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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst.

Mochte es nun Italien oder der Orient oder die Antike sein, um diese Welten
lagerte der Zauber, in den der Pinsel sich tauchen mußte, um Kunstwerke zu
schaffen; sie waren der Traum der Geister, den auf die Leinwand gebannt zu
sehen das Gemüt mit Wonne füllte. Das ist vorüber. Es sind einzelne viel¬
gereiste Landschafter, wie die Achcnbachs, W. Gentz, E. Körner, Possart, von
Meckel, welche ihre Reiseeindrücke vom Golf von Neapel oder vom Land der
Pyramiden oder von Arabiens Palmen und Wüsten künstlerisch gestalten; aber
vor ihren Bildern, so großartige Farbendichtungen sie zum Teil sind, fällt uns
nur ein: So jemand eine Reise thut, so kann er was erzählen; und mit Inter¬
esse für den Gegenstand wie mit Bewunderung für die Kunst ihrer Erzählung
folgen wir ihren Berichten. Aber tiefer noch, mit der Seele schaut unser Auge
hinein, und wärmer grüßt es uns zurück, wenn wir vor Darstellungen unsrer
heimischen Wälder und Flächen und Seen stehen. Die Antike gar ist völlig
verschollen; von ihren Göttern kehrt keiner mehr bei unsern Künstlern ein, und
niemand vermißt sie. Ihre Helden und ihre Sitten und Sünden sind uns
fremd geworden; wo sie noch auftauchen, wie in Liskas Maximian, dem in
blauem Dunste die von ihm geopferten Märtyrer erscheinen, während er erstarrt
am Boden liegt, das Gesicht in die Marmorfliesen bergend, oder in Hildebrands
Tullia oder in Alma Tademas und seiner Nachahmer antiken Genrebildern, da
verraten sie durch hohles Pathos ihr Scheinleben, oder ihr Tändeln erweckt
in uns deu Eindruck tödlicher Langweile seelenloser Wesen. All das Fremde
ist verdrängt durch das Vertraute, in das wir uns liebend versenken und dem
wir darum eine unerschöpfliche Fülle lebendigster Anregungen zu entlocken gelernt
haben. Und wie in allen Gebieten unsrer Tage, oft genug in unberechtigter
und die Gegenwart selbst verarmender Ausdehnung, so klingt auch in den Hallen
der Kunst der Wahlspruch wieder: Nur der Lebende hat Recht.

Unberechtigt und als eine Verarmung zu beklagen ist die Ausdehnung
dieses Vergessens des Vergangenen bei unsrer Kunst auf diejenigen Gebiete, in
denen die Geschichte unsers eignen Werdens liegt, also Elemente unsers Seins
uns entgegentreten würden. Es ist' geradezu ein Rätsel, warum in einer
Zeit, in der geschichtliche Forschung zum Sport wird und geschichtlicher
Sinn zu den Grundzügen des Gebildeten zählt, ja die selbst in eminenten
Sinn Geschichte schafft, die Historienmalerei fast völlig brach liegt. Nicht als
ob wir der Kunst, wie sie dies wohl selbst manchmal that, mundeten, als
Handlangerin der Wissenschaft zu illustriren, was die Geschichtswissenschaft uns
erzählt, und gar dabei, wie es wohl öfters der Fall war, nur Illustrationen für
ein Buch der Kostümkunde, bestenfalls der Kulturgeschichte zu liefern. Wir
betrachten es als einen Fortschritt, daß sie sich zu höherem berufen weiß, als
der flügellahmen Phantasie des Wissensdurstigen nachzuhelfen. Aber in den
Erscheinungen und Ereignissen, die der Geschichte angehören, treten Ideen,
Interessen, Charaktere, Konflikte zu Tage, die eine größere menschliche Gemein-


Grenzl-oder IV. 1838. L9
Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst.

Mochte es nun Italien oder der Orient oder die Antike sein, um diese Welten
lagerte der Zauber, in den der Pinsel sich tauchen mußte, um Kunstwerke zu
schaffen; sie waren der Traum der Geister, den auf die Leinwand gebannt zu
sehen das Gemüt mit Wonne füllte. Das ist vorüber. Es sind einzelne viel¬
gereiste Landschafter, wie die Achcnbachs, W. Gentz, E. Körner, Possart, von
Meckel, welche ihre Reiseeindrücke vom Golf von Neapel oder vom Land der
Pyramiden oder von Arabiens Palmen und Wüsten künstlerisch gestalten; aber
vor ihren Bildern, so großartige Farbendichtungen sie zum Teil sind, fällt uns
nur ein: So jemand eine Reise thut, so kann er was erzählen; und mit Inter¬
esse für den Gegenstand wie mit Bewunderung für die Kunst ihrer Erzählung
folgen wir ihren Berichten. Aber tiefer noch, mit der Seele schaut unser Auge
hinein, und wärmer grüßt es uns zurück, wenn wir vor Darstellungen unsrer
heimischen Wälder und Flächen und Seen stehen. Die Antike gar ist völlig
verschollen; von ihren Göttern kehrt keiner mehr bei unsern Künstlern ein, und
niemand vermißt sie. Ihre Helden und ihre Sitten und Sünden sind uns
fremd geworden; wo sie noch auftauchen, wie in Liskas Maximian, dem in
blauem Dunste die von ihm geopferten Märtyrer erscheinen, während er erstarrt
am Boden liegt, das Gesicht in die Marmorfliesen bergend, oder in Hildebrands
Tullia oder in Alma Tademas und seiner Nachahmer antiken Genrebildern, da
verraten sie durch hohles Pathos ihr Scheinleben, oder ihr Tändeln erweckt
in uns deu Eindruck tödlicher Langweile seelenloser Wesen. All das Fremde
ist verdrängt durch das Vertraute, in das wir uns liebend versenken und dem
wir darum eine unerschöpfliche Fülle lebendigster Anregungen zu entlocken gelernt
haben. Und wie in allen Gebieten unsrer Tage, oft genug in unberechtigter
und die Gegenwart selbst verarmender Ausdehnung, so klingt auch in den Hallen
der Kunst der Wahlspruch wieder: Nur der Lebende hat Recht.

