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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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eine gewisse Klasse einer mit dieser Berechtigung versehenen Unterrichtsanstalt
ein Jahr hindurch mit Erfolg besucht habe, und nur da eine Prüfung zuzulassen,
wo die Unmöglichkeit vorlag, dieser Anforderung nachzukommen. Namentlich
die Abschaffung der Pressen würde eine wahre Wohlthat sein, vor allem wenn
den Pressen der Einjährig-Freiwilligen auch die Fähndrichspressen nachfolgen.




Unsre Zeit im Apiegel ihrer Kunst.
Betrachtungen bei Gelegenheit der Münchener Jubiläumsausstellung.

cum das alte Wort ohne weiteres wahr ist: Sage mir, mit wem
du umgehst, und ich will dir sagen, wer dn bist, so muß der
ästhetische Sinn ein hervorragender Zug im Charakterbilde unsrer
Zeit sein. Alljährlich veranstaltet die königliche Akademie der
Künste zu Berlin eine große öffentliche Kunstausstellung, in deren
Sälen etwa eine Million Besucher mit den Geisteskindern unsrer Künstler leb¬
haften Verkehr pflegen. Dieses Jahr brachte daneben Jubiläumsausstellungen
i" Wien und in München, Ausstellungen in Brüssel, Antwerpen, Kopenhagen,
undt zu reden von denen in Barcelona und Melbourne. Von der Jubiläums¬
ausstellung in München wissen wir, daß trotz dieser Konkurrenz ihr Besuch die
kühnsten Erwartungen übertroffen hat. Und wer diese Atisstellungen alle nicht
besuchen konnte, der ließ sich von ihren bedeutendsten Erscheinungen in seinem
Heim besuchen in Form jener Nachbildungen aller Art, in deren Herstcllungs-
weisen unsre Zeit, weil sie einem dringenden Bedürfnis entgegenkommen, es so
staunenswert weit gebracht hat und durch deren Vermittlung der Umgang mit
der Kunst zu einer beinahe täglichen Gewohnheit aller Gebildeten geworden ist.

Nur eine Bestätigung dieser Diagnose scheint die Überfülle von künstlerischen
Hervorbringungen in unsern Tagen zu bieten. In Berlin wies der Katalog
über 1300, in München über 3000 Nummern auf. Das überreiche Angebot
läßt auf eine nicht minder große Nachfrage schließen. Und jedenfalls ist die
Zahl der fördernden und laufenden Gönner und vermutlich auch Kenner der
Kunst, die früher nur in den höchsten Kreisen zu finden waren, in steter Zu¬
nahme begriffen. Man kann heute schon von einem "Publikum," ja von einem
Kunstmarkt reden.

Aber gerade diese Thatsachen gebieten Vorsicht. Auf den Bergen wohnt
die Freiheit. Auf dem Markte muß sich die Ware nach dem Geschmacke des
Käufers richten. In dem Maße, als die Kunst von den einsamen Höhen herab-


eine gewisse Klasse einer mit dieser Berechtigung versehenen Unterrichtsanstalt
ein Jahr hindurch mit Erfolg besucht habe, und nur da eine Prüfung zuzulassen,
wo die Unmöglichkeit vorlag, dieser Anforderung nachzukommen. Namentlich
die Abschaffung der Pressen würde eine wahre Wohlthat sein, vor allem wenn
den Pressen der Einjährig-Freiwilligen auch die Fähndrichspressen nachfolgen.




Unsre Zeit im Apiegel ihrer Kunst.
Betrachtungen bei Gelegenheit der Münchener Jubiläumsausstellung.

cum das alte Wort ohne weiteres wahr ist: Sage mir, mit wem
du umgehst, und ich will dir sagen, wer dn bist, so muß der
ästhetische Sinn ein hervorragender Zug im Charakterbilde unsrer
Zeit sein. Alljährlich veranstaltet die königliche Akademie der
Künste zu Berlin eine große öffentliche Kunstausstellung, in deren
Sälen etwa eine Million Besucher mit den Geisteskindern unsrer Künstler leb¬
haften Verkehr pflegen. Dieses Jahr brachte daneben Jubiläumsausstellungen
i» Wien und in München, Ausstellungen in Brüssel, Antwerpen, Kopenhagen,
undt zu reden von denen in Barcelona und Melbourne. Von der Jubiläums¬
ausstellung in München wissen wir, daß trotz dieser Konkurrenz ihr Besuch die
kühnsten Erwartungen übertroffen hat. Und wer diese Atisstellungen alle nicht
besuchen konnte, der ließ sich von ihren bedeutendsten Erscheinungen in seinem
Heim besuchen in Form jener Nachbildungen aller Art, in deren Herstcllungs-
weisen unsre Zeit, weil sie einem dringenden Bedürfnis entgegenkommen, es so
staunenswert weit gebracht hat und durch deren Vermittlung der Umgang mit
der Kunst zu einer beinahe täglichen Gewohnheit aller Gebildeten geworden ist.

Nur eine Bestätigung dieser Diagnose scheint die Überfülle von künstlerischen
Hervorbringungen in unsern Tagen zu bieten. In Berlin wies der Katalog
über 1300, in München über 3000 Nummern auf. Das überreiche Angebot
läßt auf eine nicht minder große Nachfrage schließen. Und jedenfalls ist die
Zahl der fördernden und laufenden Gönner und vermutlich auch Kenner der
Kunst, die früher nur in den höchsten Kreisen zu finden waren, in steter Zu¬
nahme begriffen. Man kann heute schon von einem „Publikum," ja von einem
Kunstmarkt reden.

Aber gerade diese Thatsachen gebieten Vorsicht. Auf den Bergen wohnt
die Freiheit. Auf dem Markte muß sich die Ware nach dem Geschmacke des
Käufers richten. In dem Maße, als die Kunst von den einsamen Höhen herab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/467>, abgerufen am 22.07.2024.