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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Rupferstich und die veroielMtigenden Künste der Neuzeit,

Originale immer noch, trotz unzulänglicher Lösung, das Interesse des Stoffes
für sich hatten, so fielen alle Entschuldigungsgründe für ungebührliche und un¬
gerechtfertigte Ausdehnung bei den sogenannten "Originalradiruugen" weg, die
uns die bekanntesten oder gleichgiltigsten Gegenden, bald mit etwas impressio¬
nistischen Anstrich, bald mit der protokollarischen Peinlichkeit des Veduten¬
malers vor Angen führen. Bei diesen großen Blättern läßt sich nicht mehr
entscheiden, welchen Anteil an der malerisch-dekorativen Wirkung die Nadel des
Nadirers oder das Raffinement des Druckverfahrens hat, das bei den mit
großem Pomp angekündigten "Originalradiruugen" der Neuzeit sehr oft eine
viel größere und wichtigere Rolle spielt als das Talent des Malerradirers.

Nach diesem Vorgehen wäre nun zwischen der reproduzirenden Radirung
und der Originalradiruug Sonne und Schatten gleichmäßig verteilt gewesen
und eine Bahn gewonnen worden, auf der sich die beiderseitigen Kräfte hätten
messen können. Aber die unheilvolle Hast der Spekulanten, die den früher als
still und heilig aufgerufenen Hain der Kunst, nicht gerade zum Mißvergnügen
der Hain- und Tempelwächter, wie Korybanten durchtoben und ihre gefüllten
Geldbeutel verlockend zeigen, machte noch ein drittes Reizmittel für den über¬
sättigten Gaumen der feinschmeckerischcn Sammler ausfindig. Es mußte einmal
ein berühmter oder auch mir ein im Kurszettel des Kunstmarktes hochnotirter
Maler überredet werden, eines seiner beliebtesten Bilder selbst zu radiren. In
einer solchen Verbindung mußte auch der blasirteste Sammler den Gipfel des
Hochgenusfes erkennen, und da ihm überdies die Genugthuung geboten war,
daß er für sein teures Geld den Genuß nur mit wenigen zu teilen brauchte,
haben wir es erlebt, daß die mit ängstlicher und tastender Nadel ausgeführte
Radirung eines englischen Malers nach seinem Bildnis einer hübschen jungen
Dame höher bezahlt worden ist, als die entsprechenden Abdrucksgattuugen von
Mantels "Sixtinischer Madonna", an welcher der Meister zehn Jahre lang
gearbeitet hat.

Einem so heftigen Ansturm, der in seinem taktischen Vorgehen ebenso ge¬
schickt die Leidenschaften der Sammler ausnutzte, wie er den Sparsamkeitsbedürf¬
nissen der durch die von allen Seiten eindringende Konkurrenz hart bedrängten
Kunsthändler und -Verleger entgegen kam, vermochte der schwerfällige Kupfer¬
stich, der mit der Massenproduktion des modernen Kunstverlagsgeschäfts nicht
gleichen Schritt halten kann, keinen dauernden Widerstand entgegenzusetzen.
Er wurde an die Wand gedrückt, hatte aber als stummer, wenn auch betrübter
Zuschauer die Genugthuung, zu sehen, wie sich unter seinen Ersatzmännern und
Nachkommen ein Kampf entspann, ähnlich dem zwischen den eisernen Mannen,
die aus Jasons Saat der Drachenzähne dem Erdboden entsprossen.

Die stetig wachsende Vervollkommnung in der photographischen Aufnahme
von Gemälden alter Meister gab Kunstforschern und Kunstfreunden die Mittel
an die Hand, die Arbeiten der Radirer auf ihre Zuverlässigkeit und Verwend-


Der Rupferstich und die veroielMtigenden Künste der Neuzeit,

Originale immer noch, trotz unzulänglicher Lösung, das Interesse des Stoffes
für sich hatten, so fielen alle Entschuldigungsgründe für ungebührliche und un¬
gerechtfertigte Ausdehnung bei den sogenannten „Originalradiruugen" weg, die
uns die bekanntesten oder gleichgiltigsten Gegenden, bald mit etwas impressio¬
nistischen Anstrich, bald mit der protokollarischen Peinlichkeit des Veduten¬
malers vor Angen führen. Bei diesen großen Blättern läßt sich nicht mehr
entscheiden, welchen Anteil an der malerisch-dekorativen Wirkung die Nadel des
Nadirers oder das Raffinement des Druckverfahrens hat, das bei den mit
großem Pomp angekündigten „Originalradiruugen" der Neuzeit sehr oft eine
viel größere und wichtigere Rolle spielt als das Talent des Malerradirers.

Nach diesem Vorgehen wäre nun zwischen der reproduzirenden Radirung
und der Originalradiruug Sonne und Schatten gleichmäßig verteilt gewesen
und eine Bahn gewonnen worden, auf der sich die beiderseitigen Kräfte hätten
messen können. Aber die unheilvolle Hast der Spekulanten, die den früher als
still und heilig aufgerufenen Hain der Kunst, nicht gerade zum Mißvergnügen
der Hain- und Tempelwächter, wie Korybanten durchtoben und ihre gefüllten
Geldbeutel verlockend zeigen, machte noch ein drittes Reizmittel für den über¬
sättigten Gaumen der feinschmeckerischcn Sammler ausfindig. Es mußte einmal
ein berühmter oder auch mir ein im Kurszettel des Kunstmarktes hochnotirter
Maler überredet werden, eines seiner beliebtesten Bilder selbst zu radiren. In
einer solchen Verbindung mußte auch der blasirteste Sammler den Gipfel des
Hochgenusfes erkennen, und da ihm überdies die Genugthuung geboten war,
daß er für sein teures Geld den Genuß nur mit wenigen zu teilen brauchte,
haben wir es erlebt, daß die mit ängstlicher und tastender Nadel ausgeführte
Radirung eines englischen Malers nach seinem Bildnis einer hübschen jungen
Dame höher bezahlt worden ist, als die entsprechenden Abdrucksgattuugen von
Mantels „Sixtinischer Madonna", an welcher der Meister zehn Jahre lang
gearbeitet hat.

