumbach. Leipzig,
Liebeskind, 1838.
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[0476] Aaiser Max und seine Jäger. der sogenannte Tummelplatz, in alten Zeiten ein Turnierplatz, jetzt eine Art von Friedhof, reich besteckt mit schlichten Kreuzen. In den napoleonischen Kämpfen war der „Tummelplatz" Schauplatz blutiger Gefechte, daher die fromme Weihe des Ortes, der nebenbei auch ein Walfahrtsort für heiratslustige Mägd¬ lein geworden ist. Alle Grade ästhetischen Gefühles vermag diese schöne Gegend hervorzu¬ rufen. Steht man im Thale und läßt den Blick schweifen auf den Kranz von Bergen, der es umrahmt, so hat man das Gefühl der Erhabenheit der Natur in großem Maße; lieblich anmutig sind die Flußufer, erschreckend wirken die steilen Bergwände, träumerisch die schattigen Wälder, sentimental schön die koulissenartig von den Bergen eingeschlossenen Fernblicke ins Ober- und ins Unterinnthal: eine Sehnsucht in die Ferne wird erregt und man kann sich nicht von dem Bilde trennen. Zu alledem der reiche historische Boden! Erinnerungen an wichtige, zuweilen welthistorische Ereignisse werden dort auf Schritt und Tritt erweckt. Rudolf Baumbach, der uns in seiner neuesten Dichtung in diese Gegend führt*), ist seinem ganzen Naturell gemäß in den mittlern Regionen ästhetischen Empfindens verblieben. Das Anmutige der Landschaft hat ihn vornehmlich angesprochen, die rauhere Seite der Gebirgswelt läßt er zum schärfern Kontrast nur vereinzelt hineinspielen. In der Wahl des vielbesungenen Kaiser Max zum Mittelpunkt eines epischen Gedichtes hat er aber eine sehr glückliche Hand bekundet. Von allen Habsburgischen Kaisern ist dieser Kaiser Max, der „letzte Ritter," der letzte Herrscher des Mittelalters nach der Ein¬ teilung in unsern Schulbüchern, der Freund Albrecht Dürers und Hans Sachsens, der Urheber des Theuerdank und des Weißkunig, der glücklichste Herrscher Österreichs gewesen, der durch Heirat und Erbschaft die Habsburgische Hausmacht auf ihren Gipfel gebracht hatte. Ein leutseliger Mann, ein Freund des Volkes und auch ein Freund der schönen Landestöchter, ein kühner Jäger, nicht bloß auf Gemsen und Rehe, ist Kaiser Max ein prächtiger epischer Held. Gerade vor Luthers welterschütternden Auftreten stirbt er dahin, er ist der letzte ganz deutsche Mann unter den Habsburgischen Monarchen, denn nach ihm kam schon der Spanier Karl V. und die spanische Etikette beherrschte fortan den deutschen Hof zu Wien. Aber auch auf diese geschichtlich bedeutsamere Seite seines Stoffes ist Baumbach nur sehr sparsam eingegangen. Ein von kulturgeschichtlichem Ballast erfülltes Buch zu schreiben liegt zum Glück nicht in seiner anakreontisch dem Stile des Volksliedes zustrebenden Art. Er führt zunächst den Kaiser als Jäger, als gemütlichen, leutseligen Herren ein, der auch seine Freude an prächtigen Schauspielen hat, der Dichter und Künstler jeder Art gern unterstützt. Ein schönes Kapitel stellt uns eines der derben Ritter- *) Kaiser Max und seine Jäger. Dichtung von Rudolf Baumbach. Leipzig, Liebeskind, 1838.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/476>, abgerufen am 22.07.2024.