Unberechtigt und als eine Verarmung zu beklagen ist die Ausdehnung
dieses Vergessens des Vergangenen bei unsrer Kunst auf diejenigen Gebiete, in
denen die Geschichte unsers eignen Werdens liegt, also Elemente unsers Seins
uns entgegentreten würden. Es ist' geradezu ein Rätsel, warum in einer
Zeit, in der geschichtliche Forschung zum Sport wird und geschichtlicher
Sinn zu den Grundzügen des Gebildeten zählt, ja die selbst in eminenten
Sinn Geschichte schafft, die Historienmalerei fast völlig brach liegt. Nicht als
ob wir der Kunst, wie sie dies wohl selbst manchmal that, mundeten, als
Handlangerin der Wissenschaft zu illustriren, was die Geschichtswissenschaft uns
erzählt, und gar dabei, wie es wohl öfters der Fall war, nur Illustrationen für
ein Buch der Kostümkunde, bestenfalls der Kulturgeschichte zu liefern. Wir
betrachten es als einen Fortschritt, daß sie sich zu höherem berufen weiß, als
der flügellahmen Phantasie des Wissensdurstigen nachzuhelfen. Aber in den
Erscheinungen und Ereignissen, die der Geschichte angehören, treten Ideen,
Interessen, Charaktere, Konflikte zu Tage, die eine größere menschliche Gemein-


Grenzl-oder IV. 1838. L9
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[0473] Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst. Mochte es nun Italien oder der Orient oder die Antike sein, um diese Welten lagerte der Zauber, in den der Pinsel sich tauchen mußte, um Kunstwerke zu schaffen; sie waren der Traum der Geister, den auf die Leinwand gebannt zu sehen das Gemüt mit Wonne füllte. Das ist vorüber. Es sind einzelne viel¬ gereiste Landschafter, wie die Achcnbachs, W. Gentz, E. Körner, Possart, von Meckel, welche ihre Reiseeindrücke vom Golf von Neapel oder vom Land der Pyramiden oder von Arabiens Palmen und Wüsten künstlerisch gestalten; aber vor ihren Bildern, so großartige Farbendichtungen sie zum Teil sind, fällt uns nur ein: So jemand eine Reise thut, so kann er was erzählen; und mit Inter¬ esse für den Gegenstand wie mit Bewunderung für die Kunst ihrer Erzählung folgen wir ihren Berichten. Aber tiefer noch, mit der Seele schaut unser Auge hinein, und wärmer grüßt es uns zurück, wenn wir vor Darstellungen unsrer heimischen Wälder und Flächen und Seen stehen. Die Antike gar ist völlig verschollen; von ihren Göttern kehrt keiner mehr bei unsern Künstlern ein, und niemand vermißt sie. Ihre Helden und ihre Sitten und Sünden sind uns fremd geworden; wo sie noch auftauchen, wie in Liskas Maximian, dem in blauem Dunste die von ihm geopferten Märtyrer erscheinen, während er erstarrt am Boden liegt, das Gesicht in die Marmorfliesen bergend, oder in Hildebrands Tullia oder in Alma Tademas und seiner Nachahmer antiken Genrebildern, da verraten sie durch hohles Pathos ihr Scheinleben, oder ihr Tändeln erweckt in uns deu Eindruck tödlicher Langweile seelenloser Wesen. All das Fremde ist verdrängt durch das Vertraute, in das wir uns liebend versenken und dem wir darum eine unerschöpfliche Fülle lebendigster Anregungen zu entlocken gelernt haben. Und wie in allen Gebieten unsrer Tage, oft genug in unberechtigter und die Gegenwart selbst verarmender Ausdehnung, so klingt auch in den Hallen der Kunst der Wahlspruch wieder: Nur der Lebende hat Recht. Unberechtigt und als eine Verarmung zu beklagen ist die Ausdehnung dieses Vergessens des Vergangenen bei unsrer Kunst auf diejenigen Gebiete, in denen die Geschichte unsers eignen Werdens liegt, also Elemente unsers Seins uns entgegentreten würden. Es ist' geradezu ein Rätsel, warum in einer Zeit, in der geschichtliche Forschung zum Sport wird und geschichtlicher Sinn zu den Grundzügen des Gebildeten zählt, ja die selbst in eminenten Sinn Geschichte schafft, die Historienmalerei fast völlig brach liegt. Nicht als ob wir der Kunst, wie sie dies wohl selbst manchmal that, mundeten, als Handlangerin der Wissenschaft zu illustriren, was die Geschichtswissenschaft uns erzählt, und gar dabei, wie es wohl öfters der Fall war, nur Illustrationen für ein Buch der Kostümkunde, bestenfalls der Kulturgeschichte zu liefern. Wir betrachten es als einen Fortschritt, daß sie sich zu höherem berufen weiß, als der flügellahmen Phantasie des Wissensdurstigen nachzuhelfen. Aber in den Erscheinungen und Ereignissen, die der Geschichte angehören, treten Ideen, Interessen, Charaktere, Konflikte zu Tage, die eine größere menschliche Gemein- Grenzl-oder IV. 1838. L9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/473>, abgerufen am 22.07.2024.