Einem so heftigen Ansturm, der in seinem taktischen Vorgehen ebenso ge¬
schickt die Leidenschaften der Sammler ausnutzte, wie er den Sparsamkeitsbedürf¬
nissen der durch die von allen Seiten eindringende Konkurrenz hart bedrängten
Kunsthändler und -Verleger entgegen kam, vermochte der schwerfällige Kupfer¬
stich, der mit der Massenproduktion des modernen Kunstverlagsgeschäfts nicht
gleichen Schritt halten kann, keinen dauernden Widerstand entgegenzusetzen.
Er wurde an die Wand gedrückt, hatte aber als stummer, wenn auch betrübter
Zuschauer die Genugthuung, zu sehen, wie sich unter seinen Ersatzmännern und
Nachkommen ein Kampf entspann, ähnlich dem zwischen den eisernen Mannen,
die aus Jasons Saat der Drachenzähne dem Erdboden entsprossen.

Die stetig wachsende Vervollkommnung in der photographischen Aufnahme
von Gemälden alter Meister gab Kunstforschern und Kunstfreunden die Mittel
an die Hand, die Arbeiten der Radirer auf ihre Zuverlässigkeit und Verwend-


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[0435] Der Rupferstich und die veroielMtigenden Künste der Neuzeit, Originale immer noch, trotz unzulänglicher Lösung, das Interesse des Stoffes für sich hatten, so fielen alle Entschuldigungsgründe für ungebührliche und un¬ gerechtfertigte Ausdehnung bei den sogenannten „Originalradiruugen" weg, die uns die bekanntesten oder gleichgiltigsten Gegenden, bald mit etwas impressio¬ nistischen Anstrich, bald mit der protokollarischen Peinlichkeit des Veduten¬ malers vor Angen führen. Bei diesen großen Blättern läßt sich nicht mehr entscheiden, welchen Anteil an der malerisch-dekorativen Wirkung die Nadel des Nadirers oder das Raffinement des Druckverfahrens hat, das bei den mit großem Pomp angekündigten „Originalradiruugen" der Neuzeit sehr oft eine viel größere und wichtigere Rolle spielt als das Talent des Malerradirers. Nach diesem Vorgehen wäre nun zwischen der reproduzirenden Radirung und der Originalradiruug Sonne und Schatten gleichmäßig verteilt gewesen und eine Bahn gewonnen worden, auf der sich die beiderseitigen Kräfte hätten messen können. Aber die unheilvolle Hast der Spekulanten, die den früher als still und heilig aufgerufenen Hain der Kunst, nicht gerade zum Mißvergnügen der Hain- und Tempelwächter, wie Korybanten durchtoben und ihre gefüllten Geldbeutel verlockend zeigen, machte noch ein drittes Reizmittel für den über¬ sättigten Gaumen der feinschmeckerischcn Sammler ausfindig. Es mußte einmal ein berühmter oder auch mir ein im Kurszettel des Kunstmarktes hochnotirter Maler überredet werden, eines seiner beliebtesten Bilder selbst zu radiren. In einer solchen Verbindung mußte auch der blasirteste Sammler den Gipfel des Hochgenusfes erkennen, und da ihm überdies die Genugthuung geboten war, daß er für sein teures Geld den Genuß nur mit wenigen zu teilen brauchte, haben wir es erlebt, daß die mit ängstlicher und tastender Nadel ausgeführte Radirung eines englischen Malers nach seinem Bildnis einer hübschen jungen Dame höher bezahlt worden ist, als die entsprechenden Abdrucksgattuugen von Mantels „Sixtinischer Madonna", an welcher der Meister zehn Jahre lang gearbeitet hat. Einem so heftigen Ansturm, der in seinem taktischen Vorgehen ebenso ge¬ schickt die Leidenschaften der Sammler ausnutzte, wie er den Sparsamkeitsbedürf¬ nissen der durch die von allen Seiten eindringende Konkurrenz hart bedrängten Kunsthändler und -Verleger entgegen kam, vermochte der schwerfällige Kupfer¬ stich, der mit der Massenproduktion des modernen Kunstverlagsgeschäfts nicht gleichen Schritt halten kann, keinen dauernden Widerstand entgegenzusetzen. Er wurde an die Wand gedrückt, hatte aber als stummer, wenn auch betrübter Zuschauer die Genugthuung, zu sehen, wie sich unter seinen Ersatzmännern und Nachkommen ein Kampf entspann, ähnlich dem zwischen den eisernen Mannen, die aus Jasons Saat der Drachenzähne dem Erdboden entsprossen. Die stetig wachsende Vervollkommnung in der photographischen Aufnahme von Gemälden alter Meister gab Kunstforschern und Kunstfreunden die Mittel an die Hand, die Arbeiten der Radirer auf ihre Zuverlässigkeit und Verwend-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/435>, abgerufen am 04.07.2024.